Für das Erinnern
Die Räder rollen zum Sieg! Die Räder rollen zum Sieg! Die Räder rollen zum Sieg! Dieses monotone Geräusch höre ich schon den ganzen Nachmittag und den ersten Teil der Nacht. Um zwei Uhr nachmittag sind wir vom Konzentrationslager Serret in der Tschechoslowakei weggefahren: 40 Mann in einem Waggon. Ich hatte Zeit, die Leute in dem Waggon zu studieren: Junge Burschen, ältere Leute, alte Greise. An und für sich waren wir nach Serret gekommen, weil man uns gesagt hatte, man braucht 15-45-Jährige zum Arbeitseinsatz. Doch in Serret hat man gewartet, bis 1000 Leute beisammen waren und hat dann einen Transport zusammengestellt. Da waren auch ältere dabei. Leute mit Angst in den Augen, die alles sehen und alles wissen. Junge Leute, die noch Spaß machen, lachen, die sich nicht vorstellen können, was eigentlich auf sie wartet.
Und der Zug rattert weiter und weiter. Es ist Nacht. Ich höre Leute beten. Da sitzen sie in einer Ecke. Alte Leute, sicher um die 60 Jahre alt. Vom Moment an, als wir am Bahnhof Serret abfahren sind, haben sie angefangen zu beten. Jetzt ist es sicher schon Mitternacht und sie beten noch immer. Ich überlege: Was hilft das? Wir gehen ja arbeiten, warum müssen sie soviel beten? Wir gehen arbeiten nach Polen, wir kommen in ein anderes Land. Aber da werden wieder andere Leute kennenlernen, und wir werden ein neues Leben anfangen, vielleicht auch schön, vielleicht nicht so schön wie vorher zuhause. Aber trotzdem wird es auszuhalten sein.
Manche liegen mit dem Kopf auf dem Bündel, bestehend aus einer Decke, einem Beutel Proviant (Brot und Salami, Käse) und einem Mantel und schlafen oder haben wenigstens die Augen geschlossen. Diese 10 Kilogramm Gepäck sind übriggeblieben von den 50 Kilogramm, die man uns genehmigt hatte, ins Lager Serret mitzunehmen, die aber sofort requiriert worden sind.
Wir fahren und fahren und fahren: Es ist sechs Uhr morgens. Der Zug bleibt an der Grenze zwischen der Slowakei und Polen stehen. Alle müssen aus den Waggons raus. Es steht eine Kette von Uniformierten da: SS-Leute, die uns übernehmen an der slowakischen Grenze und die mit uns weiterfahren.
Ein junger, vielleicht 20-jähriger Bursche steht in der Nähe. Er hat keine SS-Uniform, sondern sieht aus wie ein Zöllner oder Soldat. Ältere Leute, die begierig sind zu erfahren, was mit ihnen passiert, fragen: „Wohin fahren wir?“
Der Bursche ist einfach und seriös und hat so ein trauriges Gesicht als er sagt: „ Ja, wohin fahrt ihr? Ungefähr bis Mittag werdet ihr fahren. Aber das ist ein guter Platz, wohin ihr geht.“
Das war alles, was er gesagt hat.
Man hat uns gezählt. Wir sind wieder in die Waggons eingestiegen und weitergefahren. Polnische Bahnhöfe ... polnische Namen. Plötzlich bleiben wir auf einem Bahnhof stehen, dem vierten Bahnhof nach der slowakischen Grenze. Wir sehen einen Zug voll mit Kohle und vielleicht drei- bis vierhundert jüdische Arbeiter. Ich habe die Sterne gesehen. Und wir haben geschrien:“ Wohin kommen wir? Wohin bringt man uns?“ Aber sie haben uns keine Antwort gegeben. Sie waren auch von der SS bewacht. Und sie haben einfach nicht sagen dürfen oder nicht sagen wollen, wohin wir fahren.
Das hatte man uns bei der Musterung gesagt, ein paar Monate bevor uns Gardisten der Hlinka-Garde abgeholt haben: „Ihr geht in den Osten arbeiten.“ Mich hat das eigentlich auch ein bisschen gereizt. Ich habe mir die Pferde vorgestellt und die Arbeit auf einem Bauernhof in einem anderen Land. Ob ich zuhause arbeite oder in Polen, das war mir eigentlich egal.
Nach ungefähr einer Stunde fuhren wir weiter. Ein Gleis verläuft neben dem Stacheldrahtzaun. Wir konnten uns nicht vorstellen, was dahinter war. Wir bleiben stehen, ich schau hinaus.
„Auschwitz - Oschwienczim“ steht auf dem Bahnhofsschild. „Da werden wir wohl schwitzen“, versuchte ich zu witzeln. Dann sehe ich auf dem Bahnsteig vier Männer in einer Häftlingsuniform, die ich nie vordem gesehen habe, einen Toten wegtragen. In dem Moment ist in mir alles gebrochen. Ich sage zu meinem Bruder: „Das schaut nicht gut aus, da sind wir in eine ganz schwierige Situation gekommen. Von da müssen wir so schnell wie möglich flüchten.“
In dem Moment machte man die Waggons auf. Junge SS-Leute mit Gewehren jagten uns heraus: „Alles heraus!“ Wir sprangen ab. Die älteren Leute sind nicht schnell genug gewesen, sie wurden geschlagen. Plötzlich waren wir in Fünferreihen und wir marschierten ins Unbekannte.
Ich bin 1923 geboren, in einer Familie eines Grundbesitzers und Pferdehändlers. Meine Eltern haben sich immer mit der Pferdezucht beschäftigt. So wurde auch ich ein leidenschaftlicher Pferdenarr. Zu unserem Haus gehörte auch noch eine Metzgerei. Ich habe die Schule beendet und habe zuhause in der Metzgerei geholfen und bei den Pferden mitgearbeitet.
So kam das Jahr 1938. Hitler hat Österreich besetzt. Die Tschechoslowakei hat das Sudetenland abgegeben. Am 14.März 1939 hat sich die Slowakei selbständig gemacht und am 19. März 1939 hat die deutsche Armee Böhmen und Mähren besetzt. Ab da hat für uns eine etwas härtere Zeit angefangen. Das erste Jahr ist es noch gegangen, im zweiten Jahr haben die Schikanen angefangen. Man hat Hausdurchsuchungen bei uns gemacht. Wir durften keine Pelze mehr haben, die hat man uns weggenommen. Wir durften keine Motorfahrzeuge mehr haben, die hat man uns ebenfalls weggeholt. Und so langsam hat man unsere Verhältnisse aufgelöst.
Ende 1940 wurde uns untersagt, ein Gewerbe auszuüben. Mein Vater hat nicht mehr mit Pferden handeln dürfen. Es ist uns nur die Landwirtschaft geblieben und wir haben also versucht, davon zu leben. Dann ist mein Bruder zum Militär gekommen, zum slowakischen Militär, aber nicht als Soldat, sondern zur jüdischen Arbeitsgruppe beim Militär.
Im Juni 1941 ist in unserer Stadt Holic ein Speicher abgebrannt, der zu einem Staatsgut gehört hat. Und am nächsten Tag wurden alle Juden einberufen zum sogenannten Judenarbeitseinsatz. Wir muss ten die ganzen Aufräumungsarbeiten nach dem Feuer machen und neu aufbauen. Da mir das ganze aber nicht gepaßt hat, habe ich immer ein bißchen dagegen rebelliert. Ich habe mit einem Bekannten ein bißchen Sabotage betrieben. Wir haben die neuen Lichtschalter kaputtgemacht. Dafür hat man mich in ein Strafarbeitslager bei der Stadt Banska-Bistritza versetzt. Dort war ich bis November 1941. Von dort bin ich versetzt worden nach Bratislava und von dort bin ich nach zwei Tagen geflüchtet und habe mich zuhause versteckt. Dann bin ich mit meinem Bruder zu einem Arzt gegangen, mit dem er beim Militär war und dieser Arzt hat mir ein Attest ausgestellt, dass ich krank bin. Dieses Zeugnis habe ich geschickt und das hat genügt. Die haben das irgendwie akzeptiert und ich habe wieder angefangen, in dem Arbeitslager zu arbeiten.
Im Januar 1942 hat man uns dann zur Musterung vorgeladen. Wir wurden als gesund und tauglich befunden, und man hat uns gesagt, wir gingen in den Osten arbeiten. Am 22. März ist ein Mann von der Hlinka-Garde gekommen und hat uns mitgenommen zu einem Kinogebäude und von da sind wir, 450 Männer, ihn das Konzentrationslager Serret gekommen.
Die Frauen sind schon eine Woche früher abgeholt worden. Sie waren schon eine Woche vor uns in Auschwitz.
Ich war bis zum 12.April 1942 in Serret. Um 2 Uhr mittags hat man uns eingeladen.
Als wir in Auschwitz angekommen sind, hat uns ein ganz junger Unterscharführer eine Rede gehalten. Er war Anfang 20 und hat das Aussehen eines Filmschauspielers gehabt. Er konnte jeden ehrenwerten Menschen glaubhaft darstellen, denn sein Gesicht war eher noch kindlich.
Später haben wir erfahren, dass er ein SS-Karrrieretyp war, der absolut sadistisch gehandelt hat. Er war einer von denen, die uns später immer eingefallen sind, wenn wir daran denken muss ten keinem zu trauen.
Ich habe ihn nur ein paar Mal wiedergesehen. Aber jedes Mal war er in eine schreckliche Tat verwickelt. Einmal hat er einen alten Mann erschlagen, ein anders Mal hat er einen Arbeiter mit einer Lore überfahren lassen.
Er hat also das Zählen überwacht und hat uns eine Rede gehalten, was wir als erstes zu tun hätten. Dann hat man uns ins Lager geführt. Das erste Bild war schrecklich. Die Häftlinge haben auf uns gezeigt und haben auf unsere Säcke gedeutet. Sie wollten sagen: Gebt uns das, denn das wird euch sowieso genommen. Aber wir haben das behalten wollen.
Im Lager hat man uns zwischen zwei Blöcken aufgestellt. „Ganz ausziehen, nackt!“ Die Sachen muss ten vor uns abgelegt werden. Durch eine Tür wurden wir in einen großen Waschraum geführt, wo man uns die Haare am ganzen Körper geschoren hat und unter einer Dusche wurden wir abgespritzt. Durch die nächste Tür heraus. Da sind ein paar Häftlinge gestanden. Einer hat uns eine Jacke gegeben, ein anderer eine Hose. Das waren alte, zerrissene, blutiger russische Uniformen. Sie stammten von toten Soldaten, die im Herbst 1941 bei Minsk und Witebsk gefangen genommen worden waren, 12000 Mann. Zur Ausrüstung gehörten auch noch Holzschuhe und dann wurden wir in den Keller gejagt.
Ich habe zu meinem Bruder gesagt: „Du, da können wir nicht bleiben. Da können wir nicht existieren, da können wir nicht bleiben. Wir flüchten. Schau, was da los ist, Schreien, Schläge....“
Und da mein Bruder fünf Jahre älter war und in dieser Beziehung auch klüger als ich, sagte er: „Ich sage ja nicht, dass wir nicht flüchten müssen, doch wir müssen doch zuerst sehen, wo wir sind, wohin wir flüchten können usw.“
Nun, so habe ich mich ein bißchen beruhigt. In dem Keller sind große Tragen gestanden mit Tassen. In einem Kessel war Suppe oder Kaffee und die Schreierei und Schlägerei ging sofort wieder los. Da sind die Leute hereingekommen mit der Binde „Kapo“. Ich hatte so einen Titel noch nie gehört. Was war ein Kapo? Die haben Stöcke in den Händen gehabt und es waren auch 10 oder 12 Schneider da. Jeder hat drei Lappen in die Hand bekommen, auf der war die Nummer, und die Schneider haben eine auf die Jacke, eine auf die Hose und die dritte auf den Sack genäht, in die man uns die Sachen hineingegeben hat, die wir ausgezogen haben.
Wer fertig war, ist zu diesem Kessel gekommen, hat sich eine Tasse genommen und hat eine Suppe bekommen. Ich kam hin und der Austeiler gab mir die Tasse in die Hand. Ich sah, dass sie nicht sauber war. Sagte ich: „Sind sie so gut und geben sie mir eine saubere.“ In dem Moment bekomme ich eine Ohrfeige. Ich höre hinter mir schreien: „Was glaubst du, du Schweinehund? Glaubst du, du bist zuhause? Für dich werden wir extra die Tassen waschen.“ Später habe ich erfahren, dass das der Lagerälteste Danisch war, ein Mörder. Ich habe mich dann versteckt zwischen den anderen Häftlingen und habe mir keine Suppe mehr geholt. So haben wir gewartet bis zum nächsten Morgen.
Um fünf Uhr Morgen läutete die Glocke. Wir haben nicht geschlafen, auch wenn wir sehr müde waren. Die Anspannung und die Nervosität waren zu groß.
Die Glocke läutete und drei oder vier Kapos kamen und schrien: „Alles raus!“ Und schon wieder wurde geschlagen. Es war noch ganz dunkel, man konnte kaum etwas sehen draußen. Nur das elektrische Licht war angeschaltet.
Wir sind zwischen den Blöcken angetreten-, Hundertergruppen. Dann ist ein SS - Mann gekommen und hat uns gezählt. Später wurde mir erklärt, dass man diesen Vorgang Appell nennt. Ich hatte zuerst nur begriffen, dass dabei nur geschrien und geschlagen wurde.
Ich habe nur an eines gedacht und habe zu meinem Bruder gesagt: „Du, wir müssen aufpassen, dass wir von den Schlägen wegkommen... Denn bekommst du eine draufgeschlagen und brichst dir die Hand und schon ist es mit dir vorbei. So haben wir uns überall, wo wir konnten, geduckt und uns möglichst ferngehalten von den Schlägereien und Schreiereien.
Lieber verkrochen wir uns in eine Ecke, um zu vermeiden, dass wir da mit hineingezogen wurden.
Als der Tag anbrach, muss ten wir wieder antreten und man hat uns noch einmal gezählt. Dann sind wir vielleicht einen Kilometer in das Lager gegangen. Erst jetzt habe ich gesehen, welche Mengen von Leuten in dem Lager waren. Bei der Ankunft sind uns nicht viele in den Weg gekommen, doch jetzt merkten wir, dass das mehrere Tausend waren.
Wir kamen auf eine große Wiese. Ein paar haben schaufeln in die Hand bekommen und haben Humus weggestochen. Wir muss ten uns in einem Kreis aufstellen und außerhalb des Kreises standen fünf oder sechs junge SS-Leute. Die halfen den Kapos schreien: „Noch schneller arbeiten! Bewegung! Bewegung! Schnell! Schnell!“
Nun, wir haben gut gearbeitet, weil wir Angst gehabt haben, dass wir Schläge bekommen. Aber trotzdem ist regelmäßig ein Kapo an uns vorbeigegangen und hat jedem mit dem Stock eine über den Rücken gegeben,
Ein etwa sechzigjähriger Mann stand neben seinem Sohn. Als der Kapo zu ihm kam, hat der dem Vater kräftig eine über den Rücken gezogen. Der Alte hat nur gestöhnt: „Ohhh! das tut weh!“ In diesem Moment hat der Sohn die Schaufel genommen und hat dem Kapo auf den Schädel geschlagen, dass er eine tiefe Schramme bekam. Sofort sind weitere drei oder vier Kapos gekommen und haben die beiden totgeschlagen. Ich habe schon kapiert, dass wir in einer schlechten Position waren, aber so schlimm hatte ich es mir noch nicht vorgestellt. Ich habe es nicht glauben wollen. Man hat schon hier und da in der Zeitung gelesen oder gehört, dass irgendwer ermordet wurde. Dass man aber so vorging, das entzog sich meiner Vorstellung.
An diesem Nachmittag wurden noch weitere zwei Leute von den Kapos und den SS-Leuten totgeschlagen. Am Abend, so gegen vier oder halb fünf, hat man uns wieder antreten lassen, und wir sind nicht zurück nach Auschwitz, sondern nach Birkenau gegangen.
Birkenau war das schlimmste Konzentrationslager, das in ganz Europa erstellt wurde. Den schlimmsten Namen hat das Lager Auschwitz gehabt, aber das war damit eigentlich nicht gemeint, sondern gemeint hat man dabei immer die Verhältnisse in Birkenau. Auschwitz war gegen Birkenau ein Sanatorium. Birkenau war ein speziell errichtetes Vernichtungslager, wo die höchste Lebensdauer auf sechs Wochen veranschlagt war.
So war auch unser Essen eingeteilt. Mit den zugeteilten Rationen konnte normalerweise ein Mensch nur sechs Wochen überleben. und jeder, der länger gelebt hat als sechs Wochen, hat nicht nur von diesen Rationen gelebt, sondern hat irgendwo etwas dazuorganisiert.
Ich bin auf den Block 14 gekommen. Da stand ein Mann. Der Blockälteste. Was war ein Blockältester? Ich hatte keine Ahnung. Wieder so ein komischer Titel. Der Stubendienst wurde eingeteilt. Was sollte das schon wieder sein? Diese Ausdrücke waren mit das ganze Leben noch nicht untergekommen. Am Anfang sind uns viele solche neue Begriffe untergekommen, aber wir haben immer schneller gelernt. In einem Lager lernt man viel schneller als draußen. Nie hat sich uns einer der Bewacher vorgestellt, aber wir wußten in ein paar Tagen: Das ist der Palitzsch, das ist der Stivitz und das ist der Höß und das ist der Aumeier. Niemand hat sie einem vorgestellt, aber man hat es gewußt, weil einem gleichzeitig immer erzählt wurde, warum man sich vor denen besonders in acht nehmen musste und wie man sich verhalten muss te, dass man eine Begegnung überlebte. Das schnelle Denken, das schnelle Orientieren warf überlebenswichtig, und es haben auch nur die überlebt, die dieses schnelle Umschalten sich rechtzeitig aneignen konnten.
Der Blockälteste vom Block 14 war ein Mann, dem man nicht alle Tage begegnet: Alfred Kihn hat er geheißen. Ein Mörder, der mit größter Lust und Freude gemordet hat. Doch er konnte Leute für eine Sache so begeistern wie Adolf Hitler. Es sind tausend Neuzugänge gekommen. Wir kamen in eine lange Baracke, viergeteilt. Die Wände waren aus Ziegelsteinen, zwei Meter auseinander und 60 oder 70 Zentimetern in unten waren Bretter eingelegt. Weitere 70 Zentimeter weiter oben kam die nächste Lage Bretter, und so ergab sich oben eine dritte Etage. Wer das Glück gehabt hat nach oben zu kommen, der konnte stehen. Unten hat man nur hineinkriechen können. Wir sind mit dem Kopf zum Zwischengang gelegen und so haben wir gewartet, bis wir die Suppe und das Brot bekommen haben. Als wir gekommen sind, hat uns der Alfred Kihn in diese Gänge hineinstellen lassen, und hat sich seine Uniform angezogen. Sie bestand aus den gestreiften Häftlingshosen, dunkelblauen Jacken, die bis auf den Oberschenkel reichten und bis oben geknöpft waren, und sie waren maßgeschneidert. Dazu gehörte eine Binde, auf der „Blockältester“ stand. Auf dem Kopf saß eine dunkelblaue; Mütze und das wichtigste waren die Lederhandschuhe. Ohne Handschuhe sind sie nicht einmal essen gegangen.
Nun hatte Kihn eine Rede angefangen und die Rede war wunderschön. Er hat angefangen:
„Meine lieben Mithäftlinge!
Ihr seid im Konzentrationslager.
Ihr seid hergekommen, ihr wißt nicht warum.
Ich bin ein Berufskrimineller, ich weiß, warum ich hergekommen bin.
Aber ihr seid ja nur da, weil ihr Juden seid.
Ihr wollt nach Hause, ich will nach Hause.
Wenn ihr vernünftig seid, werde ich auch vernünftig sein...“
Und so hat er eine Rede gehalten bis fünf Uhr morgens und hat erklärt, was für ihn ein vernünftiges Verhalten ist.
Als um fünf Uhr morgens der Gong kam, haben die Häftlinge ihm Beifall geklatscht, wie das deutsche Volk Adolf Hitler bei seinen Massenkundgebungen applaudierte.
Nun folgt wieder ein Appell. Dann muss ten wir zurück in die Baracken und die Stubendienste haben vorgemacht, wie man in der Frühe das Bett machen muss . Das Bett war nur eine Pritsche mit Stroh und eine Decke. Die muss ten wir schön zusammenlegen und hindrapieren.
Dann wurden die Häftlinge in die Kommandos eingeteilt. Und abends ist man zum Appell zurückgekommen. Da sind die tausend Leute gestanden. Der Alfred Kihn hat sich wieder seine Uniform angezogen und hat seine zweite Rede gehalten:
„Zehn Stunden habe ich euch erzählt, wie der Lagerablauf vor sich geht. Ich habe euch gesagt: Werdet ihr vernünftig sein, werde ich auch zu vernünftig sein . Ich will nach Hause, ihr wollt nach Hause. Was habt ihr gemacht? Unordnung! Betten nicht gemacht. Wenn es nicht im Guten gegangen ist, dann geht es eben im Schlechten. Jeder bekommt fünf auf den Hintern.“
Und wie wir in die Baracke hineingegangen sind, hat sich jeder vor der Tür bücken müssen und fünf auf den Hintern bekommen. Dann haben wir unseren Kaffee und Brot bekommen.
In einer Woche waren von den tausend nur mehr hundert übrig. Die anderen hat Alfred Kihn mit seinem großen Kollegen Willi Herkules totgeschlagen.
Ich habe Glück gehabt. Erstens habe ich gleich einen Slowaken kennengelernt, der in der Küche gearbeitet hat. Ich habe zwei bis dreimal in der Woche eine größere Portion Brot oder einen Teller Suppe bekommen, so dass ich die ersten sechs Wochen überstanden hab. Außerdem bin ich mit meinem Bruder noch zu einem ganz guten Kapo gekommen. Kapo Jonny. Leider hat das nicht lange gedauert. Er ist nach ein paar Wochen dann geflüchtet. Es ist ihm gelungen, aus Birkenau abzuhauen. Der Kapo Jonny hat auch einen Bekannten in der Küche gehabt und so sind wir jeden Mittag zu einem Kessel mehr Suppe gekommen.
Normalerweise war für jeden ein Liter Suppe vorgesehen. Aber einen Viertelliter hat man uns gestohlen. Das haben die Kapos und die Stubendienste unter sich verteilt und verkauft für verschiedene Wertsachen, die man im Lager auch organisiert hat. Aber bei Kapo Jonny haben wir den vollen Liter bekommen und vielleicht noch einen halben Liter. Deshalb wir die ersten tage ganz gut überstanden.
Eines Tages kamen wir ins Lager zum Appell. Alle Ärzte standen da. „Alle Leute, die etwas mit Medizin zu tun gehabt haben, vortreten!“ Es waren vielleicht 500 oder 600 Leute. Die hat man in die Sauna gebracht und gebadet und sie nach Auschwitz geleitet. Und bei denen war auch mein Bruder, der ausgelernter Zahntechniker war.
Ich bin in Birkenau geblieben. Von Kapo Jonny bin ich aufs Kommando „Ringgraben“ gekommen und auf diesem Kommando habe ich einen slowakischen Juden kennengelernt: Fredo Wetzler. Ein sehr braver Bursche, der eine Woche später auf dem berüchtigten Block 7 in Birkenau gekommen ist, als Krankenpfleger.
Block 7 war ein Block, wo man zwar lebendig hereingekommen ist, und entweder tot heraus oder mit einem Auto in die Gaskammer. Von Block 7 sind im ersten Jahr keine 10 Leute lebendig herausgekommen.
Da in so einem Krankenblock die Leute zwar die Verpflegung bekommen haben, aber die Nahrung gar nicht mehr zu sich nehmen konnten, denn die meisten waren schon am Sterben, so ist auf diesem Block immer eine gewisse Menge übriggeblieben und so habe ich von diesem Fredo immer zwei, drei, auch vier Portionen Brot bekommen. Und so habe ich mich ganz gut über Wasser gehalten.
Es war wenigstens der Magen voll. Man kann nicht sagen, dass man dadurch seinen Kalorienbedarf gedeckt hat, von den Vitaminen ganz zu schweigen.
Denn in der Margarine oder Marmelade war ja nichts Nahrhaftes mehr drin. Das Brot war ja auch aus Kleie oder Ähnlichem. Aber der Magen war voll, und das war viel wert.
Eines Tages wurde Antreten befohlen und man hat alle Burschen zwischen 15 und 25 Jahren ausgesucht, die nach Auschwitz in die Maurerschule gehen sollten.
Wir sind dort in den Block 11 gekommen. Wir haben schon gerüchteweise von diesem Block gehört gehabt. Da sollte es einen Block geben, wo man die Leute erschießt. Aber wir haben es nicht gesehen und haben uns das auch nicht vorstellen können.-
Nun plötzlich kommen wir in den Block herein. Das Tor wird aufgemacht und gibt den Blick frei auf eine große schwarze Wand am Ende des Hofes. Vor der Wand befand sich ein Sandteppich, etwa zwei mal zwei Meter.
Wir sind nicht gleich in die Baracke gekommen, sondern zuerst in die Sauna. Dann haben wir andere Kleidung bekommen. Nicht mehr gebrauchte Soldatenkleidung, sondern normale Häftlingskleidung. Damen wurden wir auf unsere Stuben geschickt.
Nach dem morgendlichen Appell am nächsten Tag hat man uns aus dem Lager heraus in eine Kiesgrube geführt. Dort haben wir drei Wochen lang gearbeitet. Nichts gab einen Hinweis auf eine Maurerschule. Wir haben von früh bis Abend nur Kies geschaufelt. Der Kies musste in Loren gefüllt werden, die dann mit einem Motor bis zum Kiesgrubenrand hochgezogen wurden. Dort wurden sie umgekippt, und der ganze Kies musste nun durch ein Metallgitter geworfen werden, um die verschiedenen Gesteinsgrößen zu trennen. Die entstehenden Haufen wurden von einer anderen Gruppe wieder in eine Lore geschaufelt und dann mit Pferden weggezogen. Diesen Abtransport haben vorwiegend russische Kriegsgefangene gemacht.
Geschlagen hat man uns auf Schritt und Tritt. Nach einer Woche ist ein Kapo gekommen und hat mich und ein paar andere herausgepickt. Auch Ignaz Fischer war dabei, der aus meinem Ort stammte. Wir kamen nach oben zu dem Tritt, der die Loren füllen muss te, die dann zum Abtransport auf die Baustellen bestimmt waren.
Eines Tages sagte Ignaz Fischer einen dieser Russen: „Wohin fährst du eigentlich mit diesem Kies?“
„Auf eine Baustelle.“
„Und wo ist die Baustelle?“
„Draußen, außerhalb des Lagers.“
„Nimm mich doch mit!“
„Ja, komm.“
Ignaz Fischer kam zu mir und sagte: „Du. der Russe fährt aus dem Lager heraus. Komm, wir fahren mit und können flüchten.“
Zu diesem Zeitpunkt war meine „Fluchtwut“ schon ein bißchen gebremst. Denn ich hatte schon begriffen, dass es nicht so einfach war, aus Auschwitz oder Birkenau zu flüchten. Wir waren schon sehr gut bewacht. Um das Lager war eine doppelte Postenkette gezogen. Unsere Arbeitsstellen befanden sich meistens zwischen den beiden Postenketten. Konnte sich einer nach der Arbeit verstecken, so wurde das hundertprozentig beim Appell bemerkt. Ab diesem Zeitpunkt muss ten die beiden Postenketten drei tage und Nächte lang auf ihren Posten bleiben und unablässig nach den Geflüchteten suchen. Dabei wurden auch Hunde eingesetzt. Konnte man diese drei Tage überstehen, dann war man frei, denn dann wurde abends nur mehr die innere Postenkette besetzt.
So sagte ich zu ihm: „Du, Ignaz, du kannst nicht mit ihm gehen. Denn wenn du auch aus dem Lager herauskommst, dann kommst du nur bis in den Raum zwischen den Postenketten.
„Nein, das verstehst du falsch. Er fährt ganz hinaus, bis außerhalb der Postenkette.“
Ich habe ihm das zu erklären versucht, aber er hat nicht hören wollen. Er hat einen anderen gefunden und zwei Tage später ist er mit einem Russen aus dem Lager hinausgefahren. Sie wurden aber wirklich nur bis zwischen die Postenketten transportiert und haben sich in einer Scheune versteckt, bis es Nacht wurde.
Doch als sie eine Zeit gewartet haben, ist ihnen gekommen, dass sie ja noch innerhalb der großen Postenkette sind.
Jede halbe Stunde wurde gezählt. Das Kommando bestand aus 500 Leuten. Dafür gab es fünf Kapos, jedem Kapo waren hundert Mann zugeteilt. Jeweils eine Zehnergruppe hat einen Vorarbeiter gehabt. Eine halbe Stunde, nachdem die beiden weg waren, hat der Oberkapo gepfiffen und alles musste antreten zum Zählen. Jeder Vorarbeiter musste seine Gruppen vollständig melden, doch meinem Kapo fehlten zwei. Der Kapo hat alle Nummern aufgeschrieben, und so wurde schnell festgestellt, welche Nummern fehlten.
Zuerst haben sie uns gefragt: „Wo sind sie?“
„Wir wissen nichts, wir haben nichts gesehen.“
Einer der Melder wurde ins Lager geschickt, und sofort hörten wir die Sirene. Alle Kommandos muss ten sofort einrücken ins Lager.
Als wir ins Lager kamen, sahen wir schon die drei Galgen aufgestellt. Die hat man im Hof des Krematoriums aufbewahrt und dann hervorgeholt, wenn spezielle Bestrafungen angekündigt waren. Sind mehr aufgehängt worden, so hat man oben am Galgen nur einen langen Querbalken befestigt und die Leute praktisch zwischen den Galgen aufgehängt.
Wir muss ten uns aufstellen und dann kam Aumeier, der Lagerkommandant. Er hat die Hundertergruppe dagelassen, aus der die zwei geflüchtet waren. Dann hat er den Kapo gefragt: „Sind Zehnergruppen eingeteilt?“
„Ja.“
„Dann soll die Zehnergruppe heraustreten, aus der die zwei fehlen.“
Wir waren noch sieben, ohne den Vorarbeiter.
„Unter den Galgen mit ihnen und wenn die zwei nicht geschnappt werden, hängen sie.“
Er hat das vielleicht zum Spaß gesagt, aber wir haben das nicht so empfunden. Wir sind eine Stunde oder eineinhalb Stunden unter dem Galgen gestanden und haben gewartet. Schließlich hat man am Tor ein Geschrei gehört: Die zwei sind gekommen.
Als die Sirene ertönte, haben sie Angst bekommen und gedacht, dass sie geschnappt werden. Als Ausrede beim Zurückmelden wollten sie gebrauchen, dass sie sich verirrt hätten. Das haben sie gemacht und haben dafür nur fünf auf den Hintern bekommen. Man hat sie zu uns gestellt und wir waren wieder vollständig. Dann wurde der Vorarbeiter weggerufen und wir wurden in Dreiergruppen unter je einen Galgen gestellt. So haben sie uns von halb fünf bis sechs Uhr abends stehen lassen.
Wir haben nicht gewußt, wie es weitergeht. Wir sind nur dagestanden, jeder mit seinen ureigensten Befürchtungen. Niemand hat etwas gesagt, man hat uns nur stehen lassen. Um sechs Uhr sind etwa zehn Herren von der SS gekommen, Höß war auch dabei. Dann wurden zwölf Häftlinge gebracht. Uns hat man auf die Seite geschickt. Dann wurde ihnen das Urteil verlesen. Sie waren Feldvermesser gewesen und hatten sich verbündet, um auszubrechen und man ist ihnen draufgekommen. Das Urteil kam aus Berlin und lautete auf Tod durch den Strang. Dann hat man sie aufgehängt.
Die SS ist dann abgezogen und der Lagerälteste ließ uns noch eine Weile stehen mit der Drohung: „So geschieht es mit jedem,. der flüchten will.“ Danach hieß es für uns „Abtreten!“, aber der Ignaz Fischer und der andere, die die Flucht versucht hatten, wurden mitgenommen und kamen in den Bunker. Nach drei Wochen hat man sie beide erschossen. Man hat ihren Versuch als Flucht ausgelegt.
Nur wenigen ist die Flucht gelungen. Ich selbst weiß von sechs Fällen, die durchgekommen sind: Kapo Jonny, noch ein Kapo, ein französischer Jude, Hundeck hat er geheißen, Fredo Wetzler mit einem Freund und noch zwei Slowaken. Aber ein paar hundert haben es probiert. Die meisten haben sich nicht drei Tage und drei Nächte in der großen Postenkette versteckt halten können. Bei der Suche wurden Häftlinge und Hunde mitgenommen und die haben solange gesucht, bis sie die Leute gefunden haben.
Außerdem war beim nächsten Appell das Fehlen der Leute bekannt. Sie bekamen also nie einen großen Vorsprung. Normalerweise ist bei dem Appell um sechs Uhr die kleine Postenkette auf die Türme gegangen und die große Postenkette hat sich zurückgezogen, denn alle waren im Lager drin. In der Frühe hat sich die große Postenkette aufgestellt und die kleine Postenkette hat sich zurückgezogen. Die Leute haben entweder innerhalb der großen Postenkette gearbeitet oder sie sind unter SS-Bewachung in ein Außenkommando gegangen. Wenn einer geflüchtet ist und man hat ihn nicht gleich geschnappt, so ist Tag und Nacht die große und die kleine Postenkette stehengeblieben. Erst in der vierten Nacht hat man die Suche aufgegeben.
Ich bin also drei Wochen auf diesem Kiesgruppenkommando geblieben. Eines Tages hat man eine Selektion gemacht, indem man die Leute hin- und herlaufen ließ. Die Strecke war nicht sehr lang, nur 10 oder 12 Meter. Aber wer schon wunde Beine gehabt hat oder schon ein halber Muselmann war, der hat selbst da schon Schwierigkeiten gehabt. Die dies durchgestanden haben, durften sich links aufstellen, und die Schwachen muss ten nach rechts, und die sind dann in die Gaskammern gegangen. Das war aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Und die kräftigen sind in die Maurerschule gekommen.
Als ich eine Woche auf Block 11 war, ist für den Sonntagnachmittag Bettruhe angeordnet worden. Das war eine makabre Veranstaltung. Einerseits hat man versucht, uns totzuschlagen, und andererseits haben wir am Sonntagnachmittag zwei Stunden schlafen müssen. An so einem Nachmittag ging während der Bettruhe plötzlich die Türe auf und der Aumeier ist mit zwei Mann der SS dagestanden. Wir sind aufgesprungen und haben uns aufgestellt, die Mützen abgenommen und haben gewartet, was passiert. Er ist die Reihe abgegangen und hat sich drei Mann herausgepickt und dann auch mich. Was wollte er mit uns? Wir waren fünf Mann, die er ausgesucht hat. Er hat uns aus der Stube herausgerufen, und da bin ich mit den Holzschuhen an der Schwelle hängengeblieben, denn das war noch am Anfang meiner Auschwitzkarriere, und ich hatte mich an diese Fußbekleidung noch nicht so gewöhnt. Ich fiel auf die Hände und schlug mir auch den Kopf an. Er gibt mir einen Stoß und schreit mich an: „Hau ab!“ und er nahm einen anderen für mich.
Das glaube ich, war das größte Glück meines Lebens.
Diese fünf Leute waren für das Sonderkommando ausgesucht. Es waren gerade 700 slowakische Juden im Krematorium von Auschwitz vergast worden. Und da dies der Anfang der Vergasungen war, hat man sie angezogen vergast, wie sie angekommen waren. Und dieses Sonderkommando hat diese 700 Leute ausziehen müssen. Einer von denen hat das Lager überlebt und wohnt heute in Mannheim. Der hat mir das erzählt: „Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich das war. Diese toten Leute waren schon steif. Das Ausziehen war so eine schwere Arbeit. Das hat von diesem Nachmittag bis zum nächsten Morgen gedauert.“ Erst dann waren sie fertig damit und muss ten die Leichen dann verbrennen. Diesem ersten Sonderkommando bin ich nur deshalb entgangen, dass ich gestolpert bin. Deshalb, wenn jemand von Schicksal spricht, so habe ich großes Verständnis dafür. Meine ganze Intelligenz, meine Kraft, meine Ausdauer, das hatte alles keine Wirkung gegen die Hilfe durch das Schicksal. Ich sollte eben nicht in das Sonderkommando, sondern ich sollte in die Maurerschule kommen.
Am Anfang war die Maurerschule eine gute Sache für uns. Wir haben den ganzen Tag sitzen können. Man hat uns auf Tafeln gezeichnet, wie man Ziegelsteine anordnet, wie man sie verbindet, usw. Dann sind wir ins Freie geführt worden. Dort ist ein Waggon Ziegel gestanden und dann haben wir demonstrieren müssen, ob wir das begriffen haben.
Da haben wir es eine Zeit schön gehabt. Für ein Leben im Konzentrationslager ist uns direkt ein bißchen langweilig geworden. Immer nur sitzen und nichts machen und keine Schläge.... und das Essen war auch ein bißchen besser.
Eines Tages kommt ein Kapo zu dem Kapo der Maurerschule: „Du, ich habe viele Kartoffeln am Bahnhof bekommen. Kannst du mir 30 Leute geben?“ Ich habe das gehört und da stand zufällig eine Gruppe Slowaken zusammen. Ich bin gleich zu ihnen gegangen und habe gesagt: „Burschen, da gehen wir auch mit.“ Und er hat uns tatsächlich genommen, und so sind wir Kartoffeln abladen gegangen.
Während dieser Zeit kam ein Auto mit mehreren SS-Männern zur Maurerschule. Sie kamen direkt aus Berlin. „Was ist das für ein Verein?“ Jemand erklärte, dass das die Maurerschule sei. „Was brauchen wir eine Maurerschule? Was soll der Unsinn?“
„Wir lernen, wie man mauert.“
„Wenn wir Maurer brauchen, dann holen wir die von draußen.“
Wenig später sind Lastwagen gekommen, haben die Leute eingeladen und in die Gaskammern gebracht.
Als wir zurückgekommen sind, waren von den 250 Leuten der Maurerschule nur etwa 50 übrig. Die restlichen waren schon alle vergast.
Am nächsten Tag wurde die ganze Maurerschule aufgelöst und man hat uns auf die Baustellen geschickt.
Ich bin damals zu Willi Herkules auf die Baustelle „Krematorium I“ gekommen. Krematorium I war gerade im Bau. Bis zur Decke war es schon fertig. Die Gaskammern waren noch nicht fertig. Da hat man gerade angefangen, den Aushub zu machen.
Das Leben dort war die Hölle.
Willi Herkules hatte seine Frau, seine drei Kinder und seine Schwiegereltern erschlagen. Er hatte lebenslänglich bekommen. Aus dem Zuchthaus hat man ihn herausgeholt und ins Konzentrationslager gesteckt, hat ihm eine Kapobinde und einen Stock in die Hand gegeben und ihm gesagt: „Du kannst machen, was du willst.“
Wir haben das gewußt, denn manchmal haben uns Häftlinge von anderen Kommandos gefragt: „Na, habt ihr von dem Willi Herkules schon Schläge bekommen? Ihr wißt ja, wen der alles umgebracht hat. Der lebt auch nur mehr, weil Hitler jetzt an der Macht ist.“
Und der hat nach Lust und Laune gemordet. Jeden Tag hat er mindestens 20 Häftlinge getötet. Bis abends hat er nichts anderes gemacht, als herumzugehen und herumzuschreien. Er hat ein Gesicht wie ein Gorilla gehabt. Ein katastrophaler Mensch.
Zu der Tatsache, dass er ein Sadist war und auch aus eigenem Antrieb getötet hätte, hat man ihm noch Hoffnungen gemacht, dass er eher freikommt, wenn er möglichst viele Häftlinge auf die Seite schafft. Und dabei hat man in Tausenderzahlen gedacht.
Ich selbst habe noch Glück gehabt, dass ich nicht direkt unter Willi Herkules gearbeitet habe, sondern unter einem Zivilisten. Ich war für das Eisenbiegen zuständig. Und bei der Gelegenheit habe ich mit ihm ein bißchen Geschäfte gemacht.
Das Sonderkommando hat die Leute am Bahnhof ausgeladen, hat ihnen das Gepäck abgenommen und auf die Autos verladen. In den Waschräumen haben sie geholfen, die Leute auszuziehen. Die ganzen Kleidungsstücke, Wertsachen und sonstige Besitztümer sind alle beim Kommando „Kanada“ gesammelt worden. Dort wurde alles sortiert, und dabei konnte man einiges verschwinden lassen. Besonders Wertgegenstände und Geld ließ man verschwinden, weil man das leichter verstecken konnte.
Von einem Mitglied des Sonderkommandos bekam ich also solche Wertgegenstände oder Geld. Ich leitete das an den Zivilisten weiter, und der hast mit Brot oder Speck oder anderes zukommen lassen. ich habe die Hälfte für die Vermittlung behalten und die andere Hälfte an den Mann vom Sonderkommando zurückgegeben.
Der Mann vom Sonderkommando hieß Gustav. Vor dem habe ich am Anfang Angst gehabt, denn er ist immer zu dem Zivilisten geschlichen und hat mit ihm Heimlichkeiten gehabt, und ich habe mir deswegen gedacht, dass das ein Spitzel sein muss . Einmal haben wir uns beide dort getroffen, wie wir dem Zivilisten beide einen Ring geben wollten, und beide haben wir Speck dafür bekommen. Und so sind wir Kumpels geworden. Wir haben den Speck versteckt und jeden Tag ein Stück abgeschnitten, so dass wir zu unseren Rationen noch zusätzlich ein paar Kalorien gehabt haben.
Gustav war eigentlich ein Franzose, hat aber gut deutsch gesprochen. Hat jemand nicht gut deutsch verstanden, hat er sofort Schläge bekommen, weil er irgendeine Anweisung nicht sofort begriffen hat und dementsprechend auch nicht ausführte. Wer sich Schläge sparen wollte, der muss te schnell lernen. Und wir haben rasend schnell gelernt. Das war die beste Schule zum Erlernen der deutschen Sprache.
Es war Sonntag. Ich ging mit dem Gustav durch das Lager.
Plötzlich brauste ein Lastwagen heran, SS-Leute sprangen heraus und schnappten sich alle Leute, die sie erwischen konnten. Auch mich und den Gustav nahmen sie mit.
Wir fuhren heraus aus dem Lager in das nächste polnische Dorf. Dort befanden sich ein Haufen Dachziegel. jeder DER Ziegel wog mindestens fünf Kilo. Wir muss ten den Stapel fünfhundert Meter weit zum Bahngleis tragen, wo die Loren standen. Und das am Sonntagvormittag. 15 oder 20 Kapos waren schon da und wir sind etwa 200 Häftlinge gewesen. Wir muss ten die Ziegel im Laufschritt transportieren, jeder zwei Stück auf einmal. Wenn es zu langsam ging, schlugen die Kapos auf uns ein. Das ging so etwa von 9 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags. Ständig im Laufschritt.
200 sind hingekommen, bestimmt nur die Hälfte hat diese Aktion überlebt. 100 Laute haben die Kapos an diesem Vormittag totgeschlagen.
Etwa eine Woche oder 10 tage später kommt ein Kapo - damals war ich noch in der Maurerschule - und sagte zu meinem Kapo: „Gib mir 20 Leute. Ich brauche heute sehr viel Kies. Der muss mit Loren transportiert werden.“
Als ich das hörte, wollte ich mich verdrücken. Da wollte ich nicht dabei sein.
Er hat uns trotzdem mitgenommen. Vier Kapos kamen und verteilten die Leute auf die Loren. ich kam mit Gustav zusammen. Es wurde ein Wettbewerb veranstaltet. Wir sollten gegen die vier Kapos antreten. Die Kapos waren gut genährt und zu viert, wir dagegen zwei Häftlinge, die schon monatelang, angesehen von unseren organisierten Sonderrationen, auf das Existenzminimum in der Ernährung gesetzt waren. ich sagte zu Gustav: „Entweder sind wir heute abend tot, oder wir gewinnen.“
Gustav war skeptisch: „Dann sind wir heute abend tot, denn wir können eine Lore doch nicht so schnell aufladen, wie die vier.“
Doch wir haben es geschafft. ich weiß nicht, wo wir die Kraft dazu hergenommen haben. Es war ein Kampf ums Überleben und wir haben alle Kräfte mobilisiert, was möglich war.
Am nächsten Tag ist dieser Kapo wieder gekommen und hat 20 Leute verlangt. Da habe ich mich mit dem Gustav versteckt. Für nichts in der Welt wollte ich noch einmal da dabei sein.
Das waren die Tage im Lager, wo ich wirklich das letzte an Kraft aus mir herausholen muss te.
Der Willi Herkules hat gewußt, dass ich mit dem Zivilisten ein bißchen Geschäfte mache. Immer hat er mir angedeutet, dass er mich schon irgendwann einmal erwischen wird. In der Frühe hat er mich oft überraschend mit in seine Bude genommen und hat mich durchsucht. Aber irgendwie habe ich immer vorher gespürt, wann er mich durchsucht, und er hat nie etwas bei mir gefunden.
Ich habe zu Gustav gesagt: „Heute können wir etwas unternehmen. Heute wird nicht gefilzt.“ Und tatsächlich sind wir immer durchgekommen.
Am anderen Tag habe ich ein schlechtes Gefühl gehabt und wirklich, beim Appell kommt der Befehl: „Eisenbieger raustreten!“ - das waren Gustav und ich - und wir sind wieder untersucht worden. Er hat uns sogar nackt ausgezogen, hat aber nichts gefunden.
Weihnachten 1942 kam der Zivilist zu mir und sagte: „Du, wir dürfen über die Feiertage nach Hause. Du muss t inzwischen eine Decke betonieren. Die muss fertig sein, bis wir wiederkommen.“
Ich hatte mich im Eisenbiegen sehr gut eingearbeitet. Ich habe es wirklich gut können.
Er hat mir die Pläne gegeben und hat mir gezeigt, welche Eisen an welchen Positionen einzubauen sind. Es war alles klar.
Die zwei, der Polier und der Zivilist, sind nach Hause gefahren und Willi Herkules hat gemeint, jetzt kann er mit mir tun und lassen,. was er will.
„So, jetzt bekommst du fünf Leute und denen zeigst du, wie man das alles macht, und dann gehst du zum Zementtragen.“
Ich habe ganz leise eingewendet: „Kapo, das kann ich nicht. Ich habe von dem Zivilisten den Auftrag bekommen, diese Decke zu betonieren. Ich bin dafür verantwortlich.“
„Die kann ein anderer betonieren, nicht nur du.“
„Nein, ich muss das betonieren. Ich muss das machen.“
Aber er hat mir fünf Holländer gegeben. Alle groß, über 1,80m. Doch die hatten noch nie im Leben ein Baueisen in der Hand gehabt. Also habe ich sie in die Arbeit eingewiesen. Zwei Stunden später ist der Herkules gekommen. und hat die Holländer gefragt: „Wie sieht’s aus? Könnt ihr das?“
Und die haben in ihrer Angst vor ihm natürlich gesagt: „Ja, ja, das geht schon, das können wir schon machen.“
Als ich am nächsten Tag in die Arbeit gekommen bin, hat der Willi Herkules angefangen, mich mit dem Zementtragen herumzujagen.
Die Holländer haben weiter die Eisen für die Decke gebogen und zusammengebunden. Bis zum Abend waren sie fertig. Ich war auch fertig. Ich habe gedacht: Noch einen Tag halte ich nicht aus. Die Zementsäcke habe ich im Laufschritt tragen müssen und er hat mich dabei immer wieder geschlagen. Am nächsten Tag hat er mir aufgetragen, den Holländern beizubringen, wie man Beton mischt. Am Nachmittags hat er sie wieder allein arbeiten lassen. Und ich muss te wieder Zement tragen. Die Holländer haben ihre Arbeit gemacht, aber eben nicht immer fachgerecht.
Am ersten Weihnachtsfeiertag haben wir auf der Baustelle nicht gearbeitet. Aber im Lager war etliches zu erledigen. In Mützen muss te Sand getragen werden, vielleicht über eine Distanz von 20 Meter. Die Kapos haben natürlich wieder geschlagen und die paar SS-Leute, die über Weihnachten nicht nach Hause durften, haben ihnen noch dabei geholfen, die Häftlinge zu schikanieren, denn sie waren schlechter Laune. So war ich recht froh, dass ich mich in der Leichenhalle etwas ausruhen konnte.
Am 2.Weihnachtsfeiertag kamen wir auch noch nicht auf die Baustelle. Also waren wir nach Weihnachten sehr überrascht, als wir zu unserem Arbeitsplatz kamen und sahen, dass die frisch betonierte Decke eingestürzt war. Der Zivilist kam dazu und begann zu toben, und der Polier fing an, mich zu schlagen.
„Halt, warten Sie, lassen sie mich erklären, lassen sie mich ausreden...“, wehrte ich mich.
Schließlich beruhigten sie sich doch so weit, dass ich erzählen konnte, wie m ich Willi Herkules von dieser Arbeit abgezogen hatte. Der Willi Herkules hat schreckliche Prügel bekommen, weil man die ganze eingestürzte Decke erst abtragen und dann völlig neu betonieren musste. Sogar der Kommandant Höß ist dazugekommen. Als der Willi Herkules wieder auftauchte, war er ganz grün und blau von den Schlägen. Und kaum war er wieder da, hat er angefangen, mich zu suchen. Ja, den ganzen Tag hat er mich gesucht.
Den Zivilisten hatte ich schon eingeweiht: „Du, der will mich totschlagen. Du Muss t mir helfen.“ Abends bin ich nicht in meinen Block, sondern nach dem Appell in einem anderen Block schlafen gegangen. Das ging ganz gut, denn jeder Block hatte täglich Tote und bis die wieder aufgefüllt waren, waren immer ein paar Schlafplätze frei. Und beim Morgenappell war ich wieder zur Stelle.
Er hat mich immer gesucht. Hätte er mich im Schlaf gefunden, dann hätte er mich sicher erwürgt. Er war unbeschreiblich. Er war der ärgste Sadist, dem ich begegnet bin. Mit der Zeit wurde ich aber nervlich ganz schön fertig, weil ich immer aufpassen muss te, dass ich zu irgendeiner wichtigen Arbeit eingeteilt wurde, von der er mich nicht wegholen konnte und in meiner Freizeit musste ich mich vor ihm verstecken.
Eines Tages komme ich in die Arbeit und er ruft mich zu sich: „Komm in meine Hütte!“
Ich bin sofort zu dem Zivilisten gegangen und habe gesagt: „Meister, der ruft mich in seine Hütte hinein. Kommen Sie mit, damit jemand da ist. Sonst erschlägt er mich.“
„Geh nur, hab keine Angst, ich werde schon hinter der Türe warten“, beruhigte er mich. So bin ich hineingegangen.
„Herein! - Weißt du, wie ich heiße?“
„Willi Herkules.“
„Weißt du, wieviel Leute ich totgeschlagen habe?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe das ja nicht gesehen. Ich habe sie ja nicht gezählt.“
„Ach komm, du weißt genau, wieviel ich totgeschlagen habe. Der weißt, wer Willi Herkules ist. So wie ich weiß, dass du Geschäfte gemacht hast. Organisiert hast mit dem Zivilisten. ich habe dich nie schnappen können. Von heute an kannst du machen, was du willst, da du so geschickt warst und mir entwischt bist. Deshalb schenke ich dir dein Leben.“
Der Mann hat mich von diesem Tag an nie mehr angeschaut. Ich habe wirklich machen können, was ich wollte, aber ich habe es nie draufankommen lassen, mich erwischen zu lassen. Ich habe weiter meine Organisationen gemacht, aber nie vor seinen Augen.
Eines Tages habe ich erfahren, dass meine Cousine irgendwo auf dem Kommando arbeitet und unweit von diesem Kommando war auch ein Männerkommando eingeteilt. Nun habe ich mir gesagt, da muss ich mich eben in dieses Kommando einteilen lassen und versuchen, mit dem Mädchen zu sprechen. Ich wollte etwas über meine Mutter herausbringen, denn meine Mutter war auch im Frauenlager, und ich wollte einfach wissen, ob sie noch lebt. Reines Tages in der Frühe ist es mir gelungen, mit diesem Kommando auszurücken. Wir kamen auf den Arbeitsplatz und der übliche Appell fand statt, wo der Kapo die Nummern aufgeschrieben hat. Er kommt zu mir und ich sage ihm die Nummer: 29063. Er schaut auf meine aufgedruckte Nummer und gibt mir eine Ohrfeige. „Du wirst gleich wieder ins Lager zurückmarschieren, und dann brauchst du in Zukunft keine Nummer mehr, wenn du dir schon die Nummer nicht merken kannst.“
„Kapo, das ist meine Nummer, 29063.“
Er sagt: „Ja vielleicht 129063, aber 29063.“
Ich habe meinen Ärmel hinaufgeschoben und habe ihm die eintätowierte Nummer gezeigt. Er sah die Nummer und bekam ganz große Augen: „Entschuldigung, das habe ich nicht wissen können, dass ein Jude mit der Nummer 29063 auf einem Außenkommando noch lebt. Was hast du denn für meinen Grund, dich für ein Außenkommando zu melden?“ Da habe ich ihm die Geschichte von meiner Cousine erzählt. Er hat nur immer den Kopf geschüttelt, als ich ihm in einer halben Stunde von meinem Werdegang erzählt habe.
„Das ist unglaublich, das du mit dieser Nummer bei Willi Herkules warst und noch lebst.“ ER hat mich unterstützt, meine Cousine zu finden, aber war leider war sie nicht dort. Ich kenne heute noch fünf Leute, die so niedrige Nummern unter 40000 haben.
Mai 1943: Der Willi Herkules hat einen Vorarbeiter namens Fritz Gihn gehabt. Dieser Fritz Gihn war ein sehr braver Bursche.
Willi Herkules hat man gesagt, dass er nach Hause gehen kann. Er hat unterzeichnet, dass er 10000 Leute umgebracht hat, und dann hat man ihm gesagt, dass er ins Zivilleben zurückkehren kann. Außerdem muss te er ein Dokument unterzeichnen, dass er niemandem sagt, was er gesehen hat, nicht einmal den Angehörigen. Zuvor allerdings müsse er noch zum Militär. Weil er aber viel für das Vaterland getan habe, bekomme er schon einen ruhigen Posten. Also hat man ihn in die Quarantäne gesteckt und hat ihm lange Haare wachsen lasen. Und 14 Tage später hat man ihn erschossen. Mein Bruder war Leichenträger und hat ihn abtransportiert. Daraufhin ist Fritz Gihn Kapo geworden. Und ich war irgendwie mit dem Fritz befreundet. Ich war schon damals ein alter Häftling, denn ich war schon sechs, sieben Monate im Lager, und das war sehr viel. Die Leute, die acht Monate überlebt haben, das waren Einzelfälle.
Der Fritz ließ mich also einmal rufen und sagte: „Ich weiß, du hast gute Beziehungen zu dem Zivilisten. Ich brauche eine Flasche Wodka.
Sage ich: „Das ist kein Problem, aber die Angst ist groß.“
Sagt er: „Du brauchst keine Angst haben. Und wenn sie mich schnappen, so werde ich nicht sagen, dass sie von dir ist.“
Ich habe zu dem Zivilisten gesagt: „Hören Sie zu, er gibt ihnen hundert Dollar und will eine Flasche Wodka haben. Geben Sie ihm die Flasche Wodka dort und dort.“ Und er hatte hundert Dollar dabei.
Und ich habe den Fritz schon vorher instruiert. Er hat mit einem jungen Polen, einem Häftling, gebechert. Ich weiß nicht warum, aber der Bursche war mir ein wenig verdächtig. Er hat mir keinen Anlaß dazu geboten, aber im Lager entwickelte man für alle möglichen Gefahren einen Instinkt. Hatte man den nicht, dann war das Überleben doch wesentlich schwieriger.
Er war etwa 20 Jahre alt, hat gut ausgeschaut, nicht wie ein Häftling. Die haben zusammen die Flasche Wodka getrunken, und der Pole sagte zu ihm in perfektem Deutsch: „Fritz, da hast du noch einmal hundert Dollar. Besorg noch eine Flasche Wodka.“
Als wir zu den Baracken gegangen sind, sage ich zu dem schon etwas betrunkenen Fritz: „Fritz, sei vorsichtig. Und morgen, wenn er die zweite Flasche will, kauf sie nicht.“
„Ja, ja, ich werde mich schon nicht erwischen lassen.“
Am nächsten Tag ist er alleine gegangen und hat wieder eine Flasche Wodka mitgebracht. Und dieses Mal hat der Fritz anscheinend etwas mehr getrunken. Und es war erst Vormittag. Mittags, als wir gegessen haben, ist der Fritz schlafen gegangen. Zu einem Vorarbeiter hat er gesagt: „Weck mich um ein Uhr, ich bin oben auf dem Boden.“
Wir haben gegessen und haben antreten müssen. Der Vorarbeiter ging den Fritz holen, der schon wieder etwas nüchterner war, und es wird gezählt.
Einer fehlte. Sofort als der Fritz das merkt, fragt er: „Wo ist der Pole?“
Und tatsächlich, der Pole war weg. Zehn Minuten später ist der Aumeier gekommen und hat den Fritz schrecklich zusammengeschlagen.
Der Pole war nicht gefunden worden.
Fritz hat einen Monat Bunker bekommen und ist dann auf das Kommando zurückgekommen. Nach einer weiteren Woche wurde er abgelöst und durch einen Tschechen ersetzt.
Als ich sechs Wochen später gerade beim Eisenbiegen war, arbeitete neben mir ein Häftling, der mir bekannt vorkam.
Ich schaute ihn genauer an, denn irgendwie kam er mir bekannt vor. Plötzlich, als er zu reden anfing, habe ich ihn erkannt: Es war der Pole.
Ich sag zu Gustav, dem Franzosen, der immer mit mir gearbeitet hat: „Schau dir den dort an! das ist doch der Pole, der vor sechs Wochen geflüchtet ist.“
Ich wußte nicht, wie ich mich nun verhalten sollte. Also habe ich den Polen beobachtet. Der hat gearbeitet, ist aber zwischendurch immer wieder herumgeschlichen. Mir kam das komisch vor. Am vierten Tag sprach ich ihn an: „Kennst du mich?“
„Nein.“
„Freilich kennst du mich. Du bist doch erst vor sechs Wochen geflüchtet.“
„Ich? Nein. Ich bin doch nicht geflüchtet.“
Er hat eine ganz andere Nummer gehabt. Sagt wer: „Ich bin ja erst eine Woche hier im Lager.“
Abend sagte ich zu Gustav: „Wir sollten aber den Kapo informieren.
Also ging ich zu ihm und erzählte ihm meine Beobachtungen: „Kapo, geben Sie acht, der ist geflüchtet. Ich will nicht, dass man ihn verrät. Aber passen Sie auf, dass er ihnen nicht vom Kommando abhaut.“
Viele Kapos haben große Schwierigkeiten bekommen, wenn von ihrer Gruppe jemand geflüchtet ist, denn sie sind dann oft in Strafkompanien verlegt worden und dort ums Leben gekommen.
Am nächsten Tag in der Früh ruft mich der Pole auf die Seite und sagt zu mir: „Ich kann dir hoffentlich vertrauen.“
Ich war vorsichtig: „Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Ich bin geflüchtet, und ich flüchte wieder. Ich bin ein Agent und ich habe schon das ganze Lager fotografiert.“
Er hat mir einen winzigen Apparat gezeigt, halb so groß wie ein Daumen. Für damals war das unglaublich.
„Ich habe alles fotografiert und ausspioniert, aber ich flüchte nicht von eurem Kommando.“ Und zwei Tage später war er weg. Und einen Monat später war er das dritte Mal drin.
Innerhalb der großen Postenkette war ein Teich. Er ist in den Teich verschwunden und hat durch ein Schilfrohr geatmet. So ist er bis in die Nacht versteckt geblieben. Wenn die Suchmannschaft vorbei war, ist er aus dem Wasser heraus und hat aus einem vorbereitetem Versteck Essen und Trinken herausgeholt. Die Nacht über war er am Ufer und tags blieb er im Wasser. So hat er dreimal flüchten können. Er war kein Pole, aber er konnte perfekt polnisch. Sein Name war Tadeusz. Er hat auch keine tätowierte Nummer gehabt, denn Nummern haben nur Juden gehabt und sogenannte „Erziehungshäftlinge“.
Auch ein Slowake ist geflüchtet, doch den hat man in der Slowakei geschnappt. Er hat sich die Nummer nicht wegmachen lassen können. Ein guter Freund im Lager aber war Tätowierer, und der hat ihm aus der Nummer eine Rose gemacht und zwei tage später hat man ihn auf einen Transport nach Polen geschickt.
Auch zwei Russen wollten unbedingt flüchten. Sie haben sich unweit vom Krematorium 2 einen Bunker zwischen gestapelte Barackenteile gebaut. Sie sind aber in Streit gekommen wegen Dingen, die sie mitnehmen wollten. Ich sollte den Schiedsrichter machen. Da sie sehr schlecht deutsch gesprochen haben, haben sie mich mitgenommen, weil ich mit meinem Slowakisch mich mit ihnen am ehesten verständigen konnte.
Eines Tages ist ein Slowake zu mir gekommen und hat mir gesagt, dass er wisse, dass die beiden flüchten wollten. Ich fragte ihn: „Woher weißt du das?“
„Ich weiß es und ich weiß auch, dass du den Schiedsrichter in ihrem Streit gemacht hast. Jemand hat euch zugehört und hat euch verpfiffen.“
Es stellte sich heraus, dass der Slowake einen Schulfreund bei der SS hatte und die beiden haben auch einen Plan gemacht, um zu flüchten. Es sollten drei Häftlinge flüchten. Der SS-Mann sollte sie aus dem Lager herausbringen, indem er sie mitnimmt auf ein Kommando und sie dann mit einem vorbereiteten Auto flüchten können. Sie hatten schon Geld, Gold und Uhren und andere Wertgegenstände gesammelt, dass sie die weitere Flucht nach England bezahlen könnten. Der Slowake hat nun Angst gehabt, dass ihre Vorbereitungen umsonst seien, wenn die zwei Russen vorher einen Fluchtversuch unternehmen und eventuell geschnappt werden. Denn nach jedem Fluchtversuch waren die Wachen besonders aufmerksam, und die Flucht war dann viel gefährlicher.
Der Bunker der Russen war nicht so hundertprozentig sicher, und deshalb haben diese den Plan aufgegeben. Nun war der Weg frei für die Slowaken.
Am Abend sagte der Fredo Wetzler zu mir: „Du, der Buller geht morgen mit dem SS weg.“
Ich fragte ihn: „Ist das so sicher, eine hundertprozentige Sache?“
Fredo schüttelte den Kopf: „Ich habe ihm abgeraten, waber er geht.“
Der SS-Mann hat sie aus dem Lager herausgeführt. Zwei Kilometer von der inneren Postenkette entfernt, hat er alle vier erschossen, hat ihnen alle Wertsachen abgenommen und ist zurück ins Lager gekommen, u m Meldung zu machen, dass die vier flüchten wollten. Dabei hätte er sie erschossen. Die vier Leichen hat man auf Stühlen vor das Tor hingesetzt und hat einen Zettel auf ihnen angebracht: „So geht es jedem, der flüchten will.“
Daraufhin haben alle Häftlinge wieder mehr Angst gehabt, an Flucht zu denken. Ich habe selbst immer gesagt, wenn ich flüchten würde, dann höchstens mit einem oder zwei Kollegen, aber ohne die Hilfe eines SS-Mannes oder eines Kapos, weil denen konnte man nicht glauben. Dieser SS-Mann war nämlich besser dran, wenn er die Häftlinge erschossen hat und ihnen das ganze Geld abgenommen hat. Sonst hätte er ja mit allen vier teilen müssen. Die vier Leute erschießen, war ja kein Problem. Hätte er sie aber flüchten lassen, dann hätte seine Geschichte schon hieb und stichfest sein müssen, um nicht auch in Verdacht zu kommen.
Vielleicht hat er außerdem noch einen Verdienstorden bekommen, wenn er die Flucht vereitelt hat.
Wenn man überleben wollte, musste man alle seelischen Belastungen möglichst gering halten, denn man brauchte seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit, um zu überleben. Man musste sich voll darauf konzentrieren, den Fallen der Kapos und der SS auszuweichen und sich bei den Organisationstätigkeiten nicht erwischen zu lassen.
Plötzlich habe ich erfahren, dass mein Vater tot ist. Sicher ist das nicht einfach, ein Mensch seine Eltern verliert. Aber was hilft es, da länger in diesem Falle drüber nachzudenken. Ich habe mir selber eingeredet: „Du darfst dich nicht zu lange mit dem Tod deines Vaters beschäftigen, sondern du muss t an dein eigenes Überleben denken. Alles andere muss t du von dir abstoßen, damit du deine ganzen Kräfte frei hast, um das zu meistern, was an Gefahren auf dich zukommt.
Jeder Schritt war ja eigentlich lebensgefährlich. Man ist auf die Latrine gegangen und war nicht sicher, ob nicht ein Kapo mit einem Stock vorbeikommt und einem einen Schlag auf den Kopf gibt, so dass man stirbt. Er brauchte ja nur zu sagen, dass man sich von der Arbeit drücken wollte. Viele sind von der Latrine hinuntergeworfen worden und in den Exkrementen erstickt.
Jeder Schritt und Tritt musste voraus bedacht werden. Heute kommt mir das alles ziemlich unwirklich vor. Ich zweifle manchmal daran, wenn ich das erzähle, dass ich es heute selbst kaum glauben kann.