Erinnerungen von Josef Brust. Er wohnte in München und kam 1986 nach Mühldorf und Mittergars.
Von Auschwitz nach Mühldorf. Also, ich kam von Auschwitz nach Mühldorf aber nicht auf dem direkten Wege, sondern durch Dachau, bzw. Allach-Karlsfeld.
Mein Vater und mein Onkel sind schon im Juli 44 oder im August 44 nach Mühldorf gekommen.
Wir sind angekommen spät am Abend in Mühldorf, das weiß ich. Da wo ich herkam aus Allach, das war ein Sanatorium im Vergleich zu Mühldorf, bzw. Mittergars. Ende 44 kamen Leute wieder von Mühldorf nach dort zurück und da habe ich erfahren, dass mein Vater hier ist. Deshalb wollte ich unbedingt hierher.
Als wir ankamen habe ich in derselben Nacht meinen Vater getroffen, besser er mich. Und ein Kapo mit dem grünen... also ein Berufsverbrecher hat mich aus dem Transport herausgeholt und mich in die Baracke zu meinem Vater hingebracht. Mein Vater stand schon draußen. Und dann hat er uns beide... Und dann war ich eine Nacht mit meinem Vater zusammen und er hat gesagt, er will versuchen bei diesem Kapo, dass ich in sein Arbeitskommando komme. Und da wäre es noch menschlich. Er war dreiundvierzig. Und komischerweise hat er mir erzählt in dieser einen Nacht: Er hat hier einen SS-Mann getroffen aus Ungarn, einen Volksdeutschen aus Ungarn, den er von zuhause her gekannt hat... und der ihm geholfen hat.
Auch das gabs.
Und er war damals in sehr guter Verfassung noch.
Am nächsten Tag war Zählappell, von den Arbeitern, die schon in Mettenheim waren. Die sind zur Arbeit gegangen und wir mussten wieder in die Baracke hinein. Und später war dann nochmals Zählappell für die Neuangekommenen. Wir standen in Fünferreihen und dann hat man abgezählt. Ich glaube, ich stand in der letzten Reihe.
Antreten... Die kommen weiter.
Da bin ich hingerannt zu dem Kommandoführer, dem SS-Mann ... Hans Rohr? Ein hoher blonder, das habe ich so in Erinnerung. Und ich glaube... War der in Mühldorf als Lagerführer oder so ähnlich?
(Der war Kapo, ein Berufsverbrecher und er war Lagerältester. )
Ob der, derjenige war, der diese Selektionen (gemacht hat). Also in dem Sinne, dass da abgezählt wurde... ich glaube, wir waren 150 Leute.
Dann bin ich zu dem SS-Mann hingerannt, bin vor dem auf die Knie gefallen und habe angefangen zu weinen: „Ich habe meinen Vater gefunden, ich möchte hier bleiben. Er hat mich fürchterlich verprügelt und das weiß ich noch heute, ich habe gesagt: „Ich habe sieben Monate meinen Vater nicht gesehen und da hat er gesagt: Ich habe 7 Jahre meine Familie nicht gesehen. Und da haben mich zwei Leute gepackt und wie einen Sack Kartoffel auf den Anhänger hinaufgeschmissen. Wir sind mit Traktorenanhänger nach Mittergars gefahren worden.
Und als wir dann losfuhren, ja, .. da sind wir vorbeigefahren, wo KZler gearbeitet haben, und da habe ich meinen Vater gesehen, wo er gearbeitet hat.
Und da wollte ich von dem Wagen herunterspringen, von dem Anhänger.
Und da war ein SS-Mann da, der mich beruhigt hat, der oben saß, zwischen uns, einer der Bewacher, der sich menschlich benommen hat.
Und dann kam ich nach Mittergars.
Dort war ich seitdem nicht mehr war, nicht einmal in der Nähe.
Das ganze Lager war nicht groß. Die Baracken sind frei gestanden, es war damals kein Wald da. Die Baracken... wir nannten sie Hundehütten. Die Baracken waren etwa von der Größe dieses Zimmers (4*3m)...Erhobenen Hauptes konnte man nicht drin gehen. Man musste gebückt drin gehen. Es lag Stroh unten und in der Mitte war nochmals eine Pritsche durchgemacht.
Da wurde ich nach kurzer Zeit zur Arbeit eingeteilt in einem Steinbruch. Wir mussten dorthin marschieren. Es war ein Kommando, das in einem Zementwerk gearbeitet hat, wo Betonplatten oder so was hergestellt wurden. Was ich weiß, haben die Leute auch an einer Betonmischmaschine gearbeitet.
In Erinnerung habe ich, dass wir einmal genügend Fleisch in diesem Dörrgemüse gehabt. Und da hieß es, dass in diesem Betonwerk, wurde bombardiert oder was und dabei ein Pferd zu Tode kam und das wurde dem Lager geschenkt.
Daran erinnere ich mich.
Ich habe hier in Mittergars eine Erinnerung an einen Menschen, ich betone es, an einen Menschen. Wir haben ... einen Teil von uns ... da war ich schon nicht im Steinbruch, sondern wir haben den Wald gerodet. Da sollte ein Flüchtlingslager oder OT-Lager oder so ähnlich, sollte da gebaut werden, ja. Und da waren OT-Leute Vorarbeiter. Und einer war dazwischen, ein Feldmesser. Und der hat mich ausgesucht, um seine Instrumente zu tragen. Das waren ein Riesenkasten, so wie sie haben, aus Holz, schwer, und ich konnte mich nicht so schnell bewegen, dass er mich nicht getreten und geschlagen hat. Und das ging so zwei drei Tage...
Und die andere Erinnerung, weniger schöne Erinnerung, ist an Scharführer, Oberscharführer Kirsch, der Lagerführer, eine kleine gedrungene Person. Von dem ich persönlich 25 auf den Hintern bekommen habe.
Und zwar, wie gesagt, in diesen Baracken wo die waren ,... ich war damals schon Muselmann... Stuhlgang hatte ich nicht, es ist nur noch Wasser gekommen. Nachts habe ich unter mir gemacht. Am nächsten Tag bei der Lagerbesichtigung oder Barackenbesichtigung wurde festgestellt, dass ein Platz nass war.
„Wer war das?“ Beim Zählappell. Der soll sich melden. Wenn nicht, dann kommt diese ganze Baracke dran.
Daraufhin habe ich mich gemeldet, da ich derjenige war. Da wurde ich zu 25 verurteilt. Die ersten 5 oder 6 habe ich noch mitbekommen. Dann war ich nicht mehr da.
Vielleicht einer der Gründe, warum ich nicht mehr hergekommen bin.
Um diese Erinnerungen nicht zu wecken.
Tja und die Ironie des Schicksals, wie gesagt, ich wollte immer zurück nach Mühldorf. Muselmann war ich und es gingen regelmäßig Transporte nach Mühldorf zurück, mit Muselmänner. Und ich habe mich beim Krankenappell krank gemeldet. Und wurde von Kirsch .... gefragt, was ich für eine Krankheit hätte. Und weil mir nichts anderes einfiel und abgemagert war ich, da habe ich gesagt: „Ich habe Lungentuberkulose“.
Daraufhin hat er mich gepackt und hat mich an den Lagerrand geführt und hat mir gezeigt am Waldhang einen Friedhof. Hat er gesagt: „Entweder kommst du dahin oder wirst du in dieser Luft gesund.“
Und die Ironie des Schicksals: Ich bin am 1. Mai befreit, in Seeshaupt am Starnberger See und da gehen unsere Erinnerungen mit Max Mannheimer auseinander. Aber das begründet sich, weil der Transport in zwei geteilt wurden und die anderen wurden in Tutzing befreit. Das ist nicht weit von dort. Ich kam am selben Tag schon in Tutzing ins Kriegslazarett. Ich habe 38 Kilo gewogen, bei meiner heutigen Größe. Die Beine waren voll mit Wasser, Ödeme, Hungerödem, ich war abgemagert. Und dort wurde festgestellt, dass ich Lungentuberkulose habe.
Und seitdem darf in meiner Familie, meine Familie besteht nur aus meiner Frau und mir, krank machen, d.h. blau machen und sagen „ich bin krank“.
Und die nächsten 8 Jahre, von 45 bis 53 habe ich in Sanatorien verbracht. Rein und raus und rein und raus. Mir wurde eine halbe Lunge entfernt.
Und heute bin ich da.
Beim Lager Mittergars wusste man: Das ist Endstation.
Bis März 45 sind die Muselmänner weggebracht worden aus Mühldorf, nach Kaufering. Als ich zurückkam, etwa Anfang April kam ich zurück, habe ich meinen Vater nicht mehr gefunden und da wurde mir gesagt, dass mein Vater, in der Zeit in der ich in Mittergars war, Flecktyphus bekommen und ist mit einem Flecktyphustransport nach Kaufering gekommen. Ich habe ihn nie mehr gesehen.
Ich kann keinen Vergleich mit Mettenheim ziehen. Im Vergleich zu Allach-Karlsfeld war es viel, viel schlimmer. Über Mühldorf-Mettenheim kann ich ihnen auch nicht viel sagen, weil ich dort nur eine Nacht war und als ich zurückkam, war ich schon halb bewusstlos.
In der Krankenbaracke war zufälligerweise ein ungarischer Arzt aus meiner Stadt, Dr. Segei, ich weiß nicht ob irgendwo sein Name bekannt ist ....
Dieser Dr. Segei war aus meinem Städtchen aus Stuhl-Weissenburg. Es waren mehrere Baracken dort. Es war ein Lager im Lager, so wie ich es in Erinnerung habe. Es war noch einmal ein Stacheldraht um diese Baracken rum. Wir waren im Lager auch abgesondert.
Und als es zur Evakuierung kam, da hieß es: „Die nicht gehen können, die werden evakuiert.“ Ich konnte nicht mehr gehen. Und dieser Dr. Segei hat mich in den Waggon hereingeschleppt.
Und ich weiß nicht, ob ihnen diese Befreiung in Poing bekannt ist.
Ich war in einem Waggon etwa Mitte des Zuges im Bahnhof Poing. Also direkt vor dem Bahnhofsgebäude. Man hat die Waggontüren geöffnet. Wir durften austreten. Und ich bin herausgekrochen, mehr herausgefallen als herausgekrochen.
An Ostern 45 hatten wir einen Tag arbeitsfrei. Es war ein schönes Wetter, aber unheimlich kalt und ein unheimlicher Wind pfiff hier. Der wald, der jetzt dasteht war nicht da, es war ein freies Gelände. Da hat der Herr Kirsch beschlossen, Badetag zu veranstalten. Und da shieß, dass wir hier irgendwo auf diesem Appellplatz zuerst einmal hin gestellt wurden und dann mussten wir uns nackt ausziehen. Viel hatten wir sowieso nicht an. Die Erinnerung ist relativ. Mir kam es vor, dass wir stundenlang da standen, es ist möglich, dass es nur 10 Minuten waren. Da müssen hier in einem der Gebäude erste Bottiche gewesen sein , in denen meiner Erinnerung Betonplatten geschliffen wurden.
Wir wurden gebadet. Wir mussten in die schmutzige Brühe herein, ohne Seife und nix, nur einfach herein. Man hat uns immer gejagt und immer drei oder vier Mann auf einmal. Es genügte ihm nicht, dass man im Wasser drin war, sondern man musste untertauchen, vollkommen unter Wasser.
Und da kam er. Die Bottiche standen höher, denn er musste auf irgendetwas herauf und da hat er mir mit dem Stock auf den Kopf geschlagen, so lange, bis ich wirklich unter Wasser ging. Der war besonders sadistisch veranlagt.
Aus Menschen kann man alles machen. In jedem Menschen ist ein bisschen Sadist und Bestie. Und die Zeiten haben diese Seite gefördert. Ich weiß nicht, wo ich gewesen wäre, wenn ich nicht zwangsläufig auf der anderen Seite war.