Für das Erinnern
Interviewer: Josef Wagner
P. M.: Ja, ich heiße Peter Müller und bin schon seit ungefähr 55 Jahren hier im Landkreis ansässig. Ich bin ehemaliger Gymnasiallehrer, jetzt im Ruhestand und hab mich seit jetzt inzwischen 25 Jahren mit der Thematik KZ-Lager, Bunkergelände im Kreis Mühldorf befasst.
J. W.: Wenn jemand von auswärts kommt, vermutet man eigentlich nicht unbedingt, dass sich jemand damit befasst, wenn sich am Ort eigentlich noch keiner so groß damit befasst hat. Wie bist du da dazu gekommen?
P. M. (lächelt leicht): Ja, ich bin eigentlich durch einen Zufall dazu gekommen und andererseits auch durch persönliches Interesse. Das persönliche Interesse lag daran, dass ich also Geschichtslehrer bin und war, am Gymnasium hier in Mühldorf. Und dann kam ein Zufall, nämlich die Sendung Holocaust. Die Sendung Holocaust, das war ein Film, der allgemein bekannt ist, 1978/79 in der Winterszeit. Das ist der Hollywood-Film von der Familie Weiß. Und der hat mich erstens mal interessiert von der Thematik her, und zweitens wurde er meines Erachtens auch recht publikumswirksam dargeboten. Er ist dann umstritten auch gewesen, es sei ein Hollywood-Schinken.
Würd ich jetzt nicht sehen, für mich war´s der Anlass, mich zu erinnern, und zwar an einen Wandertag mit meinem Lehrer im Jahr 1952, als wir da von Pürten in den Mühldorfer Hart gingen. Und da hab ich diese Reste des Waldlagers gesehn. War mir damals nicht bewusst, dass da KZ-Häftlinge drin waren, uns hat des der Lehrer auch nicht gesagt. Aber ich hab mich dran erinnert, da war irgendwas bei uns, und ich hab des dann selber herausgebracht und mich dann mit der Angelegenheit genauer befasst.
J. W.: Du hast also eigentlich im Prinzip zuerst des Waldlager kennen gelernt und später erst den Rüstungsbunker?
P. M.: (nickt) So ist es, genau. Mich hat an sich die Lagergeschichte zunächst interessiert und ich bin dann auf den Rüstungsbunker ganz automatisch gekommen.
J. W.: Was hat denn dein Lehrer damals gewusst?
P. M.: Mein Lehrer hat … was er gewusst hat, weiß ich nicht. Er hat nur auf eine Frage, die ich ihm gestellt hab, ich weiß noch genau die Frage. Wir gingen da in dem ehemaligen Waldlager-Gelände. Und das war also sehr frei gelegen, und da war aufgestockt so mit kleine Kiefern, vielleicht so einen Meter hoch. Und mir haben dann raus gschaut auf die Felder und dann hab ich ihn gefragt: Was war ´n des da mal? Und a paar Schulkameradn waren auch um mich rum, und da hat er gsagt: Da waren mal … Arbeiter gewesen und die haben in einer Plantage gearbeitet.
J. W.: Kann man jetzt vermuten, dass das bewusste Verharmlosung war oder Unwissen?
P. M.: Ah … ich möchte jetzt da nichts vermuten (wägt ab), aber ich .... nachdem es ein Lehrer war, glaub ich, dass er uns die ganzen Zusammenhänge nicht zumuten wollte. Des war vielleicht eine Art der Verharmlosung. Wir haben auch noch gefragt: Plantage, was ist eine Plantage? Also, als Volksschüler frägt ma natürlich, ich war damals in der dritten Klasse. Dann sagt er, da wird Tabak angebaut. Nun war mir des schon klar, weil damals haben hier noch „dp´s“ gewohnt, oder Ukrainer haben wir hier gesagt. Und die haben tatsächlich Tabak angebaut, zum Teil vor ihren Baracken. Und da war uns das klar, aha, damals is in großen Feldern Tabak angebaut worden. (lacht)
J. W.: Auf welchen Wegen bist du dann zu deinen Informationen gekommen?
P. M.: Der erste Weg war, dass ich mir gedacht hab, ich geh jetzt einfach mal zu den Bauern. Es war in den, … meistens an Wochenenden und vor allem in den Ferien. Bin dann um dieses Waldlager, hab ich mir gedacht, da sin die nächstn Bauernhöfe und des war in Notzen, des war in Reith, ja in Rabein. Auch bei der Frau Pfaffinger war ich. Und hab die einfach gefragt. An der Türe angeklopft … war a bissl komisch. Auf der einen Seite, … eine Bäuerin hat mich mal gefragt: Sind Sie von der Kriminalpolizei? (lächelt) Hab i gsagt: Na, Sie brauchen keine Angst haben, ich bin Lehrer, ich bin Geschichtslehrer, ich interessiere mich dafür. Ich möchte des mal meinen Schülern erzählen.
Des war so der Anfang, also man würde … später hat sich daraus, nicht aus meiner Sache, sondern allgemein diese Methode des Befragens, die oral-history, entwickelt. Und dann hab ich gleich gemerkt, das is zu wenig. Die Leute, die erzählen das, was sie unmittelbar gesehen haben, ich brauche die größeren Zusammenhänge. Und bin dann nach Dachau gefahren und in die KZ-Gedenkstätte, und hab mir dort die Akten angesehen, die dort liegen. Das war mir auch wieder zu wenig und dann sagte die dortige Leiterin, die Frau Distel, man solle sich nach Ludwigsburg wenden an die damalige Stelle. Und ich hab dann hingeschrieben, ob man da was wüsste, und dann hat man mir sogar Namen geschrieben von ehemaligen SS-Leuten, gegen die ermittelt wurde. Aber ich müsste dann zur Staatsanwaltschaft gehen und das hab ich getan. Zuständig ist immer der Ort, wo die Verbrechen geschahen. Und das war in diesem Fall Staatsanwaltschaft Traunstein. Und da hab ich dort hingeschrieben und man sagte mir, ich bräuchte eine Referenz, die würden nicht die Akten so schnell rausrücken. Dann ging ich zu meim Schulleiter, der hat mir die Referenz geschrieben, und dann hat´s geklappt. Dann war ich also bei der Staatsanwaltschaft in Traunstein, hab mir dort die Akten angesehen. … Staatsanwaltschaft München I, dort die Akten. Es war´n dann alles, die letzten … Nachforschungen, die von der deutschen Kriminalpolizei durchgeführt worden sind, Ende der 60er, Anfang der 7oer Jahre, und die dann aber alle eingestellt worden sind. Aber sie sind sehr interessant, was die Zeugenaussagen anbelangt, zu diesen Lagern … zum Verhalten der Häftlinge, zum Verhalten der SS.
J. W.: Hast du von der Seite der Bewacher oder der Lagerorganisation Leute sprechen können?
P. M.: Ja. … Ich habe mit einigen Leuten von der OT gesprochen, die inzwischen leider gestorben sind. Es waren alte Ingenieure. Mit einem bin ich dann auch draußen gewesen am Bunker, der mir einiges erzählt hat. Dann mit einem Herrn aus Ampfing, auch inzwischen tot. Und dann mit einem SS-Mann. Und … dessen Anschrift hab ich bekommen von wiederum einer Bäuerin von dem Ort … Holzgasse! Von Holzgasse, weil der war dort einquartiert zum Schluss des Krieges. Und die Bäuerin hat mir gesagt wie der heißt, und sie könne mir auch eine Adresse geben eines Bekannten von dem. Da bin ich wieder über einen Gymnasiallehrer, einen Kollegen von mir, an dessen Wohnort an den ran gekommen. Ich hab den also nicht direkt angegangen, sondern ich hab sozusagen mich vermitteln lassen. Weil das war ein bisschen … ja, ein bisschen eigenartig, jetzt direkt einen SS-Mannn anzusprechen: "Sie, ich hab da Interesse dran. Jetz sagen Sie mir einmal, was da für Verbrechen geschehen sind."
Ich bin dann dorthin gefahren, des war in Piding bei Bad Reichenhall. Der Herr hat mich aber ganz freundlich da aufgenommen, und hat mir dann erzählt, wie es da draußen im Waldlager zugegangen ist.
J. W.: Wie bist du denn an die Häftlinge rangekommen?
P. M.: Die Häftlinge? … An die bin ich über … erstens einmal … muß ich jetzt, ich kenne jetzt verschiedene Häftlinge … (überlegt) Der erste, den hab ich antelefoniert, der war in Markt Schwaben. Die Adressen waren bei der Staatsanwaltschaft. Das waren die Zeugenaussagen. Und die am nächsten gewohnt haben, die hab ich antelefoniert, bzw. angeschrieben. Der in Markt Schwaben sagte, er möchte von der Sache nix mehr wissen, ich bräucht mich gar nicht bemühen. Dann war ich in Stockdorf bei München, da konnt ich kommen, der hat mir dann etwas erzählt. Und dann hat mir der Herr Huber, Rudolph Huber aus Ampfing, der Gemeindesekretär dort war, hat mir dann einen sehr gut informierten ehemaligen Häftling empfohlen, das war der Herr Dembik aus Neumarkt/St. Veit. Den hab ich dann aufgesucht und mir haben uns lange unterhalten. Der hat mir viel erzählt. …
Ich hab dann diese Aufsätze im Mühlrad vom Heimatbund Mühldorf geschrieben, die sind veröffentlicht worden. Dann, auf diesen Aufsatz hin is hier angelaufen die Aktivität auch auf politischer Ebene, hier im Landkreis. Da muss man einmal sagen, das Interesse ging zunächst von der Partei der Grünen aus, die damals aufgekommen sind. Dann gab´s hier eine Friedensinitiative, so hat sie sich genannt. Die haben sich immer gleich interessiert, ja. Und diese Gruppierungen die haben damals … den damaligen Bürgermeister Gollwitzer von Mühldorf angegriffen auf Grund seiner Tätigkeit im Dritten Reich. Und man hat dann … es war dann mein Eindruck, hier auch von politischer Seite allgemein, wohl gesehn, man müsse sich mit der Sache mal genauer auseinander setzen. Es ist dann im Lodronhaus die Ausstellung entwickelt worden, das hat damals Dr. Spagl mit angeregt. Als diese Ausstellung stand, hat sich die Israelitische Kultusgemeinde angemeldet. Mich hat der Herr Mannheimer angeschrieben. Über den Herrn Mannheimer wiederum haben dann die allgemein bekannten, auch im Film von dir und von Rainer Ritzel dargestellten und auftretenden Zeugen gesehn. Also Herr Mannheimer selber und Adolf Weiß. Und an die bin ich dann auf diese Weise auch rangekommen. Also des war so ein langsames sich Vortasten … (lächelt) Der Herr Mannheimer hat da dann noch vermittelt, aber vorher waren vor allen Dingen Herr Dembik … Und na ja, der SS-Mann ist wieder was andtres, des war die andere Seite, die auch sehr interessant war. Es war der Einzige, den ich von dieser Seite kennen gelernt habe.
J. W.: Hast du irgendwo bei deinen Recherchen gemerkt, dass jemand … versucht, etwas zurückzuhalten? Ich mein, bisher war ja nur im Gespräch, diese eine Referenz, die verlangt worden is von der Kriminalpolizei, bzw. vom Amtsgericht. Was auch relativ logisch is, was man logischerweise nachvollziehen kann. Aber in anderen ähnlich gelagerten Fällen, wo solche Recherchen durchgeführt wurden, gab es ja diverse Probleme. Hast du des in irgendeiner Weise auch gespürt oder is das bei deiner Arbeit nicht vorgekommen?
P. M.: Da könnt ich jetz spontan nicht sagen, dass ich da irgendwo jetzt irgendwie Hindernisse bekommen hätte. Also, die ersten Hindernisse lägen nahe, vor Ort, auch einsichtiger Weise. Hab ich nicht bekommen. Und zwar hier im Stadtarchiv in Mühldorf fand damals, das war 78/79, ein Wechsel in der Belegung statt, also in der Leitung statt. Es ist der alte Leiter, der ehemalige Bürgermeister Gollwitzer, der war ja der Leiter des Stadtarchivs auch, der ist verstorben. Es kam dann ein neuer Leiter, der Herr Angermeier, nicht. Und der Herr Angermeier, der hat mir jeder Zeit da Zugang gewährt. Ich konnt da durch … ich war oft bei ihm und hab dann auch die Akten so durchgeschaut, Zeitungen, was halt da so da war, hatt ich also nicht den Eindruck, dass er was zurückhält. … Es is jetz so, ich hab mir gedacht, die Frage hab i mer selber vorgelegt, wären es Recherchen gewesen gegen Persönlichkeiten aus dem Orte selbst, oder über solche Persönlichkeiten, da könnte es sein, dass ich vielleicht nicht so offene Ohren gehabt hätte, wie vorher. Weil da gibt´s ja Paralleluntersuchungen in Passau, nicht, und dort hatte die Dame … jetzt fällt mer der Name …
J. W.: Mir auch nicht, aber wir wissen …
P. M.: … wir wissen´s, wer gemeint ist. Die … Frau Rosmus … die hatte erhebliche Schwierigkeiten, sowohl bei der Stadt, als auch beim Ordinariat, nicht. Aber … das hatte ich hier nicht. Und zwar läßt´s sich leichter drüber sprechen, denn, ich hab so den Eindruck, die Stadt Mühldorf war nicht vom KZ selbst berührt, des war´s ja auch nicht. Der damalige Bürgermeister Gollwitzer, der hatte mit dem KZ selber nichts zu tun, es lag draußen, es war Gemeindegebiet Mettenheim. Oder gemeindefreies Gebiet im Waldlager oder es war dann Mittergars gewesen oder eben Gemeinde Obertaufkirchen, des … KZ-Lager Thalham.
Und da kann man hier leicht drüber reden, das is auch so. Und ich glaub, man hat aber sich auch weiter ein … ja, … wie soll man jetzt sagen … sich selbst einen Ruck gegeben und gemerkt, man müsse hier auch a bisserl was aufarbeiten. Und solle da … sollte dazu auch behilflich sein. Weil die alte Garde, jetz mal in Anführungszeichen, die noch aus der Zeit stammt, die sich zurückgehalten hat, die vielleicht auch was verdrängt hat, die war abgetreten. Und jetzt kamen jüngere Leute, ich war damals auch noch jünger, persönlich unbelastet. Und ich hab´s dann allerdings auch so gemacht, ich hab niemandem irgendwie zu erkennen gegeben, dass ich ihm jetzt einen moralischen Vorwurf mache. Also auch diesem SS-Mann, mit dem ich gesprochen habe. Ich hab das dem gleich gesagt: Hören Sie, ich mach Ihnen keine Vorhaltungen, ich möchte nur wissen, wie das war. Und der hat mir dann wirklich … Details auch erzählt von dem Waldlager, Essen und Verhalten der Häftlinge, auch Verhalten der SS-Leute. … Es war meine Art der Fragen ohne Vorhaltungen heranzugehn, die Sache zu erfahren, und jetzt nicht, meinetwegen auch groß Namen zu erwähnen.
J. W.: Kann es sein, dass der Beamtenstatus in Zusammenarbeit mit … oder in Zusammenschau mit dem Historiker auch die etwas offenere Haltung deutlich gemacht hat? Und auch ein Alter, das jenseits von 20 war? Weil die Frau Rosmus war ja in der Größenordnung 20, bzw. abiturähnlich, und die Jugend damals Anfang der 70er Jahre durchaus immer im Verdacht, zu wühlen bzw. zu opponieren. Und du warst ja schon 10, 15 Jahre drüber, und außerdem is dem Lehrer und Beamten ja womöglich auch unterstellt worden, dass er nicht gegen den Staat arbeitet. Denn schließlich haben wir ja damals alle auf dem FDGB mehr oder weniger Platz nehmen müssen, weil wir unseren Eid geschworn ham.
P. M.: (lacht) Ja, … also … es kann sein, dass das so gewisse … na, ja, Vertrauenswürdigkeit bringt, wenn ma Beamter is. Also, dass man da nicht jetzt gegen irgendwelche rechtlichen Dinge verstößt. Das sind vor allem, also in diesem Bereich, sind vor allem … Datenschutzgründe. …
Jetz fällt mir doch noch was ein! Ich hab eine kleine Aversion bekommen in der Gemeinde Mettenheim, als ich den dortigen Bürgermeister Spieske angesprochen habe. Mit dem bin ich a bisserl … zusammengerückt, d. h. er mit mir. Ich habe, quasi, ihn so a bisserl beleidigt, oder seine Interessen (lacht). Ich weiß das noch, ich hab gefragt, wo er zu finden sei. Er sei da unten, wo des ehemalige Lager war. Da war er wirklich grad, hat irgendwie mit der Gemeinde was zu tun gehabt. Da traf ich ihn, er war er an sich zunächst freundlich. Und dann hat er gesagt, das sei ein Kriegsgefangenenlager gewesen von russischen Kriegsgefangenen.
Na, (lacht) , dann hab ich gsagt: Die russischen Kriegsgefangenen interessieren mich jetzt nicht. Ich möchte gern über das KZ-Lager was erfahren. Da ist er hochgegangen. Kriegsgefangene waren auch Menschen, hat er gesagt. (lächelt) Kriegsgefangene waren auch Menschen, … und da hat er mir a bisserl was erzählt. Und ich war dann noch mal bei ihm und wollte in dem … Gemeindearchiv persönliche Daten nachforschen von … einfach mal nachschauen, wer da evtl. verstorben ist. Die sind ja in den Ortsgemeinden registriert worden, auch auf den Standesämtern, die Toten, am Anfang von dem KZ. Später nicht mehr, da lief das über Dachau, aber am Anfang. Und … nach dem Krieg. Und da hat er gesagt, nein, bekommen Sie nicht. Da liegt der Datenschutz drauf. Da mag er Recht gehabt haben, aber in der Nachbargemeinde Ampfing, da hab ich jederzeit Einsicht bekommen, da lag offensichtlich der Datenschutz nicht drauf (lächelt).
J. W.: Nehmen wir mal an, er hat die Datenschutz-Richtlinien nicht optimal gekannt.
P. M.: Ja. … (nickt und lächelt).
J. W.: Du hast, so etwa in der Mitte von unserem Gespräch, einmal gesagt, es hat dir nicht gereicht, was dir die Leute erzählt haben, die drum rum waren. Also „oral history“ war dir im Prinzip zu wenig. Warum? Oder an welchen Stellen waren da die sensiblen Stellen, wo du sagst, jetz brauche ich mehr?
P. M.: Ja, es is jetzt keine, sagen wir mal Abwertung der Gesprächspartner gewesen. Sondern es war einfach die Erkenntnis: Es sind wertvolle punktuelle Mitteilungen, die die Leute zu machen hatten. Aber, sozusagen, das Oberbegriffliche, das fehlt. Also, wer hat eigentlich die Befehle gegeben. Zum Beispiel eine Bäuerin hat mir gesagt, bei ihr sei einquartiert gewesen: ein … der Lagerarchitekt, so hat sie ihn genannt, des Waldlagers, inzwischen wieder Architekt in Innsbruck. Jetzt dacht ich mir, ja wie komm ich jetzt an … ich wollt mich … mich interessierten die Lagerpläne, wie komm ich an Lagerpläne? Ja, wo geh ich da jetzt hin? Na ja, sollst nach Innsbruck fahren? Das hab ich jetzt nicht gemacht, weil … der wird sich die Lagerpläne ja wohl nicht mitgenommen haben in sein modernes Büro. Jetzt bin ich nach Dachau. Das waren also eigentlich Sachzwänge, die mich dazu veranlasst haben. Jetzt entweder nach Dachau zu gehen ins Archiv oder eben zu den Staatsanwaltschaften. Und dann hab ich mir eben diese … ja, die Zusammenschau selbst gemacht. Und später is dann ein Dokument nach dem anderen gekommen. In Mittergars war ich bei einem ehemaligen Arbeiter von Aschau, vom Werk Aschau. Und der hat mir dann plötzlich einen Riesenplan gebracht von allen Lagern im Landkreis Mühldorf, die geplant waren. Das is jetzt der Plan, der auch im Lodronhaus hängt. Ich hab ihm gsagt: Hören Sie einmal, diesen Plan, den geben Sie am besten dem Landreis, also im Landratsamt ab, weil der sehr interessant is. Das hat er dann auch gemacht und hat ihn dem damaligen Landrat gebracht. Das war so Mitte der 70er Jahre.
Und … es sind so Einzelheiten gewesen. Also man muss sich bei dieser Arbeit quasi wie mit Mosaiksteinchen ein Bild zusammensetzen. Und des ist eigentlich … aber, der Anfang ist die „oral history“. Also, ich möchte die jetzt nicht abwerten, im Gegenteil. Das plastische, sozusagen das Fleisch, das zwischen dem Gesamtgerüst hängt, das bringt eigentlich erst die „oral history“ raus. Wenn man jetzt so die beiden Damen (Pfaffinger/Bichlmaier. Anm. JW) gehört hat, die bringen das eigentlich Lebendige rüber, während das andere eigentlich trockene Akten sind. Man kann dann tagelang die Akten des Mühldorf-Prozesses im Hauptstaatsarchiv in München durcharbeiten, ich bin da einige Male oben gewesen. Später wurde es ja dann auch von Frau Dr. Raim durchgearbeitet, und dann von Herrn Fürmetz hier von Mühldorf. Und das is sehr trocken. Aber interessant, und da kriegt man natürlich dann so die oberste Schicht, also bis hin zu Speer, zu Albert Speer, der ja auch im Mühldorf-Prozess befragt worden ist. Oder dann zu dem Hermann Giesler, des war der Leiter der OT-Einsatzgruppe 6 in München. Die wurden alle hierzu befragt. Und das Organisationsschema der Organisation Todt von Berlin bis runter nach Ecksberg oder bis zur Hauptbaustelle. Das kann man dann aus den Akten rausholen. Das is genauso wichtig, aber ich find „oral history“ ist ebenso wichtig und Details kann man da auch rausholen.
Also soweit zu dem Begriff „oral history“. Ich find ihn als Ansatzpunkt unbedingt notwendig und sogar äußerst interessant, weil man da immer mehr emotional auch rangehen kann.
J. W.: Was ist für dich noch am Weitestgehenden ungeklärt?
P. M.: Äh, … wie jetzt ungeklärt? An dem Gesamtkomplex?
J. W.: Ja.
P. M.: Weitestgehend ungeklärt … (überlegt)
J. W.: Also, ich kann´s auch anders sagen …
P. M.: Ja?
J. W.: … Was würdest du noch gerne wissen wollen?
P. M.: Was würde ich noch gerne wissen wollen, das ist … die Verbindung der Lagervorgänge und auch OT, also des gesamten Baugeschehens, mit der am Ort, in der Region, vorhandenen Institutionen. Sprich hier: Was hat das KZ-Lager Mettenheim mit der Gemeinde Mettenheim zu tun gehabt? Also, da hatte ich ja eine Blockierung gekriegt vom Herrn Bürgermeister. … Übrigens beim Pfarramt war ich auch in Mettenheim. Beim Pfarrerr dort, und er sagt: Ja, da war ein Judenlager, aber mit dem hatten wir nix zu tun und so weiter und so fort. Obwohl man da schon was zu tun hatte. Das hab ich wiederum hinten rum rausgekriegt über eine Aussage vom … Lagerleiter, vom Eberl. Des war der SS-Hauptscharführer des Lagers. Also auch kirchliche Institutionen hatten … tangierenderweise mal mit dem Lager vielleicht zu tun, und im Mettenheimer Fall war es eine Beerdigung.
Und dann würd ich sagen: Gesundheitsamt, Krankenhaus. Weil da draußen sind die Leute zu Hunderten, zu Tausenden gestorben – Flecktyphus, ja. Also das Gesundheitsamt muss damit irgendwie wohl doch mal in Kontakt gekommen sein.
Dann … ja, ganz praktische Dinge der Infrastruktur. Woher kam der Strom? Isar-Amper-Werke. Wer hat das hingelegt? Wie war des? Staatsforst-Verwaltung. Da hab ich auch ein bisschen was gekriegt, ja. Interessanterweise eine Art … ja, …damals überraschend, eine Art … Kritik der Staatsforst-Verwaltung an der KZ- und OT-Verwaltung. (lächelt) Ganz interessant, aus dem Jahr 1944.
Solche Dinge wären also sehr interessant, und harren in irgendeiner Weise noch der Aufarbeitung.
J. W.: Hast du irgendwo einmal einen Punkt gehabt, wo du gemerkt hast, dass du vorher in falsche Richtungen gedacht hast?
P. M.: (überlegt stark) … Falsche Richtungen … (schüttelt leicht den Kopf) … dass man sich vielleicht verzetteln könnte! … Verzetteln in bestimmte Richtungen, also, wo man etwa bei Aussagen von Häftlingen nicht mehr weiterkommt. Der eine Häftling sagt so, … a Beispiel Lager Mettenheim: Ungarische Häftlinge haben ausgesagt vor der Staatsanwaltschaft in Budapest, in Mettenheim-Lager seien von dem dortigen Lagerführer Eberl - den ich da vorhin erwähnt hatte – Häftlinge an den Beinen aufgehängt worden. … Haben die ausgesagt. … Andere Häftlinge haben gesagt: Nichts gesehen, kann ich mich nicht erinnern, so was gesehen zu haben, ich war auch in diesem Lager. Herr Dembik z. B. hat … Nein, hab ich nicht gesehen. Des waren also so bestimmte Dinge, wo man sagt, da kommt man nicht weiter. Und wenn ich bei der Quellenlage sehe, da sind eindeutige Widersprüche, da geh ich auch da nicht weiter, um es rauszubringen, ja, hat der nun aufgehängt oder hat er nicht aufgehängt? Das überlass wir mal, würd ich sagen, der Staatsanwaltschaft. Und die haben auch diesen Widerspruch gesehen, und haben auf Grund dieser Widersprüche in Zeugenaussagen auch dann die … Nachforschungen in diesem Fall jeweils eingestellt. Da kommt ma auf keinen grünen Zweig, wenn man einerseits Mordvorwürfe da bringt, andererseits, ja, ich hab nix gsehen. Wer hat nun recht, ja? Also, des sind solche …Detailfragen …
(überlegt) Sonst fällt mir jetzt da in dem Fall nichts ein. Ich würd auch sagen, also insgesamt, würd ich sagen, dass die Behandlung der Häftlinge, das Leid, das da geschehen ist, die Mangelernährung, die mangelnde sanitäre Versorgung, dass das inzwischen weitestgehend aufgearbeitet ist. Man kann es gerne noch weiter untersuchen, aber ich persönlich würde da für mich jetzt mal einen Schlusspunkt setzen. Also, ich würd jetzt nicht weitersuchen: Weiß noch jemand, wer da im Waldlager oder wo noch ein Verbrechen begangen hat. Das kann meinetwegen die Kriminalpolizei machen. Als geschichtlich Interessierter würde mich des jetzt nicht interessieren. Für mich ist es genügend dokumentiert. Da sind Verbrechen geschehen, eindeutig erwiesen, weiter gehe ich da nicht.
Aber was mich jetzt interessieren würde an der ganzen Sache, wären psychologische Fragen. Wie sieht die Psyche eines SS-Mannes aus? Wie wird man Lager-SS-Wächter oder SS-Mann im Lager? Also diese Bereiche, die sind meines Erachtens noch zu wenig aufgearbeitet.
J. W.: Und wie wird man, während man SS-Mann ist, anders?
P. M.: Wie wird man anders. Es gibt ja, … ich möchte jetzt da nicht sagen, jetzt nur auf diese Verbrechen abzuheben, ja, die geschehen sind, sondern es gibt, oder es gab, SS-Leute, die zu ihren Häftlingen gut waren. Nicht nur in Anführungszeichen, sondern tatsächlich. Des war z. B. der SS-Hauptscharführer Ammer im Waldlager, des war der dortige Lagerführer. Also Ostermann, das war der Chef der Wachmannschaften, der war eigentlich der oberste Lagerführer. Aber der Ammer war sozusagen Schutzhaft-Lagerführer könnt man sagen im Waldlager. Und der ist von allen Häftlingen, wirklich von allen, als … guter Kerl … bezeichnet worden. (Zählt auf) Dass er also Häftlingen geholfen hat, dass er nett war zu ihnen, dass er auf eigene Kosten Medikamente besorgt hat in einer Ampfinger Apotheke … und solche Dinge werden von dem erzählt. Es gab also auch SS-Leute, die mit diesem Gesamtsystem, das verbrecherisch war, sich sauber gehalten haben. Und man musste nicht zuschlagen. Viele haben zugeschlagen von den SS-Leuten. Aber man musste es nicht. Man hätte ja auch freundlich sein können. Das hat der Ammer gezeigt und gelegentlich auch andere … SS-Leute … gelegentlich.
J. W.: Hattest du irgendwie Kontakt mit einem aus der Kapo-Ebene? … Kapo und Blockältesten-Ebene?
P. M.: Ja, gut … der Begriff Kapo is jetzt ein Allgemeinbegriff für Funktionshäftling, ja. Mit einem Arbeitscapo hatt ich kein Kontakt, aber … ein Kapo, also Revierpfleger, wenn man den als Kapo bezeichnet, des war der Herr Dembik. Der war Revierpfleger, mit dem hatte ich Kontakt. Dann (hebt die Schultern) … Kapo, weiß ich nicht, ob der Herr Weiß aus Zürich als Kapo zu bezeichnen ist der Küche … würde ich jetzt nicht sagen. Er war halt Mitarbeiter, Häftlingsmitarbeiter in der Küche. Sein Chef war ein SS-Mann namens Seer mit dem gut auskam, hat er seinerzeit erzählt. Also, von der belasteten Kapo-Ebene, einige Kapos waren schwer belastet, einer ist auch zum Tod verurteilt worden, des war ein Häftling namens Unrecht, da hatte ich keinen Kontakt. … Viele haben auch nimmer gelebt, es war mehr dann Zufall. Dass also der Herr Weiß gesagt hat: Der war in der Küche gewesen, oder … (überlegt stark) wer war des? … Ich weiß net, der Bruder von Herrn Mannheimer, dass der in der Wäscherei war. Kapo … weil er hat einmal erzählt gehabt, Wäscherei wurde ausgerufen, da musste er drauf reagieren. … Gut … das waren aber jetzt mehr Zufälle, ich hab die jetzt nicht gesucht. Ich hab die kennen gelernt, und diese Kapos, die waren ja eingesetzt von der SS. Zur Lagerselbstverwaltung, wenn man´s mal so sagen will. … Und die konnten, und die meisten habens auch getan, für ihre Leidensgenossen viel tun, konnten sie mal verstecken, sie konnten ihnen mal mehr ein Stück Brot geben. Aber gelegentlich, vor allem die Arbeitskapos, also die draußen auf den Arbeitsstellen waren, die haben … würde ich jetzt mal sagen … ihre Mithäftlinge nicht gut behandelt. Aufgefordert wieder durch die OT und durch diese Vorschriften, die die rausgegeben haben.
J. W.: Wenn man an das Massengrab am Kronprinzenstein denkt, ist das das einzige?
P. M.: Das frag ich mich bis heute. Des wär jetzt so ´ne Frage, die da noch offen geblieben is. Das einzige Massengrab war hier im Wald draußen, im Mühldorfer Hart, meines Wissens ja. Ich hab mal gehört, es sei am Roten Kreuz noch mal was gewesen. Also, wenn man von Mühldorf nach Waldkraiburg fährt, dieses Forstquadrat Rotes Kreuz, aber, da hab ich nichts gehört. Die einzige Ausgrabung, gibt´s auch einen Ausgrabungsplan, ist der Kronprinzenstein, wo diese vielen Toten herausgeholt wurden, diese über 1900. Und die weiteren Massengräber, die gab´s dann in Mittergars, die sind ausgegraben worden bei dem dortigen Lager. Dann war ja auch nach dem Krieg in Mittergars, in Lohen, bis in die 50er-Jahre ein KZ-Friedhof. Und in Thalham, bei dem dortigen KZ, gab es kein Massengrab.
Aber man hat mir dort gesagt, das war etwas makaber, ein Bauer, den ich da auch befragt hab, der hat gsagt, da seien die Leichen, oder Knochen seien da rumgelegen. Das habe er erfahren oder selber gesehen. Das konnt ich jetzt nicht so verifizieren. Die seien irgendwie von Tieren dann ausgegraben worden, oder … da bin ich nicht weiter nachgegangen.
Was ich von Thalham weiß, ist, dass der dortige Pfarrer, der katholische Pfarrer, die im Lager verstorbenen Häftlinge, des waren so um die 25, im katholischen Kirchenfriedhof in Obertaufkirchen begraben hat. Und zwar nach katholischem Ritus, wie er gesagt hat, weil er nicht wusste, bei am Toten merkt man´s ja nicht, ob er katholisch ist, evangelisch oder Jude oder Atheist, er hat alle nach dem katholischen Ritus beerdigt.
Also, das Massengrab in Lohen ist aber aufgelassen worden, das war diese wilde Beerdigung. Da gab´s so einen eigenen würdigen Friedhof dort.
J. W.: Du hast am Anfang gesagt, du hast bei denen geklingelt, in der Umgebung, und hast die dann befragt.
P. M.: (lächelt, nickt) Ja.
J. W.: Das hört sich relativ mutig an, weil man ja zu dem Zeitpunkt öffentlich eigentlich relativ wenig drüber geredet hat. Beziehungsweise, was nicht über´n Stammtisch rausging über zufällige Themen, wenn man zufällig einmal draufkam in Erinnerung an diese oder jene Person, die zu irgendeinem Zeitpunkt einmal was erlebt hat, ist es ja eigentlich eine Methode, die recht überraschend kommt. Weil, wenn ich die Tür aufmache und dann fragt mich jemand so was, oder fragt mich da danach, hätt ich eher größere Zurückhaltung erwartet bei den Leuten. Man hat ja nicht immer Zeit, der kommt ungelegen in jeder Hinsicht …
P. M.: (lächelt und nickt) Ja, …
J. W.: … oder sonst irgendwas. War es … auch so, dass du da andere Gelegenheiten gehabt hast, wo du Leute befragt hast?
P. M.: Ja, also dieses … an der Türe klingeln, des war tatsächlich meine Methode. Die haben mich vorher nicht gekannt, bzw. ich hab sie vorher angeschrieben, das war dann bei denen, die weiter weg waren. Die hab ich angeschrieben, ob ich kommen könnte, ob ich sie mal anrufen könnte. Das hab ich so gemacht. Aber hier, bei Frau Pfaffinger z. B., bin ich … hab ich geklingelt, oder in der Umgebung hab ich geklingelt. Das ist dann schon überraschend für die Leute, vor allem wenn man zur ungelegenen Zeit dann kommt. Ich hab dann … (lacht in sich hinein) man kommt sich a bisserl wie ein Hausierer vor, ja, in dieser Sache. Aber, außer einem Fall hab ich dann doch, haben Sie gesagt: Kommen´s weiter. Ich habe dann am Schluss, vorher nicht, aber am Schluss immer, wenn ich gegangen bin, hab ich Ihnen eine kleine Schachtel Pralinen dortgelassen. Da haben sie sich gefreut. Aber vorher hab ich sie ihnen nicht gegeben, sondern danach! Weil ich hab mir gedacht, man kann die Leute doch nicht einfach jetzt so befragen, ich hab dann … schon mal a bisserl was dortgelassen. Aber beim ersten Mal und sonst konnte ich ja wiederkommen. Es war vielleicht auch a bisserl berechnend von mir, also das mag schon sein. (grinst verschmitzt) Auf der andern Seite kann man nicht erwarten, dass die Leute jetzt plötzlich sich da interessiern: Jetzt interessiere dich mal für mein Anliegen! Es war ja zunächst ein persönliches Anliegen, das ich aber schon begründet habe: Ich möchte des für die Schule verwenden. Dass dann draus mal eine Veröffentlichung geworden ist, das ist erst nachher gekommen, nachdem mich der Herr Angermeier angesprochen hat, ob ich nicht einmal im Heimatbund das veröffentliche.
Ja, in einem Fall hab ich … das ist vorhin schon mal gefragt wordtn, hat mich einer, als ich geklingelt habe, abgewiesen. Des war auch in einer der umliegenden Ortschaften und der hat gesagt, er war damals erst 5/6 Jahre alt, der kennt zwar dieses Lager da drin, weil er mit seim Vater reingefahren is. Der Vater war ziviler Arbeiter im Lager, die gab´s nämlich, zivile Arbeiter im Lager, der musste den Häftlingen zeigen, wie man Bäume fällt. Weil die mussten ja ihr eigenes Lager roden und herrichten. Und der musste denen zeigen, wie man Bäume fällt. Hab ich gsagt: Ja, könnt ich mit Ihrem Vater sprechen? Er hat gsagt: Der ist da oben, im ersten Stock. Aber den lassen wir einmal in Ruhe. Also, er hat seinen Vater dann abgeschützt. Ich hab das respektiert, hab mich bedankt und bin dann abgegangen.
J. W.: Große Diskussion ist ja immer darüber, wie viel hat die Bevölkerung aus der Umgebung von den Lagern bzw. vom Bunkerbau gewusst. Wie schätzt du das nach deinen entsprechenden Befragungen ein?
P. M.: Nach den Befragungen, die also ich da gemacht habe, die Leute, die ich hier kenne, die meisten haben von dem Bunkerbau gewusst, weil ja die OT-Leute – es waren ja immerhin hier im Landkreis um die 1000 OT-Leute gewesen, also direkte OT-Angestellte – die wohnten privat. Vor allem die Ingenieure, die Meister, die wohnten in Familien, die waren einquartiert. Die haben erzählt: Ja, wir arbeiten draußen. Und es hat sich rumgesprochen, sicher das ist ganz normal: Ach, beim Nachbarn wohnt ein OT-Mann. Ja, was is OT? Dann wird des erklärt: Ja, die bauen draußen einen Flugzeugbunker.
Es war natürlich geheim. Es stimmt schon, was die Frau Pfaffinger gesagt hat: Das Betreten für Zivilisten war da nicht erlaubt. Also, dass die den gesehen haben, des glaub ich, waren die wenigsten. Aber man hat gehört, da wird gebaut. Es wurden ja auch die Anlagen errichtet, es war dauernd der Verkehr auf den Straßen, mit der Eisenbahn, es muss ja aufgefallen sein.
Und … dann … die … Jetzt muss ich mir erst mal wieder an roten Faden drehen … die …
Es gab welche, die reingekommen sind. Und zwar ist das vor allem Jugendlichen gelungen, wenn sie noch kleiner waren. Oder großen Buben. Habe da mit dem Herrn Mittermeier (?) gesprochen von Ampfing, das is der Bruder des Baumeisters gewesen, der inzwischen verstorben is, der damals den Gedenkmarsch veranlasst hat, dessen Bruder. Der hat mir auch erzählt, der ist mitgenommen wordn rein in die Hauptbaustelle. Weil für einen Buben, des wär mir auch nicht anders gegangen, war des des Höchste, mit einer Lokomotive zu fahren, mit einem solchen dieser Züge, die also von Ampfing da rein gefahren sind, mitzufahren. Und da hat der Lokomotivführer gsagt von so einer Industrie-Lok: Ja, da fahr doch mit usw. Darfst dich hineinsetzen. Und er hat mir erzählt, dass er einige Male drin gewesen ist und a bisserl durchgefahren sind. Und das war natürlich des Höchste für einen Buben. Aber Erwachsene, bloß hingehn und anschauen, wie ist denn das, des war nicht möglich. Das war eingezäunt. Des ganze Gelände war eingezäunt.
Übrigens auch die Lager warn ja eingezäunt und da hingen auch Tafeln: Nicht stehen bleiben! Wer mit Häftlingen spricht, hat mit scharfem Beschuss zu rechnen! Ja, das war an den Zäunen gehängt im Waldlager, weil Ampfinger … und die Leut, die sind also an schönen Herbsttagen, im Winter dann vielleicht weniger, aber im Herbst is man da spaziern gegangen, auch Schwammerl suchen. Hat mir eine Bäuerin erzählt: Ja, da hingen überall diese Tafeln: Nicht stehen bleiben! Wer mit Häftlingen spricht, hat mit scharfem Beschuss zu rechnen! Und … die sind dann halt an den Zäunen vorbei gegangen, und … sie hat mir dann erzählt, was sie halt beobachtet haben.
J. W.: War jetzt die Ansiedlung dieses Bauwerks eigentlich eine Folge von dem schon vorhandenen Flughafen?
P. M.: Das glaube ich nicht. Es war mit vielleicht ein Grund, aber einer der Nebengründe. Die Ansiedlung dieses Bauwerks war ganz generalstabsmäßig geplant von Berlin aus. Und zwar gab´s da den Befehl, der ist vorhanden, von Adolf Hitler, des war am 21. April 1944, dass die Flugzeugindustrie in sechs unterirdischen, oder halbunterirdischen Bauwerken unterzubringen is. Und des Ganze werde dann von der OT bereitet. Und dann hat man die entsprechenden infrastrukturellen … Dinge geschaffen, und vor allem musste die Geologie geprüft werden. Es hieß, rein von der Gesamtstrategie her war Süddeutschland noch am wenigsten gefährdet durch die alliierte Bombadierung. Die Amerikaner mussten über die Alpen fliegen, die Engländer hätten ganz nach Süden fliegen müssen, also Süddeutschland is auch dann ganz am Schluss erst besetzt worden. Also, des war der strategische Grund.
Dann gab es den geologischen Grund. Nämlich die Schotterfläche des Inns. Das Wasser … das Grundwasser war etwa 26 Meter tief weit unten, so konnt man also da auch gut runterbauen. Dann: Das Material war vorhanden. Das wurde extra erwähnt, dass der Kies, den man ja da so ungefähr nach einem Meter antrifft, dass man den nicht einmal mehr reinigen muss, sondern den kann man einfach raus … so wie ihn der Inn einst angeschwemmt hat, kann man den rausholen. Man muss eben nur noch durch Rüttelsiebe gehen, um nach Korngrößen zu sortieren. Das war also ein wesentlicher Grund.
Diese Geologie, die dann auch bei Landsberg eine Rolle gespielt hat, beim Lech, bei der Iller-Lech-Platte. Dann waren es die Tarnungsgründe von dem Mühldorfer Hart. Und natürlich schon ein infrastruktureller Grund: die Eisenbahn. Der Bahn-Knotenpunkt Mühldorf. Also die Strecke, die da zusammen kam: Landshut – München – Rosenheim – weiter nach Osten herüber, des bot sich sicher an. Es war bereits industrialisiert und zwar mit Rüstungsindustrie. Des waren die Pulver-Werke Kraiburg und Aschau. Dann Gendorf war in der Nähe, des waren die IG Farben gewesen. Also, dass man auch auf eventuelle Facharbeiter hätte zurückgreifen können. Und dann war es noch das Aluminium-Werk Töging. Wie weit das ´ne Rolle gespielt hat, kann ich jetzt nicht sagen. Aber, ich kann mir das durchaus vorstellen, dass die Auswahl dieses Ortes Mühldorf hier auf Grund dieser hier eben aufgezählten Tatsachen getroffen wurde.
J. W.: Jetzt sind da Tausende von Häftlingen antransportiert worden um dort zu arbeiten. Und dann hört man bei den Erzählungen, dass etliche davon abgezweigt wurden, in sehr geringer Zahl, aber immerhin abgezweigt wurden, für Feldarbeit. Waren des persönliche Gefälligkeiten oder Beziehungen, wodurch die überhaupt in die Landwirtschaft kamen, oder wie kam des überhaupt zu Stande?
P. M.: Also ich glaube, dass es eher persönliche Beziehungen waren. Wär mal interessant, der ganzen Sache a bissl tiefer nachzugehn, des wär auch so diese Frage: Was … wo ham die Häftlinge für die Umgebung gearbeitet? Sei es nun für Firmen, oder eben auch für Privatleute. Aber ich glaube jetz, dass es persönliche Beziehungen warn. Z. B: eine dieser Bäuerinnen hat mir erzählt der … Lagerarchitekt, so hat sie ihn genannt, der hat bei ihr gewohnt, also bei ihnen im Haus und als einer der Tiefflieger kam, die da erwähnt wordn sind vorhin auch von den beiden Damen. - Dann is das Haus beschädigt wordn, es sin Explosionen auch gewesen von Waldkraiburg her, da hat´s riesige Explosionen gegeben. Da war ja am 11. April dieser große Luftangriff – Und da hätt´s bei ihnen am Haus die … s´Dach beschädigt. Und da sind Häftlinge gekommen und ham des wieder eindecken müssen. Des war offensichtlich durch diesen, nehm ich jetz mal an, bei denen wohnenden SS-Mann iniziiert, dann haben Leute, also auch in der Landwirtschaft gearbeitet, des war in der Feldarbeit, im Herbst Kartoffeln klauben. Dahinter kann ich mer vorstelln, dass da … die SS selber ein Interesse hatte, weil die Kartoffeln von den Bauern wieder ins Lager geliefert werden mussten.
J. W.: Hast du des jetzt so erfahren, dass die Bauern Zulieferer warn? Weil an dem Wochenende ham wir eigentlich vorwiegend gehört, dass Waggons ausgeladen wurden und sie nur Transportdienste zu leisten hatten ins Lager.
P. M.: Kartoffeln?
J. W.: Ja.
P. M.: Des is mir jetzt … der Punkt is mir jetz neu!
J. W.: Ja? Der is mir eben an dem Wochenende auch neu zweimal erzählt wordn von unterschiedlichen Leuten, weil ich auch der Meinung war, von den Filmveranstaltungen her wurde mir immer erzählt: … Mein Vater hat da Kartoffeln hineingefahrn. Es is aber nie gsagt wordn, selber produzierte Kartoffel oder bloß Transportkartoffel.
P. M.: Ja, des is mir jetz ganz neu … und des is a sicher interessanter Aspekt …
J. W.: Und … des hat mi nämlich überrascht, weil die Logik wäre nämlich gewesen, dass ma die Infrastruktur der Umgebung benutzt und des net antransportiert. (P. M.: nickt zustimmend) Aber des war waggonweise is des irgendwo da ausgeladen wordn und dann transportiert wordn.
P. M.: (hebt den Finger) Des kann … also … wenn ich des jetz höre, also … bisher war ma da wohl gleich informiert in die gleiche Richtung. Aber jetz wird´s mir schon klar: Die Kartoffeln der Umgebung, die warn ja wohl für die Bevölkerung vorgesehn. Und für die Versorgung der Häftlinge war nämlich nicht die Umgebung zuständig, sondern war die Organisation Todt zuständig. Und die hatten ein zentrales Auslieferungslager. Sodass die des organisieren konnten, zentrale Zulieferung von Kartoffeln für Lagergruppe in Mühldorf. … Denk ich mir jetzt im Moment. … Glaub ich schon, dass da … des klingt plausibel (nickt).
J. W.: Und da hat sich bei mir eben das ein bisschen verhakt, weil einerseits man ja immer davon ausgeht, dass alles sehr gut zentral organisiert war, und andererseits dann eben solche Sachen, wie diese Feldarbeit von Häftlingen eigentlich außerhalb des Reglements waren. Weil wenn gesagt wurde: Die 3000 Leute fahren dahin und machen das, dann durften die auch keinen Handgriff anders tun normalerweise, außer, es ging also auf der privaten Basis eben irgendwelcher Privatabmachungen.
P. M.: Ja. Also ich glaub, dass die Privatabmachungen sicher eine Rolle spielen, aber die waren dann tatsächlich: Feldarbeit für den Bauern. … Weil, die haben dann gsagt, hab ich einmal gehört: Die haben dann bei uns a noch ein Schnitzel bekommen. Ja, die haben dann bei uns auch noch ein Schnitzel gekriegt. Das heißt, die haben für den Bauern dann gearbeitet. Das war natürlich nicht die Regel, sondern waren wohl diese privaten Gefälligkeiten, die da möglich waren.
J. W.: Wie oft hast du den Satz gehört: Das ist doch alles so lang her, das muss doch vorbei sein? … Da reden wir nimmer drüber.
P. M.: (denkt länger nach) In dem Zusammenhang da draußen?
J. W.: Nein, insgesamt bei deinen Ermittlungen?
P. M.: Insgesamt. … (überlegt weiter) Ja, hat mich mal ein … Mann, ein OT-Mann angerufen, … ja, schon einige Male … Ein OT-Mann aus Mettenheim, den ich nicht kannte. Und zwar als der Film vom ZDF da gedreht wurde, 1987, war ja auch dein Film mit kurz eingebaut. Aber, der lief da halt in ganz Deutschland und da wurde halt ich auch mal kurz erwähnt. Und da hat mich der aus Mettenheim angerufen. Und zwar schon … massiv! Was mir ein … wie alt ich sei, ich hätte das doch überhaupt nicht miterlebt da draußen, da sei ich noch a ganz kleiner Butzl gwesen. Und der hat mir dann das beibringen wollen, dass die OT insgesamt … er hat dann auch pauschaliert … dass die OT insgesamt die Häftlinge gut behandelt habe und die Häftlinge hätten sich selbst zu Tode geprügelt. So kam´s raus. Ja, die haben sich ja selbst zu Tode geprügelt. Sicher gab´s Kapos, die zu Tod geprügelt haben, das waren Häftlinge, aber die hatten ihren Auftrag von der OT bzw. der SS bekommen. Das hat er jetzt wieder nicht gesagt. Ja, also, das ist dann allerdings schon eine scharfe Gegenrede gewesen, so dieses allgemeine: Ja, man soll´s mal ruhen lassen … (schüttelt den Kopf) in persönlichen Gesprächen, jetzt nicht unbedingt über diesen Zusammenhang, sondern wenn man allgemein über die Zeit zu sprechen kommt, kann man es schon hören. Ich habe einmal von einer Frau gehört: Ja mei, die werden dadurch auch nicht mehr lebendig … was soll man denn machen? Es is ja schon genügend aufgearbeitet, man soll sich anderen Dingen zuwenden.
Dann, auch in der eigenen Verwandtschaft hab ich mal was gemerkt. Ich hab einer Nichte ein Buch gegeben, und zwar … hat jetzt mit hier nix zu tun … von Fenelon: Das Mädchenorchester von Auschwitz. Also, ich hab´s einem Mädchen geschenkt! Die war dann schon 17/18, kann´s dann wohl ertragen. Und sie hat´s dann … dann hat´s mich einmal … wie ich dann wieder mal hinkommen … Nein, des möcht sie nicht lesen, das geht ihr zu weit. Ich hab dann nicht weiter rumgfragt und hab das dann so belassen. Aber da hab ich dann schon den Eindruck, das hat mich ein bisserl überrascht, dass manche auch unter jungen Leuten, gar nicht böswillig, sagen: Diese Zeit berührt mich nicht mehr, ich hab meine eigenen Probleme, die in der heutigen Zeit sind. Es gibt immer Probleme. Und die Schuldvorwürfe vielleicht, die damit dann zusammenhängen mit früher, die betreffen mich ohnehin nicht. Ich war damals noch gar nicht am Leben.
Also, man kann´s schon immer gelegentlich hören. … Also hier, in dem Zusammenhang, außer dem einen, der mer gsagt hat: Laß ma mein Vater in Ruh da obn, hab ich´s eigentlich dann nicht gehört. Die ham dann schon Auskünfte gegeben.
J. W.: Wenn ich jetz amal … so … überlegend mir vorstelle, es wäre 1993 von der Bundesvermögensverwaltung der Rüstungsbunker geschleift wordn, und ma würd also davon auch nichts mehr sehn. Man hätte bloß noch zur Not ein paar Reste im Waldlager und im Massngrab, weil des niemand interessiert in irgendeiner Weise zu verändern, wenigstens im Moment nicht. Wie groß wäre deiner Meinung nach der Schaden gewesen – Schaden jetz in Anführungszeichen – für unsere Arbeit, also für die pädagogische Arbeit?
P. M.: Der wär … wenn ich jetz mal da … ganz spontan antworte, der wäre sehr groß gewesen, der Schaden. Pädagogische Arbeit hat ja dort zu geschehn, meines Erachtens, wo die Jugendlichen sind, die Kinder. Und die sin jetzt amal net in München obn oder wo, sondern die sin hier in Mühldorf, sind in Mettenheim, die sin in Waldkraiburg. Und man kommt halt schneller raus zu dem Bunker, man kann das praktischer erklärn. Und des is auch so, man kann hier den Bereich der Rüstungsindustrie erklärn, die man z. B.: in Dachau nicht erklärn kann. Ja, diese Zusammenhänge Rüstungsindustrie und KZ, die kann man hier vor Ort meines Erachtens besser erklärn, als etwa in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Ich will jetz da net diese beiden Orte da ausspielen, die ham beide ´ne Berechtigung. Aber der Schaden wär sehr groß gewesen, weil nämlich der Bunker draußen das einzige noch vorhandne Relikt is von diesen ursprünglich geplanten 6 Bunkern. Sin ja nur zwei gebaut wordn, nämlich eben dieser hier, der halb fertig war, und dann der in Landsberg. Der Landsberger Bunker is ja ebn … ghört ja der Bundeswehr, und da kommt ma ja net rein, da kann ja net der lehrer einfach sagn: Gehn ma jetz mal … die Luftwaffe nervt in Landsberg. Es geht nicht.
Der Mühldorfer Lehrer kann sagen: Fahrn mer mal raus zum Bunkergelände, des is sowieseo a bissl schwierig genug, weil, wie kommt ma ins Bunkergelände? Des is zumindest a Vormittagsunternehmung. Die Schüler, glaub ich, würden´s ganz gern machen. Und jeder Lehrer, der´s schon mal unternommen hat, der trifft da sicher auf Interesse. Und wenn das jetz alles weg wäre, dann is da ´n pädagogischer Schaden entstanden, würd ich schon sagen.
J. W.: Jetz dreh ich´s andersrum:
(Kurze Unterbrechung von der Kamera)
Das heißt aber dann, du hast immer positiver Erfahrungen gemacht, wenn du mit Schülern draußen warst?
P. M.: Nicht immer (bedauernd). Nicht mit jedem Schüler. Nicht immer, nein. (schüttelt den Kopf, lächelt) Da gab´s schon welche, die bewusstes Desinteresse gezeigt haben. Es kommt dann immer drauf an, na ja, wie die Schüler halt von zuhause möglicherweise vorinformiert sind, es gibt ja auch Elternhäuser, die auch die These haben: Schwmm drüber, woll´n ma nix mer wissen. Oder vielleicht sogar, wo a bissl rechtsorientierte Meinungen vorherrschen. … Aber insgesamt kann ich sagen, warn die Schüler interessiert. Wobei natürlich dann des … ja, Drumherum, der Anmarsch dorthin, für manche a bissl … ja beschwerlich is. Plötzlich kommt a Mädl oder a Bua daher grennt, is ois scho passiert: Wo is´n a Klo, wo is´n a Klo? Da kann ma nur sagn: Da hinterm Bam muasst higeh! … Des geht net anders, aber des sin ganz praktische Dinge, des wärn also jetz … wenn man des als Gedenkort, bzw. Gedenkstätte erhalten will, muss natürlich schon auch mal irgendwann in dieser Richtung gedacht werden. Was dann a bissl schwierig is, natürlich. Wenn man pädagogische Arbeit institutionalisiert hier vor Ort.