12.04.16
VERWALTUNGSGERICHT: Wasserreservoir erhaltenswert
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Das Wasserreservoiraus den letzten Kriegsmonaten ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichts weiterhin ein schützenswertes Denkmal. Die Prozessbeteiligten schritten die wenige hundert Meter vom Wasserreservoir entfernte Bunkeranlage ab, um den örtlichen Zusammenhang der Denkmal-Orte zu erfassen. rob© OVB
Die Firma Innbau Beton darf das Kriegs-Wasserreservoir nicht abreißen und muss damit auf Lagerfläche verzichten. Das Verwaltungsgericht hat nun entschieden, dass das Baudenkmal erhalten bleiben muss.
Mettenheim – Das Wasser-Reservoir stammt aus den letzten Weltkriegsmonaten, das alte Gemäuer ist marode, von Gestrüpp und Bäumen mannshoch überwuchert und von der Straßenseite kaum einsehbar – doch das Verwaltungsgericht München hat jetzt dem geplanten Abriss durch den Grundstückseigentümer eine Absage erteilt. Die 1. Kammer war nach einem Ortstermin am Dienstag unter anderem von der Bedeutung als schützenswertes Denkmal im Zusammenhang mit dem ehemaligen Rüstungsbunker im Mühldorfer Hart überzeugt.
Die Firma Innbau Beton hatte gegen den Freistaat geklagt, um eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis zum Abbruch des etwa 50 mal 30 Meter großen Beckens zu erhalten. Geschäftsführer Albin Schuster hatte beim Ortstermin noch auf die Bedeutung des vor vier Jahren erworbenen Areals für das Unternehmen hingewiesen, das dringend Abstellfläche benötigt. Der Wald um das Gelände ist als Bannwald geschützt. Auf der anderen Seite führt die Verbindungsstraße zwischen Mühldorf und Waldkraiburg entlang.
Das Wasserreservoir diente möglicherweise als Absetzbecken für aus dem nahen Innkanal abgezweigtes Wasser zur Herstellung von Beton für den Rüstungsbunker. Vom heutigen Firmengelände führt ein Transportweg zur Bunkerruine. Häftlinge einer Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau sollten dort eine Flugzeug-Fabrik errichten. In den letzten Kriegsmonaten starben hier mehr als 3000 KZ-Häftlinge.
Auf dem Areal mit dem noch stehenden Bunkerbogen, dem ehemaligen KZ-Häftlingslager und einem Massengrab soll unter anderem mit Hilfe der Stiftung Bayerische Gedenkstätten ein Gedenkort entstehen. Das umstrittene Wasserreservoir ist nicht Teil des Gedenkkonzepts, steht aber unter Denkmalschutz.
Das Verwaltungsgericht unter der Leitung von Andrea Breit machte sich vor Ort ein Bild vom Ausmaß der Anlage – und vom zugewachsenen Zustand des Wasserreservoirs. Bau-Geschäftsführer Schuster schilderte die Notwendigkeit weiterer Lager-Möglichkeiten für große Beton-Einheiten. Die Prozessbeteiligten, darunter auch Vertreter des Landratsamtes Mühldorf und des Landesamtes für Denkmalschutz, marschierten vom Werksgelände durch ein Waldstück zu den ehemaligen Bunkerbögen, um das Ausmaß der Anlage und den räumlichen Zusammenhang zwischen Bunkerbögen und Wasserreservoir zu erfassen.
Die Kammer setzte die Verhandlung nach dem Augenschein im Sitzungssaal des Mettenheimer Rathauses fort. Die Klägerseite wies dort auf einen ohnehin verfallenen Zustand des Reservoirs hin und die Tatsache, dass es in den 1990er-Jahren bereits eine Abbrucherlaubnis gegeben habe. Damals sei aber nur ein danebenstehender Bunker eingeebnet worden.
Hier hakte der Mühldorfer Kreisheimatpfleger Ernst Aicher ein, die damalige Abriss-Entscheidung sei falsch und schon seinerzeit umstritten gewesen.
Vertreter des Landesamtes für Denkmalschutz führten an, Bunkerbögen und Wasserreservoir seien als Einheit zu sehen, stünden in einem sinnstiftenden Zusammenhang. Auch werde so die Dimension des Rüstungsvorhabens deutlich. Ein Foto kann nach Ansicht der Denkmalschützer die Substanz nicht ersetzen.
Das Gericht bezog einen Bebauungsplan für ein „Sondergebiet Kraiburger Straße 1“ nicht in die Überlegungen mit ein. Der Grund: Der Plan ist schlicht nicht rechtskräftig, das Areal damit weiterhin Außenbereich.
Das Gericht sah aufgrund der schlechten öffentlichen Wahrnehmbarkeit und des Erhaltungszustandes des Wasserreservoirs zwar einen „Grenzfall“ als gegeben an. Dennoch sei noch genug Substanz für einen Erhalt übrig.
Die Innbau muss auf Hinweis des Denkmalschutzes das Wasserreservoir nicht in seinen Ursprungszustand zurückversetzen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das zugewachsene Baudenkmal kann in seinem derzeitigen Zustand bleiben.
Das Urteil des der Richterin zufolge „zeitgeschichtlich bedeutsamen“ Verfahrens wird den Beteiligten in einigen Wochen zugestellt. Danach besteht die Möglichkeit beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Rechtsmittel einzulegen.
Ovb, 18.05.16
Finanz-Staatssekretär Jens Spahn besucht Mühldorfer Hart
Von den Ausmaßen der Anlage sehr beeindruckt. Im Bild von links: Dr. Erhard Bosch vom Verein für das Erinnern, Mettenheims Bürgermeister Stefan Schalk, Finanz-Staatssekretär Jens Spahn, Eva Köhr, Vorsitzende des Arbeitskreises KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart, Ampfings Bürgermeister Ottmar Wimmer, Bundestagsabgeordneter Stephan Mayer und stellvertretender Landrat Alfred Lantenhammer. re© OVB
Mühldorf. – „Der Bund steht Gewehr bei Fuß, was die Übergabe der Verkehrssicherungspflicht betrifft.“ Dies betonte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen Jens Spahn bei einem Besuch im Mühldorfer Hart. Staatssekretär Spahn war vom Ort der geplanten Gedenkstätte, vom Bunkerbogen, aber auch vom Ausmaß der Anlage sichtlich beeindruckt.
MdB Stephan Mayer hatte für den in diese Frage zuständigen Ansprechpartner und Bundestagskollegen eine Besichtigung des Geländes organsiert, nach dem Spahn bei einem ebenfalls von Mayer initiierten vorausgegangenen Gespräch in Berlin den Wunsch geäußert hatte, den Gedenkort vor Ort selbst zu sehen. An der von MdB Mayer einberufenen Berliner Gedenkstättenrunde hatten auch Staatsminister Dr. Marcel Huber, MdL und der Vorsitzende der Stiftung Bayerische Gedenkstätten MdL Karl Freller teilgenommen.
Nachdem die Frage nach der Trägerschaft vor Ort nach vielen Jahren Diskussion nun durch Beschluss des Bayerischen Kabinetts geklärt ist, erwarte der Bund ein Konzept für die Übernahme der Verkehrssicherheitspflicht, damit die Höhe der Kosten, die der Bund für die Abwicklung übernehme, verhandelt werden können. Bundestagsabgeordneter Stephan Mayer kündigte an, in Berlin nicht locker zu lassen. Auf bayerischer Seite hat Staatsminister Dr. Marcel Huber die Federführung für dieses Projekt im Mühldorfer Hart sehr gerne übernommen.
Ovb, 2.9.2016
EHEMALIGER HÄFTLING IZCHAK ROSENBAUM BESUCHT DAS BUNKERGELÄNDE
Mit Säcken an den nackten Füßen
Als 14-jähriger KZ-Häftling schleppte Izchak Rosenbaum an der Bunkerbaustelle im Mühldorfer Hart Zementsäcke. Nun kehrte er nach 70 Jahren mit seinen Kindern wieder an diesen Ort zurück.© OVB
Izchak Rosenbaum hat sein Leben in zwei Hälften geteilt: „Es gibt den Izchak vor dem Krieg. Und es gibt den Izchak nach dem Krieg.“ Dazwischen lag unmenschliches Leid. Im Konzentrationslager Auschwitz. Und im Mühldorfer Hart. Bis zu seiner Befreiung aus dem Todeszug.
Mühldorf – Izchak Rosenbaum ist tatsächlich noch einmal zurückgekehrt. Zurück an den Ort, an dem er vor über 70 Jahren seine Jugend verlor. Vorsichtig setzt der 86-Jährige die Schritte auf das Trümmerfeld am Bunkerbogen, das sich die Natur gerade mit aller Macht zurückholt. Gras, Büsche und Bäume wachsen über den Beton, den Izchak Rosenbaum einst hierher geschleppt hat. In Zementsäcken zu 50 Kilogramm, auf den schmächtigen Schultern eines 14-Jährigen.Immer wieder ging es damals die schmale Rampe hinauf zur Mischmaschine. Woche für Woche, Tag für Tag. Bei Regen, Schnee und Sonnenschein. „Im Winter haben wir uns die leeren Säcke um die nackten Füße gebunden. Wir hatten ja nur am Leib, was wir aus Auschwitz mitgebracht hatten.“Ein Dasein ohne Perspektive. Izchak Rosenbaums Mutter starb gleich nach der Deportation in Auschwitz, der Vater wurde später im KZ Ebensee ermordet.
Sohn Izchak kam schließlich am 18. September 1944 mit dem Zug ins KZ-Außenlager Mühldorf – um zu überleben. Wie? „Ich hatte Glück“, sagt er. „Ganz einfach.“ Ganz einfach? „Eine andere Erklärung gibt es nicht. Ich war nicht besonders stark. Ich war nicht besonders schlau. Ich war jung und hielt mich an ein paar Regeln, die ich mir selbst gegeben hatte.“
„War das Stück Brot im Magen, konnte es dir niemand mehr nehmen.“ Izchak Rosenbaum
Regel Nummer eins: Essen, was du in die Finger bekommst. „War das Stück Brot erst einmal in deinem Magen, konnte es dir niemand mehr wegnehmen.“ Außerdem reinigte der junge Häftling freiwillig in der Küche die großen Kessel. „Da fielen immer noch ein paar Tropfen Suppe mehr ab. So blieb ich bei Kräften, so gut es eben ging.“ Regel Nummer zwei: Hygiene. „Ich wusch mich jeden Tag von Kopf bis Fuß. Krank zu werden, war ein Todesurteil. Denn für die Kranken gab es nur noch halb so viel zu essen.“ Und Regel Nummer drei: Nie die Wahrheit sagen. „Hätte jemand herausgefunden, dass ich erst 14 bin, hätte ich nicht überlebt.“ Schon in Auschwitz habe er von den anderen Häftlingen den Tipp bekommen, sich älter zu machen. „Wenn ich gefragt wurde, war ich 16. Die 14-Jährigen kamen gleich ins Gas.“
Lange hat Izchak Rosenbaum nicht über das gesprochen, was zwischen seinem ersten und seinem zweiten Leben im Wald bei Mühldorf geschehen ist, woher die Narben an den Armen und Beinen kamen, warum ihn bis heute Erfrierungen an den Zehen plagen. „Ich wollte nur vergessen, nach vorne schauen, eine Familie gründen.“ Das hat er getan. Nach der Befreiung aus dem Todeszug bei Tutzing, nach dem ersten Bissen Schokolade aus der Hand eines amerikanischen Soldaten, nach der Emigration nach Israel im Jahr 1946. Dort machte Izchak Rosenbaum Karriere in der Elektronikbranche. Erst als Rentner begann er seine Erlebnisse aufzuarbeiten, sprach in Schulklassen über das, was im Vernichtungslager Auschwitz und im KZ-Außenlager Mühldorf geschehen war.
Seine Tochter und die beiden Söhne sollten nun mit eigenen Augen sehen, was sie zuvor nur aus den Erzählungen ihres Vaters kannten. Dr.Erhard Bosch, Zweiter Vorsitzender des „Vereins für das Erinnern“, zeigte der Familie das Bunkergelände und führte sie durch die Dauerausstellung im Haberkasten – mit einem nachdenklichen Izchak Rosenbaum. „Heute bin ich ein alter Mann“, sagt er. „Wenn ich das alles hier lese, höre und sehe, sind es Geschichten aus einem anderen Leben.“
Zum Tod Max Mannheimers
1. Ovb, Kommentar 26.09.16
Vermächtnis der Zeitzeugen
Für viele junge Menschen ist die NS-Zeit sehr weit weg.
Sie ist eines von vielen Kapiteln in ihren Geschichtsbüchern mit geringem Bezug zur Gegenwart. Nur wenige haben Großeltern, die von der Judenverfolgung berichten können oder wollen. Die Chance, mit Hilfe von Zeitzeugen den Holocaust begreifen zu können, werden die kommenden Generationen von Schülern nicht mehr haben.
Die Stimmen der Überlebenden sind wichtig – heute vielleicht noch wichtiger als in den Jahren nach 1945. Es waren Bilder aus den aktuellen Nachrichten, die Max Mannheimer bis zuletzt angetrieben haben zu erinnern: brennende Flüchtlingsheime, Pegida-Demonstrationen, die NSU-Morde. Die Angst, dass sich die Geschichte wiederholen könnte, teilte er mit vielen Zeitzeugen.
Ihre Botschaft ist fast immer dieselbe: Ihr tragt keine Schuld an der Vergangenheit – aber ihr habt die Verantwortung für die Gegenwart. Es ist ein Appell, der aus dem Mund von KZ-Überlebenden schwer zu überhören ist. Doch uns bleiben immer weniger von ihnen. Es ist die schwierige Aufgabe von Schulen und Gedenkstätten, ihre Appelle nicht verstummen zu lassen – und in ein Vermächtnis zu verwandeln.
Katrin Woitsch
26.09.16
Das Vermächtnis des Brückenbauers
Die Welt hat einen Mann verloren, der unermüdlich gegen das Vergessen gekämpft hat. Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer war ein Mahner, ein Versöhner, ein Brückenbauer. Er konnte nicht damit aufhören, über die Vergangenheit zu sprechen – aus Sorge um die Zukunft.
Zum Tode Max Mannheimers
Von Katrin Woitsch
München – Der wichtigste Abschnitt in Max Mannheimers Leben beginnt mit Baldriantropfen. Die Aufregung ist zu groß, sein Herz klopft wild. Es ist 1986 und der Tag, an dem er das erste Mal in die Vergangenheit zurückreisen wird. Gemeinsam mit einigen Jugendlichen, die den Holocaust nur aus ihren Geschichtsbüchern kennen. Max Mannheimer soll ihnen das berichten, was nicht in den Büchern steht. Seine Geschichte. Eine Überlebensgeschichte. Er soll über Erinnerungen sprechen, die so schmerzhaft sind, dass er vier Jahrzehnte über sie geschwiegen hat. Er weiß nicht, ob er es schaffen wird, als er auf dem Stuhl im Klassenzimmer Platz nimmt. Aber er weiß, dass er es unbedingt schaffen will. Mit fester Stimme beginnt er zu erzählen. Es ist der Moment, in dem aus dem Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer ein Brückenbauer wird.
In den vergangenen 30 Jahren hat Max Mannheimer viele Brücken in die Vergangenheit gebaut. Er hat jede Gelegenheit genutzt, seine Geschichte zu erzählen – besonders vor jungen Menschen. „Das letzte Drittel meines Lebens scheint mir das Wichtigste zu sein“, sagte er einmal. Das Reden wurde eine Therapie. Eine Herzenssache. Er selbst nannte es anders: „Eine unumgängliche Pflicht.“
Am Freitag hat die Welt Max Mannheimer verloren. Er starb im Alter von 96 Jahren in München. Ein langes Leben – und immer hat er gekämpft. Erst ums Überleben. Dann gegen seine Erinnerungen. Das letzte Drittel seines Lebens gegen das Vergessen.
Max Mannheimer ist ein junger Mann, als er fast seine ganze Familie auf einmal verliert. Es ist die Nacht des 2. Februar 1943, als der Zug mit kreischenden Bremsen im KZ Auschwitz-Birkenau hält. Ein SS-Offizier schickt seine Eltern, seine Frau Eva, seine Schwester Käte direkt in die Gaskammern. Nur Max und seine Brüder Ernst und Edgar landen in der linken Reihe. Links bedeutet Zwangsarbeit. Ernst wird bald darauf schwer krank und ermordet. Nur Max Mannheimer und sein Bruder Edgar überleben Auschwitz, später die Lager in Warschau, Dachau und die Zwangsarbeit in Karlsfeld und Mühldorf. Als sie am 30. April 1945 auf einem Evakuierungstransport von den Amerikanern befreit werden, wiegt Max Mannheimer nur noch 47 Kilo und ist an Typhus erkrankt. Er ist 25 Jahre alt – und rechnet nicht damit, dass er noch viel Leben vor sich hat. „Wenn ich 40 Jahre alt werde, bin ich zufrieden“, sagt er.
1945 hatte er gehofft, dass die Welt niemals vergessen wird, was in Auschwitz, Dachau und den vielen anderen Konzentrationslagern passiert ist. Für sich selbst hat er sich etwas anderes gewünscht: seine Erinnerungen an diese Zeit verlieren zu können. „Glücklich sind die Leute, die vergessen können“, sagte er einmal. „Leider ist es bei mir so, dass ich sogar die ganzen Details unauslöschlich in meinem Gedächtnis gespeichert habe.“ Max Mannheimer hat Jahrzehnte gebraucht, bis er mit diesen Erinnerungen umgehen konnte.
Er kehrt 1945 in seine Heimat Neutitschein im heutigen Tschechien zurück und schwört sich, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Doch es kommt anders: Mannheimer verliebt sich ausgerechnet in eine Deutsche – Elfriede Eiselt. Eine Widerstandskämpferin, ihre Familie hatte während der NS-Zeit Juden versteckt. Für Max Mannheimer ist sie eine Heldin. Mit ihr und der gemeinsamen Tochter Eva kehrt er zurück nach München.
Über seine Erinnerungen schweigt er. Selbst viele Jahre später – er ist bereits Großvater – fragt ihn seine Enkeltochter, warum er fünf Zahlen auf den Unterarm eintätowiert hat. 99728 – seine Häftlingsnummer. Alles, was in den Konzentrationslagern von seiner Persönlichkeit, seiner Würde übrig geblieben war. Mannheimer lächelt seine Enkelin an und sagt: „Das ist die Telefonnummer von einem sehr guten Freund. Ich will sie auf keinen Fall vergessen.“
Erst als seine Frau Mitte der 60er-Jahre stirbt und er selbst glaubt, schwer krank zu sein, beginnt er, seine Erinnerungen aufzuschreiben – für seine Tochter. Und dann, in den 80er-Jahren, kommt der Tag, an dem er das erste Mal den Mut fasst, darüber zu sprechen. Vor einer Schulklasse.
Es gibt einen Satz, den er jedes Mal sagte, wenn er vor Jugendlichen sprach. Dieser Satz war Mannheimers Botschaft, sein Appell: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was passiert ist. Ihr seid verantwortlich für die Zukunft.“ Es war ein Satz, den er sich nicht traute, nicht zu sagen. Ist die Welt nach Auschwitz und Dachau besser geworden? Sind wir wachsam genug? – Das waren Fragen, mit denen sich Max Mannheimer bis zuletzt beschäftigte. Wegen der NSU-Morde, wegen Pegida, wegen brennender Flüchtlingsheime und ausländerfeindlicher Parolen.
Wegen seiner Zweifel hat er vor drei Jahren einen Brief geschrieben. An die Bundeskanzlerin persönlich. Er hat Angela Merkel nach Dachau eingeladen – um mit ihr die größtmögliche Aufmerksamkeit nach Dachau zu holen. Merkel hat die Einladung angenommen. Sie hat als erste amtierende Regierungschefin eine KZ-Gedenkstätte besucht, gemeinsam mit Mannheimer einen Kranz niedergelegt und mit Überlebenden gesprochen. „Eine Ehre für uns“, sagte Mannheimer damals. „Und ein wichtiges Zeichen.“
Mannheimers Vermächtnis setzt sich aus vielen dieser Momente zusammen. Er hat keinen Unterschied gemacht, ob er Jugendliche oder die Bundeskanzlerin vor sich hatte, wenn er von seinen Erinnerungen sprach und für Demokratie kämpfte. Die Baldriantropfen brauchte er nach diesem einen ersten Vortrag nie wieder. „Ihr braucht euch nicht scheuen, ihr dürft alles fragen“ – diesen Satz hat er in vielen bayerischen Schulen gesagt. Es kamen immer Fragen.
Eine mochte er besonders: „Wie denken Sie über Neonazis?“ Denn auf diese Frage konnte er mit einer seiner Lieblingsgeschichten antworten. Es ist die Geschichte von Timo, einem Jugendlichen, dem er einmal bei einer Führung in der KZ-Gedenkstätte Dachau kennengelernt hatte. Die Haare abrasiert, in den Springerstiefeln weiße Schnürsenkel. „Er ist mir den ganzen Tag nicht von der Seite gewichen“, erzählte Mannheimer. Nach der Führung sagte Timo seiner Lehrerin, er glaube, Max Mannheimer habe Angst vor ihm. Mannheimer schmunzelte, wenn er das erzählte, dann sagte er: „Ich habe meine ganze Angst bereits in Auschwitz verbraucht.“
Jahre später erfuhr er, dass ausgerechnet dieser junge Mann eine israelische Flagge in seiner Wohnung hängen hatte und glücklich mit einer Polin zusammenlebte. Geschichten wie diese trieben Max Mannheimer an. Noch in den Wochen vor seinem 95. Geburtstag besuchte er Schulklassen. Er konnte und wollte mit dem Erinnern nicht aufhören. Zu sehr wünschte er sich, dass die Welt, die er irgendwann verlässt, aus der Geschichte gelernt hat.
ovb, 27.9.2016
Der Verlust der Zeitzeugen
„Weitermachen wie bisher“: Der ehemalige NS-Verfolgte Ernst Grube inmitten einer Schülergruppe im Münchner Hasenbergl. In der Hand hält er ein Bild der 1938 von den Nazis abgerissenen Münchner Synagoge. Foto: Klaus Haag© OVB
Der Tod des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer, 96, verdeutlicht einmal mehr: Die Zahl ehemaliger KZ-Häftlinge, die die Schrecken der NS-Zeit selbst erlebt haben, wird kleiner. Wer wird später einmal darüber erzählen?
NACH DEM TOD VON MAX MANNHEIMER
von dirk walter
München – Ernst Grube, 83, seufzt. „Es wird weitergehen wie bisher“, sagt der ehemalige NS-Verfolgte, der als Kind einer jüdischen Mutter ins KZ Theresienstadt verschleppt wurde. Doch der Tod von „Max“, wie er den verstorbenen Max Mannheimer nennt, hat ihn hart getroffen – auch deshalb, weil die Zahl derer, die über die NS-Schrecken erzählen können, immer kleiner wird. Eigentlich sind es nur noch zwei ehemalige KZ-Häftlinge, die in München und der umliegenden Region vor Schulklassen auftreten: Neben dem Münchner Grube ist das Abba Naor, ehemaliger Häftling der Landsberger KZ-Außenlager, der oft aus Israel anreist. In vielen Schulen weit entfernt von München sind indes gar keine Besuche von Holocaust-Überlebenden mehr möglich. Man behilft sich mit Besuchen von KZ-Gedenkstätten. „Die Deutungshoheit geht nun ganz auf die Geschichtsforscher über“, meint Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands und Leiter eines Deggendorfer Gymnasiums.
Dass die Zahl der Zeitzeugen schwindet, merkt auch Friedrich Schreiber, 84. Der ehemalige ARD-Korrespondent in Israel organisiert jedes Jahr einen Gedenkzug zur Erinnerung an den Todesmarsch Dachauer KZ-Häftlinge durch das Würmtal. Beim ersten Zug 1998, erinnert er sich, waren es etwa 50 ehemalige Häftlinge, die mitgingen. Beim letzten Mal Ende April dieses Jahres kamen noch vier.
Die KZ-Gedenkstätte Dachau, die jedes Jahr Anfang Mai die Befreiungsfeier veranstaltet, beobachtet diesen Verlust auch. Etwa 20 ehemalige Häftlinge kamen beim letzten Mal. Es gebe zwar noch Kontakt zu sehr viel mehr Überlebenden, in den USA ebenso wie in der ehemaligen Sowjetunion. „Aber wollen Sie einem fast 90-Jährigen eine 14-stündige Anreise zumuten?“ Eine belastbare Schätzung, wie viele ehemalige Häftlinge der annähernd tausend Konzentrations- und Vernichtungslager (inklusive Nebenlager) noch leben, gibt es nicht. Sicher ist nur: Es werden weniger. 2010 soll es in Israel 250000 Holocaust-Überlebende gegeben haben. 2014 waren es noch 180000. „Die heutigen Zeitzeugen haben den Holocaust als Kind oder Jugendliche er- und überlebt“, sagt Jürgen Zarusky, Historiker am Münchner Institut für Zeitgeschichte. Doch ihre Zahl werde kleiner. Klar, es gebe die Zeugnisse der Verstorbenen: Bücher, Reden, Filme. Doch der authentische Auftritt sei nicht leicht zu ersetzen. Zarusky spricht vom „Übergang des kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis“ – so haben es die Kulturwissenschaftler Jan und Aleida Assmann genannt. Kommunikativ – das ist die mündliche, alltagsnahe Überlieferung durch lebende Personen. Das kulturelle Gedächtnis ist letztlich der generelle allumfassende Nachlass der Menschheit. Geht nun die Erinnerung an den Holocaust darin auf? Zarusky überlegt: Das Erzählen vom Holocaust müsse von den Jüngeren beständig gepflegt werden – als „Teil der deutschen Kultur“. Dennoch: „Es geht etwas unwiederbringlich verloren.“
„Unsere Reihen lichten sich“, warnten ehemalige Häftlinge aus Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau und anderen Lagern schon 2009. Sie schrieben einen dramatischen offenen Brief: das „Vermächtnis der Überlebenden“. Zwar zeugten die ehemaligen Lagerorte als „steinerne Zeugen“ vom NS-Grauen. Es sei aber nun vor allem die Aufgabe der jungen Menschen, ihren Kampf „gegen die Nazi-Ideologie“ fortzuführen. Von den zehn Unterzeichnern des Briefes sind mittlerweile fünf verstorben, unter ihnen nun auch Max Mannheimer.
Die Hoffnung, dass die Jüngeren ihr Engagement fortsetzen, hört man unter den älteren Organisatoren von NS-Gedenkveranstaltungen öfters. Friedrich Schreiber beispielsweise nennt die zweite und dritte Generation der Holocaust-Überlebenden, also deren Kinder und Enkel. Er lädt sie bewusst regelmäßig auch ein. Teilweise mit Erfolg: Beim Gedenkzug gehen jedes Jahr auch Angehörige verstorbener Häftlinge mit. „Wir machen weiter“, betont Schreiber daher.
Auch die Lagergemeinschaft Dachau hat einen Vertreter der zweiten Generation im Vorstand, junge Mitglieder sind willkommen. „Wir sind offen für jeden, der unsere Ziele teilt“, sagt Ernst Grube, auf den nach dem Tod von Max Mannheimer nun wohl das Amt des Vorsitzenden zukommt. Er selbst hat schon wieder Termine in Schulen ausgemacht. „Man muss da emotional vorgehen, die Schüler zum Gespräch bringen, die Parallelen zu heute aufzeigen“, sagt er. „Das kann ja nicht jeder.“
Gedenkakt für Max Mannheimer
Heute wird Max Mannheimer auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in München beigesetzt. Die Zeremonie leitet Rabbiner Steven Langnas.
Eine Gedenkfeier für den Verstorbenen ist am Sonntag, 23. Oktober, im Jüdischen Gemeindezentrum geplant. Dabei soll das öffentliche Wirken Mannheimers im Mittelpunkt stehen. Unter anderem sind Reden von OB Dieter Reiter und Alt-OB Christian Ude eingeplant.
26.09.16
„Es bleibt seine Botschaft der Versöhnung“
Am Freitag ist der KZ-Überlebende Max Mannheimer im Alter von 96 Jahren verstorben. Seit Jahrzehnten war Mannheimer die zentrale Figur in der Erinnerungsarbeit rund um das KZ-Außenlager Mühldorf. Die Reaktionen auf seinen Tod:
• Franz Langstein, Vorsitzender des „Verein für das Erinnern“: „Wer Max Mannheimer getroffen hat, war nicht nur beeindruckt, sondern immer auch in seinen Bann gezogen. Seine Person, sein Dasein, sein Lächeln und seine Worte werden uns fehlen. Was bleibt, ist seine Botschaft der Versöhnung. Max Mannheimer stand und steht für ein menschliches, für ein soziales Miteinander. Dank seiner Gelassenheit, seines Humors und seiner Nicht-Wehleidigkeit angesichts dessen, was er in den Konzentrationslagern Auschwitz, Dachau und Mühldorf erlebt hat, war er immer auch ein persönliches Vorbild für mich. Trotz aller Hürden und Rückschläge in der Gedenkarbeit hat er den Blick immer nach vorne gerichtet.“
• Josef Wagner, Mitglied im „Verein für das Erinnern“:„Mit dem Tod von Max Mannheimer habe ich auch einen Freund verloren. Wir kannten uns über 30 Jahre, das erste Mal habe ich ihn Anfang der 1980er-Jahre in einer Schulklasse gehört. Zuletzt habe ich ihn vor 14 Tagen besucht, um ein paar Bildbände seiner Kunstwerke abzuholen. Als er so da saß und in jedes Buch ein paar Zeilen schrieb, sagte er, dass er wohl bis zum letzten Atemzug weiter machen werde. Er tat das stets ohne Verbitterung, ohne Verbissenheit, ohne erhobenen Zeigefinger. Auch wenn er inhaltlich zur Geschichte des KZ-Außenlagers aufgrund seiner langen Zeit im Krankenlager eher wenig beitragen konnte, war er für den Verein in der Erinnerungsarbeit derjenige, der die Kontakte zu den anderen Überlebenden herstellte und hielt.“
• Eva Köhr, Vorsitzende des Arbeitskreises Bunkergelände: „Er hat sich über die Eröffnung der Ausstellung im Haberkasten sehr gefreut und gesagt, endlich werde auch das Leben im KZ-Außenlager Mühldorfer Hart dokumentiert. Darauf habe er lange gewartet. Bedauerlich ist, dass er die endgültige Eröffnung des Gedenkortes nicht mehr erleben durfte. Wir verlieren in ihm einen guten Freund und vor allem Förderer und Forderer bei der Staatsregierung.“
• Dr. Marcel Huber, Staatskanzleichef: „Er war ein außergewöhnlicher Mensch, der in besonderer Weise und ohne den Gedanken an Revanchismus vor allem auf die jungen Menschen zugegangen ist. Es ist schade, dass er mit Blick auf die Gedenkstätte die Früchte seiner Arbeit nicht mehr erleben kann. Aber ohne ihn wären wir nie so weit gekommen.“
• Stephan Mayer, CSU-Bundestagsabgeordneter: „Es ist bedauerlich, dass Max Mannheimer die Eröffnung der Gedenkstätte im Mühldorfer Hart nicht mehr erlebt. Um so mehr muss sein Tod jetzt zusätzliche Motivation sein, das Projekt noch weiter voranzubringen.“
• Marianne Zollner, Bürgermeisterin Mühldorf: „Die Nachricht macht mich tief betroffen. Doch um so mehr verspüre ich nun den Auftrag, die Erinnerungsarbeit in seinem Sinn weiter voranzutreiben.“
• Günther Knoblauch, Altbürgermeister Mühldorf: „Max Mannheimer hat unendlich viel für die Erinnerungsarbeit getan. Und er ist mit Sicherheit eine der größten Persönlichkeiten, die sich in unserer Region engagiert haben. Die Gedenkstätte wird eng mit seinem Namen verbunden sein, auch wenn er die Eröffnung leider nicht mehr erlebt. Aber ohne ihn wäre gar nichts möglich gewesen.“
Ovb, 28.09.16
Ein Zeichen der Anteilnahme: Münchens OB Dieter Reiter legt nach jüdischem Brauch einen Stein auf das Grab.© OVB
Bewegende Trauerfeier für Max Mannheimer: Der am Freitag verstorbene Holocaust-Überlebende ist in München beigesetzt worden. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, sagte: „Lieber Max, du bist unersetzlich.“
BEISETZUNG VON MAX MANNHEIMER
VON DIRK WALTER
München – Auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in München-Freimann sind 8500 Münchner Juden bestattet. Große Namen sind darunter, wie Hans Lamm, einst Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Oder Philipp Auerbach, einst Staatskommissar für religiös oder politisch Verfolgte. Auf manchen Grabsteinen steht: „deportiert und umgekommen“; oder „deportiert nach Riga 1941“. Aber auch: „gefallen vor Verdun, Mai 1916“.
Nun ist auch Max Mannheimer, Bayerns, vielleicht Deutschlands wichtigste Stimme im Kampf gegen das Vergessen der NS-Verfolgung, dort beigesetzt. „Lieber Max, Du warst einzigartig, du bist unersetzlich“, sagte Charlotte Knobloch in ihrer Trauerrede.
Sie lernte Max Mannheimer als jungen Mann kennen – kurz nachdem er dem KZ Mettenheim bei Mühldorf entronnen und bei Tutzing aus einem Todeszug von Typhus gezeichnet endlich befreit worden war. Er war ihr Ratgeber und ein enger Freund – auch wenn sie „mitnichten immer einer Meinung“ waren. Doch der Verstorbene habe Differenzen mit seinem unvergleichlichen Humor stets überbrückt. Auf Jiddisch gesagt: „Er war a Mensch“.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter trug sich ebenso wie sein Vertreter Josef Schmid in ein Kondolenzbuch ein. „Es ist wichtig, dass die Stadtspitze in ihrer politischen Breite vertreten ist“, betonte Schmid. Auch die Alt-OB’s Hans-Jochen-Vogel und Christian Ude, Kultusminister Ludwig Spaenle und der Vertreter des Hauses Wittelsbach, Franz von Bayern, kamen, um Max Mannheimers Tochter Eva und dem Sohn Ernst zusammen mit ihren Familien zu kondolieren. Einen Ehrenplatz bei der Trauerfeier hatte die Schwester des Karmeliterklosters auf dem Gelände der Dachauer KZ-Gedenkstätte, Schwester Elija Boßler, mit der Mannheimer in den letzten Jahren eng befreundet war.
Unter den Trauergästen waren auch Vertreter von Geschichtsinitiativen, die Max Mannheimer stets unterstützt hatte – zum Beispiel Anna Andlauer aus Markt Indersdorf, Friedrich Schreiber aus dem Würmtal, sowie der ehemalige Bürgermeister von Gauting, Ekkehard Knobloch. „Den Max kannte ich über seine Malerei, die er in der Stockdorfer Kirche ausgestellt hatte.“ Anfang der 1980er Jahre war das. Mannheimer half dann sehr, die ersten Todesmarsch-Mahnmale im Würmtal aufzustellen. Er saß auch in der Jury, die den Mahnmal-Entwurf auswählte. „Max war eine Autorität.“
Charlotte Knobloch zitierte ein Mannheimer-Wort: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber was in Zukunft geschieht, dafür schon.“ Max Mannheimer sei verstummt, sagte die Präsidentin der Kultusgemeinde. Aber sein Auftrag bleibe auch in einer Zeit, da die Zahl der ehemaligen KZ-Häftlinge immer weniger werde.
Ovb, 30.09.16
MAX-MANNHEIMER-SCHULE
Neue Diskussion gefordert
Den Tod Max Mannheimers hat Grünen-Stadtrat Dr. Georg Gafus zum Anlass genommen, eine neue Diskussion über die Benennung der Mittelschule nach dem ehemaligen KZ-Gefangenen zu führen. Er beruft sich ausdrücklich auf den Wunsch der Mittelschüler.
Mühldorf– Seit Jahren setzt sich die Mittelschule mit der NS-Vergangenheit in Mühldorf auseinander und hat dabei einen besonderen Schwerpunkt auf den Kontakt zu Zeitzeugen gelegt, die damals im KZ-Außenlager Dachau im Mühldorfer Hart litten. Zu Max Mannheimer haben dabei viele Schüler und die Schule als ganzes eine enge Beziehung entwickelt. Deshalb schrieb Schülersprecherin Julia Merschank in einem Brief an Bürgermeisterin Marianne Zollner in diesem Frühjahr, Mannheimer habe sich zu einer Symbolfigur für die Schule entwickelt. Sie bittet in diesem Brief, der auch im Jahresbericht der Schule abgedruckt ist, ausdrücklich darum, noch einmal über die Namensgebung nachzudenken.
Dem schloss sich nun – nach dem Tod Mannheimers vor einer Woche – Dr. Georg Gafus in einem Schreiben an die Bürgermeisterin und den Stadtrat an. Er regt darin die Namensgebung anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Schule im nächsten Jahr an.
Bislang hatte sich der Stadtrat gegen verschiedene Anträge ausgesprochen, die Schule nach dem Zeitzeugen zu benennen. Zuletzt 2009 berief sich das Gremium auf die Fünf-Jahres-Regel, die für Namensgebungen vorgesehen ist: Straßen, Wege oder Plätze dürfen erst fünf Jahre nach dem Tod eines Menschen nach ihm benannt werden; Gebäude sind in dem Passus aber nicht erwähnt.
Diese Regelung sieht Gafus nicht als Hindernis, die Schule schon heute nach Mannheimer zu benennen: „Unsere Satzung gibt uns dazu ausdrücklich die Möglichkeit, weil die weise Formulierung, in der Regel nicht früher als fünf Jahre nach dem Tod des Ausgezeichneten‘ Ausnahmen von dieser Regel zulässt.“
Gafus verweist auf die zahlreichen Ehrungen, die Mannheimer bereits in der Vergangenheit erfahren hat, darunter seien die höchsten Auszeichnungen, die der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland vergeben würden. „Mit Max Mannheimer haben wir die Möglichkeit, eine Persönlichkeit auszuzeichnen, die sich nicht nur um die Stadt und den Landkreis mit ihren Bürgern verdient gemacht hat, sondern auch hohe Verdienste um Bayern und Deutschland erworben hat.“ Mannheimer wurde am Dienstag im Kreise seiner Familie in München beerdigt.
Bürgermeisterin Marianne Zollner war gestern nicht zu erreichen. Ob das Thema auch in der Stadtratssitzung am Abend zur Sprache kam, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. hon
Ovb, 01.10.16, Kommentar
Sensibel, aber konsequent
Es war natürlich nur eine Frage der Zeit, bis die Diskussion um die Max-Mannheimer-Schule wieder aufflammt.
Dass allerdings nur 48 Stunden zwischen der Beerdigung des ehemaligen KZ-Häftlings und der ersten – wenn auch vorsichtigen – Anfrage von Dr. Georg Gafus im Mühldorfer Stadtrat vergehen, überrascht dann doch. Ein politischer Reflex mit wenig Feingefühl für den passenden Moment. Leider.
Was nichts daran ändert, dass sich die Stadt dem Thema in naher Zukunft – und nicht erst in fünf Jahren – stellen muss. Bürgermeisterin Marianne Zollner tut gut daran, dabei sensibel, aber konsequent vorzugehen. Vor einer Debatte im Stadtrat gilt es genau auszuloten, wie die Fraktionen zu einer Umbenennung stehen. Ein öffentliches Scheitern in dieser Frage kann sich die Stadt nicht leisten, die Außenwirkung wäre verheerend. Noch verheerender als die peinliche und unwürdige Diskussion, die an gleicher Stelle vor sieben Jahren geführt wurde.
Mit dem Tod und der nationalen Würdigung der Lebensleistung Mannheimers sollte jedem Mühldorfer klar sein, welch herausragende Persönlichkeit der ehemalige Häftling war. So herausragend, dass er eine Ausnahme von der „Fünf-Jahres-Regel“ rechtfertigt. So herausragend, dass die Mittelschule, zu der er eine besondere Beziehung pflegte, seinen Namen tragen sollte.
Ovb, 11.10.16
AM BAHNHOF JETTENBACH
Gedenktafel erinnert an KZ-Häftlinge
Pater Josef Stemmer(rechts) segnete die Erinnerungstafel.
Jettenbachs Zweiter Bürgermeisterin Maria Maier (linkes Bild von links), die Vorsitzende des Heimat- und Kulturkreises Elvira Schreiner, und Franz Langstein vom Verein „Für das Erinnern“ bei der Einweihung der Tafel wider das Vergessen.
Es war ein langer Weg, bis eine Gedenktafel am ehemaligen Bahnhofsgebäude in Jettenbach angebracht werden konnte. Jetzt wurde die Tafel eingeweiht. Sie soll an den Weg der KZ-Häftlinge aus dem Außenlager Mittergars erinnern, die zu ihren Arbeitseinsätzen täglich an dieser Stelle vorbei gingen.
Jettenbach – Elvira Schreiner, die Vorsitzende des Heimat- und Kulturkreises Jettenbach, erzählte in ihrer Ansprache von kleinen und größeren Hindernissen. Pater Josef Stemmer segnete die Erinnerungstafel.
Den Text (siehe blauer Kasten) hat Peter Müller, der Autor des Buches „Der KZ-Außenlager-Komplex Mühldorf“, verfasst. Schwieriger war die Findung eines Logos, das einheitlich für alle KZ-Gedenkstätten im Kreis Mühldorf sein sollte. Die Tafel selbst hat die Firma Mandl aus Kraiburg gefertigt. Sofort einverstanden mit der Anbringung der Tafel war die Familie Grasser, als Eigentümerin des Bahnhofsgebäudes.
Max Mannheimer, der vor zwei Wochen verstorbene Überlebende des KZ-Außenlagers im Mühldorfer Hart, war Mahner, Versöhner und Brückenbauer ebenso wie Leslie Schwarz, der überlebende Zeitzeuge des KZ-Außenlagers Mittergars. Gertrud Schuch, Mitglied im Kulturkreis Jettenbach, erinnerte in einem Gedicht von Leslie Schwarz an die schreckliche Zeit, die die Häftlinge durchmachen mussten.