Für das Erinnern
Vor kurzem bearbeitete ich eine Liste des Suchdienstes ITS Arolsen, in dem der Einsatz der Häftlinge am Rüstungsbunker aufgeschlüsselt war. Dabei unterschied man die Häftlinge nach "FA" und "HA". Ich rätselte lange, bis ich draufkam, dass man "Facharbeiter" und Hilfsarbeiter" meinte.
Ich weiß nicht, unter welcher Kategorie Max Mannheimer, der nicht lange am Rüstungsbunker arbeitete, da ihn bald der Typhus in die Krankenbaracke zwang, hier geführt wurde. Immerhin hatte er es seinen Schwielen zu verdanken, dass er als Bauarbeiter für die Aufräumung des Gettos Warschau und schließlich für die Außenlager Karlsfeld und Mühldorf ausgesucht wurde.
Aber nach dem Krieg wurde er auf alle Fälle "Facharbeiter": zuerst als Helfer für Mithäftlinge in jüdischen Hilfsorganisationen und dann als Zeitzeuge in den Schulen und bei öffentlichen Veranstaltungen. Das war schwere Arbeit, etwas zu erklären, bei dem man seine eigenen Emotionen in Schach halten und verständnisvoll auf nicht immer sachgerechte Fragen reagieren musste. Da war es nur logisch, dass er versuchte, als "ben jakov" innere Spannungen über die Malerei abzuleiten.
Seine Umgebung war seit Jahren besorgt, weil er zu wenige der Anfragen abschlug, auch als er gesundheitlich angeschlagen war. Aber er war ein wichtiger Knotenpunkt bei vielen Projekten, unter anderem beim Bemühen unseres Vereins, auf eine würdige Gedenkstätte für unsere Außenlager hinzuwirken. Und wie bei jeder Arbeit war das Bemühen auch nicht immer mit Erfolg gekrönt, musste er Enttäuschungen verarbeiten und Hindernisse einsehen, die unüberwindbar schienen. Aber sein stetes Bemühen hatte auch schließlich Erfolg. Die Einweihung durfte er nur mehr beim Teilbereich der NS-Ausstellung im Haberkasten erleben.
Als ich ihn vor drei Wochen besuchte, um Bildbände seiner Gemälde abzuholen, die er an Freunde und Bekannte verteilte, zeigte er mir noch viele angefangene Werke, die noch nicht fertig waren und es nun auch nicht mehr werden.
Auch mit seinem Bemühen um die Erinnerungsarbeit hatte er noch nicht abgeschlossen. Das müssen nun andere weiterführen. Er hat Signale dafür genug gesetzt.
Wir haben uns dreißig Jahre gekannt und ich habe über viele seiner Witze gelacht und über seinen Faible für seinen "Tatra-Sportwagen". Meistens hat er mich vorgestellt als den Mann, der bei einem Zeitzeugeninterview vom 17-jährigen Regisseur und Autor darauf hingewiesen wurde, die Wolkenkonstellation zu filmen, da man sie dann später vielleicht verwenden könnte. (Sie ist nie irgendwo aufgetaucht.) Sollten wir uns noch einmal begegnen, dann wird er mich wohl wieder so vorstellen. Und ich werde mich geehrt fühlen, dass ich mich einen seiner Bekannten nennen darf.
Josef Wagner