Der Kopf funktioniert noch halbwegs (Max Mannheimer 95), ovb,6.2.2015
Überraschende Verschiebung (des Gedenkstättenbaus), ovb, 4.3.2015
Die nächste Enttäuschung (Kommentar), ovb, 4.3.2015
Huber für 2016 zuversichtlich, ovb, 5.3.2015
Köhr: Kritik an der Stiftung, ovb, 6.3.2015
Der Geschichtenforscher (Marc Spohr), ovb, 30.3.2015
Jetzt geht es um den Bunkerbogen, ovb, 30.4.2015
jeder musste hinschauen (Todesmärsche). ovb 30.4.2015
Kein Schlussstrich (Gedenkfeier 2015), ovb, 4.5.2015
Das Baby aus dem Lager, ovb 24.6.2015
Keine Versöhnung mit dem Nazi, ovb, 21.7.2015
Durch die Hölle gegangen (L.Schwartz), ovb, 30.7.2015
Freistaat übernimmt Rüstungsbunker, ovb, 22.7.2015
Der Weg für eine Gedenkstätte ist geebnet, wochenblatt-online, 21.7.2015
Ein kleines Zeitfenster genutzt, ovb, 24.7.2015
Stadtratssitzung unterm Bunkerbogen, ovb, 8.10.2015
ovb, 6.2.2015
„Der Kopf funktioniert noch halbwegs“
Er ist einer der ältesten Zeitzeugen: Theresienstadt, Auschwitz, Warschau, Dachau, Mühldorf – mehr als zwei Jahre lang wurde Max Mannheimer von einem KZ ins nächste verschleppt. Heute wird der wohl prominenteste Mahner gegen Rechtsextremismus 95 Jahre alt.
Max Mannheimer wird 95
Er ist einer der ältesten Zeitzeugen: Theresienstadt, Auschwitz, Warschau, Dachau, Mühldorf – mehr als zwei Jahre lang wurde Max Mannheimer von einem KZ ins nächste verschleppt. Heute wird der wohl prominenteste Mahner gegen Rechtsextremismus 95 Jahre alt.
München – Er berichtet immer noch, unermüdlich, mehrmals in der Woche. Schülern, Studenten und allen, die es interessiert. Eine Geschichte, die so grausam ist, dass er sie bei Vorträgen „emotionslos erzählen muss“, wie er sagt. Denn „sonst trauen sich die Leute nicht zu fragen“. Mannheimer sucht aber das Gespräch mit den Menschen und will gefragt werden. Hass oder ein Verlangen nach Rache sind ihm fremd. Versöhnen will er und mahnen. Die Schüler von heute seien zwar nicht verantwortlich für das, was damals geschehen ist – aber dafür, dass es sich nicht wiederhole. Immer wieder mischt er sich ein, auch wenn’s unbequem ist: Kürzlich zum Beispiel sprach Mannheimer, der Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und Vizepräsident des Internationalen Dachaukomitees ist, als Zeitzeuge im Landtag – und kritisierte die Pegida-Bewegung (wir berichteten).
27 lange Monate hat Max Mannheimer die Nazi-Gräuel ertragen müssen. Er nennt diese Zeit sein zweites Leben. Das erste Leben – Kindheit und Jugend im mährischen Neutitschein, im heutigen Tschechien – ist mit dem Transport nach Theresienstadt zerstört worden, das dritte Leben begann nach der Befreiung 1945. Mannheimer und sein sechs Jahre jüngerer Bruder Edgar überlebten Auschwitz. Ihre Eltern und ihre Geschwister Ernst und Käthe wurden dort 1943 von SS-Schergen ermordet, ebenso Max Mannheimers Ehefrau Eva und eine Schwägerin. Bruder Erich war 1942 verhaftet und später ermordet worden. An der Todesrampe von Auschwitz-Birkenau sieht Mannheimer seine Angehörigen zum letzten Mal.
Sachlich schildert Mannheimer die Gräueltaten im KZ. Jeden Tag Gewalt, Folter und Tote. Er schiebt seinen linken Hemdärmel ein Stück zurück. Auf dem Unterarm ist unübersehbar die Auschwitz-Nummer eintätowiert – 99728. Am 30. April 1945 werden die Brüder Mannheimer zusammen mit vielen anderen Häftlingen von den Amerikanern aus einem Waggon in Tutzing befreit. „Ich war damals eine ziemliche Leiche und dachte, wenn ich 40 Jahre alt werde, dann ist das viel. Und nun werde ich 95 und bin immer noch on tour“, sagt er und fügt lächelnd hinzu: „Ich habe einfach gute Gene.“ Humor hat er, den hat er trotz allem nicht verloren. Nach der Befreiung verlässt Mannheimer Deutschland und will nie zurückkehren. Doch eineinhalb Jahre später ist er wieder da. Er hat sich verliebt – in eine Deutsche: Elfriede Eiselt, Widerstandskämpferin.
Albträume und Depressionen belasten Mannheimer in den folgenden Jahren. Als er 1981 in den USA an einer Mauer ein Hakenkreuz sieht, bricht er zusammen. „Ich hatte versucht, es mit Schraubenzieher und Hammer aus dem Beton herauszumeißeln.“ Er kommt in eine Klinik. Später beginnt er, Vorträge zu halten und zu malen. Er nimmt Tabletten. All das hilft ihm, das Erlebte zu ertragen. Dreimal fährt er in den folgenden Jahrzehnten nach Auschwitz, erstmals 1991. „Ich hatte große Angst davor. Ich habe dort sechs nahe Angehörige verloren.“ Er sieht zwei Burschen beim Angeln. „In den Teich wurde damals die Asche aus zwei Krematorien geschüttet.“ Die Rückkehr nach Auschwitz sei furchtbar gewesen.
„Vom Hals abwärts bin ich ein Invalide“, sagt er Mannheimer kokett. Er sitzt im Rollstuhl. „Aber der Kopf funktioniert noch halbwegs. Sprechen kann ich noch.“ Und so wird er weiter erzählen – die Geschichte seiner drei Leben. dw/dpa
ovb, 4.3.2015
Überraschende Verschiebung
Es wird in diesem Jahr keine Arbeiten zur Schaffung eines Gedenkorts im Mühldorfer Hart geben. Das bestätigten gestern sowohl Franz Langstein, Vorsitzender des "Vereins für das Erinnern", als auch die Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Nun soll es 2016 soweit sein.
Mühldorf/München - Ernüchterung herrschte am Montagabend bei der Mitgliederversammlung des Vereins "Für das Erinnern". Denn Vorsitzender Franz Langstein hatte keine guten Nachrichten im Gepäck. "Es wird in diesem Jahr keine Arbeiten zur Schaffung eines Gedenkorts im Mühldorfer Hart geben", bestätigte er gestern auf Anfrage. Nach seinen Angaben hat die Stiftung Bayerische Gedenkstätten derzeit kein Geld für die bereits zugesagten Maßnahmen.
Dabei sind die geplanten Eingriffe in das Gelände zunächst nicht besonders groß: Im Bereich des ehemaligen Massengrabs hätten Bäume auf Mannshöhe gestutzt werden sollen, ein Steg hätte Besucher rollstuhlgerecht aufs Gelände geführt, nachdem sie eine "Zeitschleuse" - eine Art Tor - passiert hätten, mit Informationen über das Geschehen dort. Im Waldlager soll eine weitere Schleuse und weiterer Steg zu einigen Überresten der Baracken und Latrinen führen. Am Bunkergelände ist ein größerer Besuchersteg geplant. So sieht es jedenfalls der Entwurf vor, der als Sieger eines Architektenwettbewerbs hervorgegangen ist (wir berichteten).
Und doch scheitert es schon jetzt am Geld. "Die erste grobe Kostenschätzung für Waldlager und ehemaliges Massengrab lag bei 300000 Euro", sagt Historiker Ulrich Fritz, der für die Gedenkstättenstiftung die Errichtung einer Gedenkstätte Mühldorfer Hart koordiniert. "Nach den Detailberechnungen des Bauamts Rosenheim liegen wir aber nun bei über 700000 Euro." Ein Betrag, den das Budget der Stiftung heuer nicht mehr leisten könne.
Zudem gebe es noch offene Fragen, was die Schaffung von Ausgleichsflächen betrifft, sagt Fritz. Deshalb habe man sich entschlossen, die Maßnahme zu verschieben. Bis 1. März hätten zumindest die Baumfällarbeiten abgeschlossen sein müssen.
Im zuständigen Bauamt Rosenheim herrscht Rätselraten, aus welcher Zeit die erste Kostenschätzung stammt. "Das mag vor Jahren eine grobe Schätzung gewesen sein. Wirklich seriös sind aber erst die Zahlen, die wir jetzt aufgrund der Planungen und des Wettbewerbsergebnisses haben", sagt Bauamtsleiter Eugen Bauer. Was die Ausgleichsflächen betrifft, handele es sich um eine Auflage der Genehmigungsbehörde. "Das ist ein normaler Vorgang. Probleme gibt es in diesem Bereich aber nicht."
Aus Sicht des Bauamts steht einer Realisierung im Jahr 2016 nichts entgegen. "Wir bereiten bis dahin alles vor." Und auch die Stiftung rechnet fest mit der Umsetzung im kommenden Jahr - vorausgesetzt, es ist genügend Geld vorhanden. "Die Planungen gehen weiter, die Akte Mühldorf ist deshalb nicht zugeklappt. Und im Herbst steht die nächste Mittelzuweisung an", sagt Fritz, der aber aufgrund der drohenden Kostenexplosion noch einmal über Teile des Gesamtkonzepts diskutieren will.
Franz Langstein bedauert die jetzige Absage sehr: "Wir fühlen uns etwas vor den Kopf gestoßen", formuliert er vorsichtig die Verärgerung der Vereinsmitglieder, die seit mehr als 15 Jahren für eine Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers kämpfen. Im November 2014 gab es nach seinen Angaben eine Arbeitssitzung im Landratsamt, bei der die Baupläne vorgestellt worden seien und das diesjährige Frühjahr als Baubeginn genannt worden sei.
"Wir wollen nicht auf Konfrontationskurs mit der Gedenkstättenstiftung gehen", betont Langstein. Ohne Gegenwehr will der Verein die Absage für dieses Jahr aber nicht hinnehmen. In den nächsten Tagen wollen sich die Mitglieder an Staatskanzleichef Dr. Marcel Huber und den Vorsitzenden des Gedenkstättenstiftung Karl Freller wenden.
Im Mühldorfer Hart errichteten die Nationalsozialisten in den letzten Kriegsjahren ein Außenlager des KZ Dachaus. Die KZ-Häftlinge mussten dort unter unmenschlichen Bedingungen eine Flugzeugfabrik bauen, die allerdings nie in Betrieb ging. Mehr als 4000 Menschen starben dabei. ha/hon
Kommentar zu diesem Artikel:
In wenigen Tagen ist es 70 Jahre her, dass die letzten Überlebenden des KZ-Außenlagers im Mühldorfer Hart den Ort der Qual verlassen haben. In Züge gepfercht, machten sie sich auf den sogenannten Todesmarsch, der für viele auch tatsächlich tödlich endete. 70 Jahre danach ist dieser Todesmarsch so aktuell wie selten zuvor.
Nach dem vom "Verein für das Erinnern" ohne öffentliche Zuschüsse finanzierten Beginn des Gedenkens Ende der 1990er-Jahre mit der Aufstellung von Info-Stelen und dem Bau einer Aussichtsplattform im Waldlager durch den Freistaat schien der Weg in Richtung Aufbau einer systematischen Erinnerung zu gehen. Die jetzige Absage an den Beginn weitergehender Arbeiten durch die Gedenkstättenstiftung des Freistaats blockiert diesen Weg, falls sie ihn nicht gänzlich verstellt.
70 Jahre nach dem Ende des KZ-Außenlagers ist nun die Realisierung einer Gedenkstätte fraglicher als je zuvor. Nach dem Nichtwollen bis in die 1990er-Jahre ist jetzt Geld der Grund fürs Nichtstun. Drei Landtagsabgeordnete aus dem Landkreis sitzen derzeit parteiübergreifend im Maximilianeum, einer davon im Ministerrang. Es liegt an ihnen, dass das Parlament die bayerische Gedenkstättenstiftung mit genügend Geld ausstattet, damit auch das sogenannte Bunkergelände endlich das erhält, was ihm zusteht. (M. Honervogt)
ovb 5.3.2015
Minister glaubt weiter an Erinnerungsort
Huber für 2016 zuversichtlich
Mühldorf - Für Staatskanzleichef Dr. Marcel Huber ist die Absage an einen Baubeginn im ehemaligen Massengrab und dem Waldlager im Mühldorfer Hart in diesem Jahr nicht das Ende des Aufbaus einer Gedenkstätte im Bunkergelände.
Auf Anfrage sagte der heimische CSU-Abgeordnete gestern: "Es scheitert heuer lediglich an der Finanzierung, 2016 kriegen wir das schon hin."
Von der gestern überraschend bekannt gewordenen Verschiebung durch die Bayerische Gedenkstättenstiftung wusste auch Huber nichts. "Ich war der Meinung, das läuft jetzt." Er werde auf die Stiftung zugehen und auf den Bau drängen: "Es muss etwas passieren." Schließlich handele es sich nicht um Unsummen, über die bei der Gestaltung zweiter Bereiche des ehemaligen KZ-Außenlagers gesprochen werde.
Die Gedenkstättenstiftung hatte am Montag dem Vorsitzenden des Vereins "Für das Erinnern" mitgeteilt, das die Arbeiten aus Kostengründen verschoben würden (wir berichteten). Als Grund nannte ein Vertreter die Kosten, die sich nicht - wie ursprünglich angenommen - auf 300000 Euro sondern auf 700000 Euro beliefen. hon
ovb, 6.3.2015
Köhr: Kritik an der Stiftung
Mühldorf - Als "nicht akzeptabel" hat die Vorsitzende des Arbeitskreises "KZ-Außenlager Mühldorfer Hart", Eva Köhr, die Entscheidung bezeichnet, heuer nicht mit dem Bau einer Gedenkstätte im Bunkergelände zu beginnen.
In einem Brief an den Direktor der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten, Karl Freller, schreibt Köhr: "Mit großer Enttäuschung musste ich zur Kenntnis nehmen, dass die Verschiebung der ersten Arbeiten, die bis jetzt aus kosten- und arbeitstechnischen Gründen als unproblematisch dargestellt wurden, beschlossen ist." Wie berichtet hatte die Gedenkstättenstiftung den Vorsitzenden des Vereins "Für das Erinnern" telefonisch darüber informiert, dass die für heuer zugesagten Arbeiten im Waldlager und ehemaligen Massengrab aus Kostengründen verschoben werden müssten. Köhr erklärt, je länger der Landkreis auf eine Gedenkstätte warten müsse, desto mehr keime in ihr der Verdacht auf, die Stiftung warte darauf, dass nach zahllosen Enttäuschungen das ehrenamtliche Engagement erlösche. "Eine Motivation für Ehrenamtliche, ist solches Vorgehen sicher nicht."
ovb, 30.3.1015
Schön ruhig ist es im Hinterzimmer des Stadtarchivs. Es riecht nach altem Papier und frischem Kaffee.Bücher, Akten und Schriften kämpfen um das bisschen Platz auf dem Schreibtisch von Marc Spohr. Seit einem Jahr bereitet der Historiker die Ausstellung "Der Landkreis Mühldorf in der NS-Zeit" vor, die am 21. November im Haberkasten eröffnet wird.
Mühldorf - Dieser 21. November wird ein Feiertag für alle, die sich seit Jahren, ja seit Jahrzehnten, für die Aufarbeitung der NS-Zeit in der Region einsetzen. Auf deren Arbeit, auf deren Recherchen konnte Marc Spohr vom ersten Tag an bauen: Peter Müllers Buch über das Bunkergelände gehört ebenso dazu wie die Aufzeichnungen von Hans-Rudolf Spagl und Edith Raims Diplomarbeit zu den Dachauer KZ-Außenkommandos. Nicht zu vergessen die Zeitzeugeninterviews von Josef Wagner aus den 1980er Jahren.
"Weiterbohren, in die Tiefe gehen": Diesem Auftrag widmet sich Marc Spohr seit Monaten. Spannend sei die Aufgabe, sagt er, "manchmal frustrierend, manchmal ermüdend, oft aber unheimlich motivierend". Letzteres immer dann, wenn sich in den Archiven weitere Mosaiksteine finden, wenn auf Anfragen aus Amerika oder Israel die erhoffte Antwort eintrifft, wenn sich bis dato unbekannte Geschichten auftun.
Wie die des jüdischen Pferdehändlers Siegfried Hellmann, der mit seiner Familie in Mühldorf lebte. "Ab 1935 standen SA-Posten vor dem Geschäft und erinnerten die Kunden eindringlich daran, dass sie gleich den Laden eines Juden betreten", erzählt Spohr. Hellmanns Kinder flüchteten 1936 nach London - er blieb, bis er mit seinem Bruder verhaftet wurde. Am 30. September 1942 starb der Mühldorfer Pferdehändler im Konzentrationslager Auschwitz.
Historiker sollen stets objektiv bleiben, Distanz wahren, sagt der 30-Jährige, der in Bonn und Prag mittelalterliche und neue Geschichte studiert hat. "Doch je mehr man über eine solche Biografie erfährt, je mehr Details über die Ungerechtigkeiten des NS-Regimes ans Licht kommen, desto öfter stockt einem der Atem."
Noch so ein Thema, das an dem Geschichtenforscher nicht spurlos vorüber geht, sind die Opfer des Behindertenheims Ecksberg. "Es hat sich gezeigt, dass es deutlich mehr Tote gab als bisher angenommen", sagt Spohr. Im Zuge der sogenannten "wilden Euthanasie" seien zwischen 1943 und 1945 rund 200 Bewohner gestorben. "Man hat sie gezielt vernachlässigt, sie verhungern lassen oder mit Giftspritzen ermordet." Das Grauen des NS-Regimes beschränkte sich nicht auf das KZ-Außenlager, es war an vielen Stellen sichtbar.
Und Marc Spohr wühlt weiter: Im Staatsarchiv München genauso wie im Bundesarchiv Berlin, auf Täter- wie auf Opferseite. Dazu kommen immer wieder Kontakte zu Angehörigen ehemaliger Häftlinge, die E-Mails oder Briefe schreiben, nach den Großeltern forschen oder etwas zur Ausstellung beitragen können. "Über die Enkelin einer ehemaligen Mühldorferin haben wir kürzlich einen Judenstern bekommen", sagt Spohr. "So ein Ausstellungsstück erzählt mehr als jede theoretische Abhandlung zur Judenverfolgung."
Seit ein paar Wochen nimmt die Ausstellung konkrete Formen an. Vier Gestalterbüros haben kürzlich ihre Vorschläge eingereicht, wie sich die Objekte, Fotos und Dokumente im Haberkasten-Obergeschoss am besten präsentieren lassen.
Die Basis ist ein 400 Seiten starkes Konzept, das Marc Spohr mit Blick auf die Ausstellung erstellt hat - unterteilt in vier große Kapitel. Sie beschreiben den Weg der Landkreis-Bevölkerung in den Nationalsozialismus, den KZ-Außenlagerkomplex, den Zusammenbruch des NS-Regimes mit der Bombardierung Mühldorfs, der Räumung der Lager und der Ankunft der "Displaced Persons" sowie den Umgang mit der NS-Geschichte und deren Verarbeitung.
"Der Bogen spannt sich bis in die heutige Zeit", sagt Spohr. "Vor allem die Jugendlichen sollen sehen, dass es nicht um ein Stück Geschichte geht, das man im Stadtarchiv einfach zu den Akten legt."
ovb, 30.4.2015
Zur Gedenkfeier am 2. Mai kommen hochrangige Vertreter der Staatsregierung und der Gedenkstättenstiftung
Jetzt geht es um den Bunkerbogen
Mühldorf - Es ist der 70. Jahrestag der Auflösung des KZ-Außenlagers im Mühldorfer Hart und doch steht der Tag nicht nur im Zeichen des Andenkens an die Opfer.
So laut wie selten zuvor stellt sich die Frage nach der Zukunft des Gedenkorts rund um den Bunkerbogen. Nach der Absage des Baus von Erinnerungsstätten im ehemaligen Waldlager und Massengrab in diesem Jahr und die Zusage für den Bau im nächsten, will die Initiatve "Für das Erinnern" den Bunkerbogen erneut ins Blickfeld rücken: "Er ist der eigentliche Ort der Erinnerung", sagt Vereinsvorsitzender Franz Langstein, der an Besuche von Überlebenden erinnert. Sie wollen vor allem jenes in Beton gemeißelte Zeugnis des Naziterrors besuchen. "Wir dürfen bei allen anderen Überlegungen diesen Ort nicht vergessen."
Wie zum Beweis für Langsteins Aussagen, kommen zur diesjährigen Gedenkfeier am Samstag, 2. Mai, zahlreiche Überlebende, die in anderen Konzentrationslagern gequält wurden. Sie wollen den Ort besuchen, an dem zum Ende des zweiten Weltkrieges mehr als 4000 Menschen an Zwangsarbeit beim Bau einer Flugzeugfabrik starben.
Langstein freut sich, dass mit Gedenkstättenchef Karl Freller und Minister Dr. Marcel Huber heuer auch zwei hochrangige Vertreter des Freistaats unter den Rednern sind, von denen er sich auch Hinweise auf die Zukunft des Geländes erwartet.
Die Feier unter dem Bunkerbogen beginnt um 11 Uhr, sie wird von "Canzona Quarta" musikalisch umrahmt. Treffpunkt ist um 10.30 Uhr auf dem Parkplatz der Innbeton an der Straße zwischen Mühldorf und Waldkraiburg. hon
ovb, 30.4.2015
Opfer der Todesmärsche: Amerikaner konfrontieren Bevölkerung mit Gräueln der Nazis
"Jeder musste hinschauen"
Kraiburg/Mühldorf - Ende April 1945 erreichen die berüchtigten Todesmärsche aus den Konzentrationslagern den Landkreis Mühldorf. Viele sterben entlang des Weges an Erschöpfung oder werden bei Fluchtversuchen erschossen.
Die Leichen lassen die Bewacher achtlos liegen. Bis heute erinnern sich die Menschen, wie sie nach dem Durchzug der Todesmärsche mit den Leichen konfrontiert wurden. Dorfbewohner nehmen es auf sich, die Toten zu begraben.
Einigen wenigen Häftlingen gelingt mit Hilfe von mutigen Bürgern die Flucht, zum Beispiel in Kraiburg. Ein paar Glückliche werden in unbeobachteten Momenten in Hauseingänge gezerrt und versteckt. Auf Höhe des Straßerhofes brechen fünf der Gemarterten aus. Zwei entgehen den Kugeln ihrer Peiniger und können sich im Heustadel des Hofes verstecken. Die beiden, Mandelbaum und Weiß mit Namen, werden danach ins Kraiburger Krankenhaus gebracht. Ersterer überlebt, Weiß stirbt an Entkräftung. Ebenfalls in das Spital wird der Häftling Hafka eingeliefert, der sich nach einem Genickschuss noch bis zum Zieglerhof retten kann. Auch er überlebt. Er wird im Krankenbett von einigen Schülern besucht, die sich noch lange an ihn erinnern.
Nach dem Einmarsch der Amerikaner wird die Bevölkerung noch einmal mit dem Grauen jener Tage konfrontiert. Eine Maßnahme zur Entnazifizierung: die direkte Konfrontation mit den Leichen, der bei den Todesmärschen umgekommenen KZ-Häftlingen.
Zu diesem Zweck wurden zunächst Arbeitstrupps zusammengestellt, welche die Leichen ausgruben. Zwangsweise mussten diese Arbeit die örtlichen Mitglieder der NSDAP verrichten, also etwa auch der damalige Kraiburger Bürgermeister Nennhuber oder der Ortsgruppenleiter der Partei, Diener. Auch einige Freiwillige meldeten sich.
"An den ersten Maitagen haben sie die [Anm.: Die Leichen] zusammengesammelt und eine ganze Menge davon aufgebahrt, genau vor der Kirche", ist in den Erinnerungen der verstorbenen Anni Brandstetter zu lesen. Der Anblick war erschreckend. "Die waren ja schon in Verwesung!" Nur mit vorgehaltenen, parfümierten Taschentüchern sei der Geruch auszuhalten gewesen. "Alte Menschen ab 80, glaube ich, haben das nimmer anschauen müssen und Kranke. Aber sogar Kinder! Und Kinder im jungen Alter! Das war so!" Die Soldaten der amerikanischen Armee stellten sicher, das niemand sich abwendete, "sie sind mit aufgepflanzten Gewehren und Maschinengewehren gestanden. Jeder musste hinschauen. Keiner hat sich abwenden dürfen." Gleiches spielte sich in Mühldorf ab, wo die erste Exhumierung und Bestattung am 23. Juni 1945 am alten Friedhof stattfand. hs
ovb, 4.5.2015
Kein Schlussstrich
"70 Jahre. Erinnerung bleibt": Unter diesem Titel gedachten rund 150 Besucher am Samstag der Befreiung des ehemaligen Dachauer KZ-Außenlagers im Mühldorfer Hart - darunter viele ehemalige Häftlinge und deren Familienangehörige.
Mühldorf - Für Franz Langstein, den Vorsitzenden des Vereins "Für das Erinnern - KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart", sind die Zeugnisse der Überlebenden notwendig, damit "die Geschichte dieses unfassbaren Geschehens auch für uns lebendig bleibt". Langstein schloss neben den mehr als 4000 ermordeten Zwangsarbeitern am ehemaligen Rüstungsbunker alle Opfer des NS-Terrors in das Gedenken ein - ebenso wie die "Kinder und Kindeskinder der Opfer, die das Schicksal mittragen müssen".
Darüber hinaus stellte er "erschrocken" fest, dass 70 Jahre nach dem Terror und trotz aller Bemühungen um Demokratie, Bildung und Erziehung zur Kritikfähigkeit wieder junge Deutsche in einen Heiligen Krieg um einen Gottesstaat nach Syrien ziehen. Wer aufkläre, müsse deshalb neben dem rationalen Ansatz auch die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht bedenken.
Staatsminister Dr. Marcel Huber bezeichnete das Konzentrationslager Dachau als "Symbol der Unmenschlichkeit", die Außenlager als "Synonyme des Grauens". Er habe "Respekt und Hochachtung" vor den Überlebenden, dass sie an den "Ort des ganz persönlichen Grauens zurückgekehrt" seien. Die Überlebenden zeigten, dass Freiheit und Demokratie sowohl Einsatz, Engagement, Zivilcourage, Mut als auch Erinnerung brauchten. So gelinge das "kraftvolle Bekenntnis: Nie wieder!"
Huber: "Ein Synonym des Grauens."
Durch den Blick auf die Vergangenheit werde bewusst, "was für ein Glück wir in der Gegenwart haben", sagte Huber. Auch dafür seien Erinnerungsorte wie der im Mühldorfer Hart nötig.
Die Finanzierung der Erinnerungs-Gestaltung von ehemaligem Waldlager und Massengrab sei gesichert, am Bunkerbogen die Prüfung auf Altlasten als Grundlage für eine Gedenkstätten-Gestaltung veranlasst. Huber verwies auf eine aktuelle Aussage von Kultusminister Spaenle, wonach in Mühldorf ein "Erinnerungsort in kürzester Zeit" entstehen werde.
Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, sagte mit Blick auf die ehemaligen KZ-Häftlinge, es gehöre "viel Mut dazu, sich diesem Ort zu stellen". Diese Bereitschaft zeuge von einer "übergroßen Humanität" und sei ein wichtiges Zeichen auch für nachfolgende Generationen.
Freller: "Wir passen auf. Versprochen."
Freller sagte, es sei lange nicht nach außen gedrungen, dass die beiden bayerischen Konzentrationslager Flossenbürg 90 und Dachau 140 Außenlager hatten. Große Teile Bayerns seien direkt mit Häftlingen aus den Konzentrationslagern konfrontiert gewesen. "Manches hätte man sehen müssen, was man hinterher nicht gesehen hat", so Freller.
Für Freller ist die Aufforderung "Nie wieder" eine Aufgabe auch an die kommenden Generationen darauf zu achten, dass sich "nicht wiederholt, was zur größten Katastrophe der Menschheit geführt" hat. An die ehemaligen Häftlinge gerichtet sagte Freller: "Wir passen auf. Ich verspreche es Ihnen! Wir sind es Ihnen schuldig. Aber auch den eigenen Kindern."
Der amerikanische Generalkonsul William E. Moeller erinnerte an die US-Soldaten, die dem Martyrium im Mühldorfer Hart ein Ende bereiteten. Für Moeller ist angesichts der Geschichte der Befreier und der Befreiten nicht an einen Schlussstrich zu denken.
Moeller sagte, der Verein Für das Erinnern sei ein "wichtiger Baustein der Erinnerungskultur in Bayern". Heute blicke Deutschland in die Zukunft ohne die Vergangenheit aus den Augen zu verlieren. Anstatt die schrecklichen Geschichtskapitel zu verleugnen oder auszublenden setze sich das Land "offensiv" damit auseinander und leiste "vorbildliche" Erinnerungsarbeit.
Mühldorfs stellvertretender Landrad Alfred Lantenhammer sagte, Bürger könnten zwar nicht die Geschichte, aber die Zukunft ändern. Jeder müsse sich "mit allen demokratischen Mitteln gegen jede radikale und menschenverachtende Entwicklung stellen".
Der Verein für das Erinnern und die Region hätten beim Einsatz für eine Gedenkstätte schon sehr viele Rückschläge erlitten. Ende April habe der zuständige Kultusstaatsminister Dr. Ludwig Spaenle mitgeteilt, dass noch in diesem Jahr der "rechtliche Teil" der Umsetzung einer Gedenkstätte abgeschlossen werde. "Die jahrzehntelangen Bemühungen waren nicht umsonst, auch wenn sie 70 Jahre gedauert haben", sagte Lantenhammer.
Musikalisch umrahmt wurde die Feier am Bunkerbogen von dem Bläserensemble "Canzona Quarta".
ovb 24.6.2015
70 Jahre nach Kriegsende erfährt Lynn Farbman die wahre Geschichte ihrer Geburt: Sie ist vermutlich das einzige Baby, das 1945 im KZ-Außenlager im Mühldorfer Hart überlebt hat.
Mühldorf - Lange war Baby Hannah eine Randnotiz in den Aufsätzen über des KZ-Außenlager im Mühldorfer Hart. Doch nun, 70 Jahre nach der Befreiung der Häftlinge, bekommt die Erinnerung in den Berichten der Überlebenden plötzlich ein Gesicht. Und wird zu einer ergreifenden Geschichte.
Sie beginnt mit einem Brief, den die Amerikanerin Lynn Farbman vor mehreren Jahren an das Stadtarchiv und den "Verein für das Erinnern" schrieb - mit dem Ziel mehr über die Herkunft ihrer Familie in Erfahrung zu bringen. Auf einer halben Seite schilderte Lynn Farbman das, was sie wusste: Ihr Vater, Isaak Senor, und ihre Mutter, Rachel Karchmer, hätten sich im KZ-Außenlager Mühldorf kennengelernt, sie selbst sei dann am 16. Januar 1946 in Ampfing zur Welt gekommen.
Die Suche begann. Es dauerte, bis die ersten Puzzleteile zusammenpassten. Isaak Senor kam demnach am 6. August 1944 mit einem großen Transport aus dem Ghetto Warschau ins Waldlager. Zwei Wochen später führen die Häftlingslisten auch den Namen "Rachel Kartshner" aus Wilna in Litauen - die falsche Schreibweise in den Dokumenten und fehlende Geburtsdaten machten die Recherche schwierig.
Doch das eigentliche Rätsel war die Geburt der kleinen Lynn, deren jüdischer Mädchenname Chana Leah Senor ist: "Weder auf den Standesämtern noch in den Geburtsbüchern in Ampfing und den umliegenden Gemeinden findet sich für 1945, 1946 oder 1947 ein entsprechender Hinweis", sagt Historiker Marc Spohr.
Was es aber gab, waren Hinweise auf die Geburt eines Mädchens im Lager Mettenheim M1. Nicht nur in der Dissertation von Edith Raim, die sich auf Zeugenaussagen im so genannten "Mühldorfer Prozess" aus dem Jahr 1947 stützt. Sondern vor allem in den Schilderungen des französischen Gefangenen Sylvain Kaufmann, der detailreich von einer jungen Frau aus dem Baltikum erzählt, die Anfang 1945 im Lager eine Tochter zur Welt brachte. Ein Mädchen namens Hannah.
Nur drei Monate zuvor war im Lager ein Junge geboren worden, ein SS-Arzt hatte das Kind ertränkt. Doch Hannah durfte leben. Warum das Mädchen nicht getötet wurde, erklärt der Historiker so: "Die Amerikaner waren nah, der Krieg war verloren. Offensichtlich sollte das Baby einen Akt der Mitmenschlichkeit demonstrieren."
Doch in den letzten Monaten des Lagers verlor sich die Spur der kleinen Hannah. Für 70 Jahre - bis Lynn Farbman zusammen mit ihrem Mann und ihrer Schwester an dem kleinen Tisch im Mühldorfer Stadtarchiv sitzt und zuhört, was Stadtarchivar Edwin Hamberger und Kollege Spohr erzählen: "Noch fehlt der allerletzte Beweis", sagen die beiden. "Aber es passt einfach sehr, sehr viel zusammen." Dann ist es still, Lynn Farbman schüttelt kurz den Kopf, bis ihre Schwester Doris ausspricht, was alle denken: "Du bist Hannah, das Baby aus dem Lager."
Damit erfährt Lynn Farbman viel mehr als "nur", dass sie zu den Überlebenden eines Konzentrationslagers gehört und ein Jahr älter ist als gedacht. Die Nachricht hat für sie eine Tragweite, die vieles bisher Dagewesene in einem anderen Licht erscheinen lässt. Denn Issak Senor und Rachel Karchmer können sich erst in Mühldorf kennengelernt haben. Isaak kam aus dem Ghetto Warschau, Rachel war zuvor im KZ Stutthoff interniert - und offensichtlich bereits schwanger, als sie in Mettenheim eintraf.
"Dann war mein Vater nicht mein biologischer Vater. Und meine Schwester ist meine Halbschwester." Die Wucht ihrer eigenen Worte trifft sie nicht ganz unvorbereitet: "Es gab immer wieder kleine Hinweise, dass etwas nicht stimmt in unserer Biografie. Ich wurde zum Beispiel mit dem Geburtsjahr 1945 an der Schule angemeldet. Später hieß es dann, man wollte mich nur ein Jahr älter machen, um meine Chancen auf einen Platz zu erhöhen." Papiere oder eine Geburtsurkunde gab es auch 1949 nicht, als die Familie nach Amerika auswanderte. Die Senors ließen sich in Baltimore nieder, Lynn Farbman wurde später Sozialtherapeutin.
"Die Wahrheit hätte uns mein Vater niemals ins Gesicht gesagt", sagt Lynns Schwester Doris Woltman. "Dafür war seine Liebe viel zu groß." Die Liebe zu seiner Frau Rachel, die er nicht bloßstellen wollte. Und die Liebe zu Lynn, zu der er immer ein sehr inniges Verhältnis hatte. "Er war so ein toller Vater. Ein wunderbarer Mann." Lynn Farbman stockt kurz der Atem: "Und in meinem Herz wird er immer mein Vater bleiben." (Wolfgang Haserer)
ovb, 22.7.2015
Freistaat übernimmt Bunker
Der Freistaat übernimmt die Verkehrssicherungspflicht des Bunkergeländes im Mühldorfer Hart. Diese überraschende Entscheidung traf das Bayerische Kabinett bei seiner Klausurtagung am Tegernsee.
München/Mühldorf - Seit Jahren ist die ungekärte Rechtsfrage auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers im Mühldorfer Hart der entscheidende Hemmschuh der Entwicklung hin zu einer Gedenkstätte. Jetzt hat Ministerpräsident Horst Seehofer persönlich "diesen Knoten durchschlagen", wie Staatskanzleichef und Heimatabgeordneter Dr. Marcel Huber gestern betonte. Zunächst ungeplant, dann kurzfristig vorbereitet vom Kultusministerium, landete das Thema auf der Tagesordnung der Klausurtagung und führte zu einem Kabinettsbeschluss: "Der Freistaat erklärt sich jetzt bereit, die Verkehrssicherungspflicht zu übernehmen. Damit sind Gespräche mit den Grundstücksbesitzern möglich geworden."
Laut Huber kam der Wandel nach einem Gespräch, das Seehofer im Beisein Hubers mit dem ehemaligen Häftling Max Mannheimer und Dr. Hans-Jochen Vogel geführt hat, der sich seit langem für die Gedenkstätten in Dachau und Mühldorf einsetzt. "Das ist eine politische Entscheidung: Wir wollen das jetzt rasch umsetzen", beschreibt Huber das Vorgehen Seehofers. "Wir haben damit eine Entscheidungsreife wie noch nie."
Neben der bereits vorgesehenen Gestaltung von ehemaligem Massengrab und Waldlager, die in diesem Herbst beginnt und für die insgesamt 700000 Euro im Haushalt eingestellt werden, steht auch Geld für die Gestaltung des eigentlichen Herzstücks der Gedenkstätte, des Bunkergeländes, zur Verfügung. Auf 1,8 Millionen Euro bezifferte Huber diese Summe. "Damit können wir einen würdigen Erinnerungsort schaffen."
Die konkrete Gestaltung ist zwar noch offen, Huber geht aber davon aus, dass ein Teil konserviert, also zugeschüttet wird, der Bereich um den noch stehenden Bunkerbogen eingezäunt und der Öffentlichkeit zugängliche gemacht wird. "So sollen die unglaublichen Ausmaße dieses monströsen Projekts deutlich werden."
Nach Angaben der Staatskanzlei stellt das für die Gedenkstätten zuständige Kultusministerium sicher, dass die Stiftung Bayerische Gedenkstätten noch im Jahr 2015 mit den Arbeiten an der Gestaltung der Areale beginnen kann. Kultusminister Ludwig Spaenle sagte: "Die Erinnerungsstätte kann jetzt als ganzheitlicher Ort des Gedenkens rasch geplant und gestaltet werden. Das Mühldorfer Hart gehört zu den bedeutendsten Erinnerungsorten in Bayern. Ja, es hat nationale Bedeutung." Spänle begründete das mit einem "dramatischen Symbolcharakter und einer erschreckende Aussagekraft für den Machbarkeitswahn der Nationalsozialisten auch noch im letzten Kriegsjahr und die beispiellose Menschenverachtung".
Über mehrere Monate hinweg mussten in dem Außenlager des KZ Dachau Häftlinge dort in den Jahren 1944 und 1945 unter schlimmsten Bedingungen eine Flugzeugfabrik errichten. Dabei starben knapp 3000 Menschen. hon
Wochenblatt online, 21.7.2015
Kabinett beschließt Konzept
Der Weg für eine Gedenkstätte im Mühldorfer Hart ist geebnet
Das Bayerische Kabinett hat in der Sitzung des Ministerrats ein Konzept zur Umsetzung eines würdigen Erinnerungsorts im Bereich des ehemaligen KZ-Außenlagers Mühldorfer Hart beschlossen
Über mehrere Monate hinweg mussten die Häftlinge dort in den Jahren 1944 und 1945 unter schlimmsten Bedingungen Fertigungsstätten für die deutsche Rüstungsindustrie errichten. Tausende kamen dabei zu Tode.
Staatskanzleiminister Dr. Marcel Huber betonte: „Das ehemalige KZ-Außenlager Mühldorfer Hart darf als einer der Schreckensorte der NS-Herrschaft in Bayern nicht in Vergessenheit geraten. Mit den sichtbaren Spuren des KZ-Außenlagers im Landkreis Mühldorf ist das enorme Leid tausender Menschen verbunden. Wir brauchen einen würdigen Erinnerungsort gegen das Vergessen, der gleichzeitig kommenden Generationen als Mahnmal und Denkanstoß dienen soll. Der Freistaat steht zu seiner historischen Verantwortung und wird die Realisierung der Gedenkstätte nun umgehend in die Wege leiten. Hierfür nehmen wir 2,5 Millionen Euro in die Hand.”
Staatskanzleiminister Huber erklärte weiter, dass es dem persönlichen Einsatz von Ministerpräsident Horst Seehofer zu verdanken sei, dass trotz der bestehenden komplexen rechtlichen Fragen eine zügige Umsetzung auf den Weg gebracht werden konnte. Erst jüngst hatte Ministerpräsident Seehofer in einem gemeinsamen Gespräch mit Max Mannheimer, Überlebender des KZ-Außenlagers Mühldorfer Hart, und Bundesminister a.D. Dr. Hans-Jochen Vogel, der seit Jahrzehnten für zeithistorische Erinnerungsarbeit eintritt, zugesagt, dass der Freistaat dafür sorgen werde, einen würdigen Erinnerungsort zu realisieren, so Huber. Jetzt hat der Ministerrat dafür die Grundlagen geschaffen. Nun kann umgehend auch in Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern eingetreten werden.
Kern der Gedenkstätte werden die drei Erinnerungsorte „Waldlager”, „Massengrab” und „Bunkerbogen” sein, die noch heute deutlich erkennbare bauliche Relikte oder topographische Gegebenheiten aufweisen. Das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst stellt sicher, dass die Stiftung Bayerische Gedenkstätten noch im Jahr 2015 mit den Arbeiten an der Gestaltung der Areale beginnen kann.
Kultusminister Spaenle: „Die Erinnerungsstätte kann jetzt als ganzheitlicher Ort des Gedenkens rasch geplant und gestaltet werden. Mühldorfer Hart gehört zu den bedeutendsten Erinnerungsorten in Bayern. Ja, es hat nationale Bedeutung, es hat einen dramatischen Symbolcharakter und eine erschreckende Aussagekraft für den Machbarkeitswahn der Nationalsozialisten auch noch im letzten Kriegsjahr und die beispiellose Menschenverachtung, die gerade in dem Waldlager und den Massengräbern zum Ausdruck kommt. Mühldorfer Hart bietet als Erinnerungsort die Möglichkeit einer authentischen Mahnung eines ,Nie wieder‘.”
ovb, 24.7.2015
Ein kleines Zeitfenster genutzt
Die Grundsatzentscheidung ist gefallen, jetzt beginnen die konkreten Arbeiten. Das Kultusministerium hat den Fahrplan vorgestellt, der zu einer KZ-Gedenkstätte im Mühldorfer Hart führen soll. Termine gibt es allerdings keine.
Mühldorf - Große Freude herrscht beim Verein "für das Erinnern", nachdem bekannt wurde, dass der Freistaat die Verkehrssicherungspflicht für das Bunkergelände übernehmen wird (wir berichteten). "Es zeichnet sich deutlich der Weg zu einer würdigen Gedenkstätte an den drei Erinnerungsorten ab. Ich wage es kaum, mich zu freuen, denn die letzten Jahre, ja die letzten Jahrzehnte, da war immer der Zweifel", sagt Vorsitzender Franz Langstein. "Nun aber dürfen wir uns freuen und unseren Dank mitteilen."
Langstein weist ausdrücklich darauf hin, dass in dem Kabinettsbeschluss die drei Gedenkorte im Mühldorfer Hart berücksichtigt sind: "Ich bin angerührt davon, dass wir nun auch an den historischen Orten Waldlager, Massengrab und Bunkerbaustelle würdige Erinnerungsorte bekommen - und dass wir den Menschen, die überlebt haben, diese Nachricht zukommen lassen können."
Nach seiner Einschätzung genügt die sich abzeichnende Lösung vollkommen, entscheidend sei es, den noch stehenden siebten Bunkerbogen als Erinnerungsort zu nutzen und den Rest zu sichern. "Wir brauchen keine 250 Meter lange Betonwüste", ist er realistisch. Denn der "Verein für das Erinnern" forderte ursprünglich, das gesamte Gelände zugänglich zu machen. Mit Blick auf die Kosten ist das aber seit einiger Zeit vorbei - und nach Langsteins Ansicht auch nicht nötig. "Mit dem Bunkerbogen, dem Waldlager und Massengrab steht genügend historisches Material zur Verfügung, um begreifbar zu machen, was dort passiert ist." Die ganze Dimension der Anlage lässt sich nach seiner Ansicht auch sichtbar machen, ohne das gesamte Areal zu nutzen.
Auch die Vorsitzende des Fördervereins Kreismuseum hat ihre Freude über den Beschluss geäußert. "Unser Ministerpräsident hat ein Machtwort gesprochen! Das Kabinett beschließt den Gedenkort KZ-Außenlager Mühldorfer Hart", schreibt sie in einer E-Mail an ihre Mitglieder.
Langstein und Köhr vertreten mehrere Dutzende Ehrenamtliche, die sich seit vielen Jahren für den Bau einer Gedenkstätte im Mühldorfer Hart einsetzen. So hat der Verein "Für das Erinnern" seit 1999 das Gedenken an die Verbrechen zum Ende des Dritten Reiches entwickelt und auf eigene Kosten zumindest eine Beschilderung der drei Orte vorgenommen. Im Waldlager hat der Freistaat vor einigen Jahren Aussichtsplattformen mit Texttafeln errichtet und das darum liegende Gelände in Grundzügen erkennbar gemacht.
Staatskanzleichef Dr. Marcel Huber wies auf Nachfrage auf die politischen Zusammenhänge hin, die in jüngster Zeit zur Entscheidungsreife geführt hätten. Dazu zählt vor allem ein Gespräch von Ministerpräsident Horst Seehofer mit dem ehemaligen Häftling Max Mannheimer. Mit Blick auf den jahrzehntelangen Prozess betonte er: "So geht das in der Politik, manchmal muss man Geduld haben. Dann tut sich ein kleines Zeitfenster auf, das man nutzen muss."
Zum weiteren Vorgehen hat sich auf Nachfrage das Kultusministerium geäußert. Danach will der Freistaat "schnellstmöglich in Verhandlungen mit dem Bund eintreten, um festzulegen, welche Bereiche der Bunkerbogenanlage der Bund an den Freistaat überträgt. Hierbei wird auch die rechtliche Konstruktion thematisiert." Derzeit ist der Bund als Rechtsnachfolger des Dritten Reichs für das Gelände verantwortlich.
Außerdem will die Immobiliengesellschaft des Freistaats rasch Verhandlungen mit den Grundstückseignern aufnehmen, "um rechtliche Konstruktionen zu finden, die die Nutzung des Geländes durch die Stiftung und Maßnahmen zur Herstellung der Verkehrssicherung ermöglichen".
Um das Gelände gestalten zu können, soll ein Konzept erarbeitet werden, aus dem hervorgeht, was in welchen Bereichen entstehen soll. "Hierunter fällt auch die Frage, wie die Areale zu sichern sind, die gegebenenfalls durch Altlasten wie verbliebene Sprengmittel kontaminiert sind." Im Rahmen dieser Planung würden auch die Kosten ermittelt. Sie sollen Grundlage für die Verhandlung über die Zahlung sein, die der Bund dem Freistaat für die Übernahme der Verkehrssicherung zu leisten hat. hon
Endlich eine Lösung
(Kommentar von Markus Honervogt)
Die neuere Geschichte des Bunkergeländes könnte irgendwann zu einem Lehrbeispiel werden: So funktioniert Politik. Dieses Lehrbeispiel geht aus von Ehrenamtlichen, die nie aufhörten, die Gedenkstätte zu fordern und sich dabei auf allen Ebenen mit großem persönlichen Einsatz engagiert haben.
Dazu kommt die allmähliche Erkenntnis der Politiker im Landkreis, dass dieser Ort des Schreckens nicht länger ignoriert werden kann. So zu tun, als ob es ihn nicht gäbe oder er die heutigen Menschen nichts anginge, das war nicht länger möglich.
Und schließlich ist es der Glücksfall, mit Marcel Huber einen Minister zu haben, der - als die Zeit reif war - in Kenntnis der politischen Gepflogenheiten und Einflusssphären dazu beigetragen hat, dass die Ideen und Forderungen Gestalt annahmen. Konkret: 2,5 Millionen Euro und die Übernahme der Verkehrssicherungspflicht durch den Freistaat. Geld und Verantwortung für das Gelände, das waren in der Vergangenheit die größten Hindernisse. Es hat sehr lang gedauert, jetzt sind sie beseitigt.
Ovb, 21.7.2015
Keine Versöhnung mit einem Nazi
In einem der letzten großen Auschwitz-Prozesse ist das Urteil gefallen. Vier Jahre Haft für den früheren SS-Mann Oskar Gröning.
Das Gericht in Lüneburg hat den Mann, der in Auschwitz das Geld der Verschleppten gezählt und zur SS nach Berlin weitergeleitet hatte, schuldig gesprochen, in 300000 Fällen Beihilfe zum Mord geleistet zu haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Neumarkt-St. Veit - Henriette Beck aus Neumarkt-St. Veit, eine von 33 Nebenklägern im Prozess, hält das Urteil für angemessen, doch eigentlich ist ihr das Urteil gar nicht wichtig. Viel wichtiger ist ihr, dass ein SS-Mann aus Auschwitz, auch wenn er nur eine Art Buchhalter war, für schuldig befunden wurde. Becks Halbschwester und deren Mutter waren in Auschwitz ums Leben gekommen, ihr Vater hatte überlebt und das Leid Zeit seines Lebens mit sich getragen.
Der Prozess sei ihr persönlich sehr wichtig gewesen, "in Vertretung für meinen verstorbenen Vater und in Vertretung aller, die in den Konzentrationslagern gestorben sind", sagt Beck. Dabei sei es ihr darum gegangen, "dass man weiß, dass das eine Tötungsmaschinerie war und jeder, der dabei war, mitschuldig ist", so die 58-Jährige. "Wichtig ist, dass jede Mitschuld an einem Mord zu jeder Zeit vor Gericht kommt. Egal wie lange es dauert."
Im Fall Gröning hat es sehr, sehr lange gedauert. Und das, obwohl es bereits 1977 Ermittlungen gegen das frühere Mitglied der Waffen-SS gegeben hatte. Damals waren die Ermittlungen eingestellt worden, für Beck freilich eine Enttäuschung. "Das ist jahrzehntelang verschleppt worden. Aber da muss man sich auch fragen: Wer waren da die Richter? Wer war da an diesen Stellen?", sagt die 58-Jährige.
Heute ist Gröning ein alter Mann. Sobald das Urteil rechtskräftig ist, stellt sich die Frage, ob der gesundheitlich angeschlagene 94-Jährige tatsächlich in Haft muss. Ob Gröning seine Haftstrafe tatsächlich antreten muss oder nicht, sei für sie aber nicht so ausschlaggebend, sagt Beck. "Das ist jetzt nicht so wichtig. Der ist 94 Jahre alt."
Bei allem Verständnis für Grönings Gesundheitszustand gilt weiterhin: Eine Versöhnung lehnt die 58-Jährige ab. "Wie soll es das auch geben? Warum soll man sich da versöhnen? Er hat das gemacht, er hat sich jetzt dazu bekannt und es gab einen Strafprozess gegen ihn." Als "Helden" wolle sie ihn deshalb aber nicht hinstellen. "Er hat ja auch selber gesagt: Er war hundertprozentiger Nazi."
Anmerkung J.W.: Frau Henriette Beck ist die Tochter von Tibor Dembik, einem Zeitzeugen der Geschehnisse der Lager im Mühldorfer Hart.
GEDENKSTÄTTENVEREIN SCHLÄGT BEI JAHRESHAUPTVERSAMMLUNG UNGEWÖHNLICHE IDEEN VOR
Stadtratssitzung unter dem Bunkerbogen?
Mühldorf - Neue Aufgaben kommen auf den Verein "Für das Erinnern - KZ-Gedenkstätte Mühldorf Hart" zu. Das war der Tenor bei der durchgeführten Mitgliederversammlung, zu der Vorstand Franz Langstein 30 Vereinsmitglieder begrüßte.
In seinem Tätigkeitsbericht wies er unter anderem auf die Zusammenarbeit mit dem Gymnasium Gars, auf die Studienfahrt nach Hersbruck und auf die intensive Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis am Landratsamt hin.
Besonders viel Engagement forderte nach seinen Angaben die Gedenkveranstaltung am Bunkerbogen. 70 Jahre Kriegsende führten viele ehemalige KZ-Insassen aus Dachau und Mühldorf zur Gedenkfeier im Wald. Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten unterstützte die Gedenkfeier in mehrfacher Hinsicht. Bewegend waren die spontanen Redebeiträge der Überlebenden, die teilweise mit ihren Familien aus der ganzen Welt nach Mühldorf gereist waren.
Damit sei der Verein schon bei einer der beiden großen neuen Aufgaben. "Die Überlebenden werden stetig weniger, ihr persönliches Zeugnis wird fehlen", sagte Langstein. Wie kann man ohne sie die Erinnerung an das Morden im KZ Mühldorf aufrecht erhalten? Wie können vor allem junge Menschen neue Formen der Erinnerung entwickeln, die ihnen und ihrer Verstehensweise entspricht? Dafür müsse der Verein "Für das Erinnern" eine Plattform darstellen. "Wir müssen uns aufmachen zu neuen Formen der Erinnerungsarbeit, der Inhalt - die Erinnerung an die Opfer und die Mahnung an die Gesellschaft - darf sich nicht verändern", so Langstein.
Die Nachricht vom Sommer, dass Ministerpräsident Seehofer mit tatkräftiger Unterstützung durch Staatskanzleichef Dr. Marcel Huber den Bau einer Gedenkstätte im Mühldorfer Hart ermöglicht, hat alle freudig überrascht. Basis für die Realisierung sei jedoch immer die Gesellschaft und Politik in Stadt und Landkreis, die sich für diese Erinnerungsorte einsetze. Damit sei eines der wichtigsten Vereinsziele in greifbare Nähe gerückt. "Aber Sektkorken werden erst knallen, wenn alles fertig ist, da sind wir schon vorsichtig geworden, betonte Langstein trotz aller Zuversicht.
Aus einer Einrichtung eines Gedenkorts erwächst dem Verein laut Langstein die zweite Herausforderung. Nichts sei langweiliger als ein vergessener und unbelebter Gedenkort. Man müsse gemeinsam mit vielen anderen dafür sorgen, dass eine lebendige Erinnerung stattfinde. Auch unkonventionelle Ideen können dabei ins Spiel kommen. Dies könne ideenhaft auch mal eine Stadtratssitzung von Mühldorf am Bunkerbogen sein, dort könne auch mal eine Pressekonferenz des Landkreises zu einer wichtigen Entscheidung sein oder eine Aktion einer Schulklasse. "Es geht um den selbstbewussten Umgang mit einer schwierigen Erinnerung." Ideen dazu würden bei der nächsten Arbeitssitzung gesammelt und angegangen.
In der anschließenden Diskussion wurden zwei konkrete Dinge beschlossen. Es gründet sich ein Arbeitskreis, der sich mit der geplanten Darstellung im Waldlager befasst. Zu eindrücklich seien die Rückmeldungen gerade der jungen Generation, dass man Erinnerung konkreter sehen will. Das Ziel, zumindest eine Erdhütte in Umrissen aufzustellen, wurde vereinbart. Die Studienfahrt 2016 wird zum Obersalzberg führen.
ovb, 21.11.2015
HEUTE ÖFFNET AUSSTELLUNG ZUR NS-GESCHICHTE IM MÜHLDORFER HABERKASTEN
Neuer Fahrplan für KZ-Gedenkstätte
Mühldorf - In die Planung der KZ-Gedenkstätte im Mühldorfer Hart kommt Bewegung. Nach Auskunft der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten könnte sich der Fahrplan zur Umsetzung der drei Gedenkorte - Rüstungsbunker, Waldlager sowie ehemaliges Massengrab - grundlegend ändern.
Hintergrund ist ein Gespräch mit den privaten Grundstückseigentümern im Landratsamt, bei dem nach Auskunft von Stiftungsdirektor Karl Freller Möglichkeiten für ein Flurbereinigungsverfahren diskutiert wurden. "Auch wenn noch viele Fragen offen sind, hat das Amt für ländliche Entwicklung aus dieser Sitzung den Auftrag für ein beschleunigtes Zusammenlegungsverfahren mitgenommen", bestätigte Freller gestern auf Anfrage der Heimatzeitung. Die Regelung der Eigentumsverhältnisse vor Ort ist ein Knackpunkt in der langjährigen Planung der Gedenkstätte. Nunmehr sind laut Freller die Bayerischen Staatsforsten bereit, benötigte Ausgleichsflächen als Tauschgrundstücke zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus zeichnet sich auch beim Thema Altlasten und Kampfmittelbeseitigung ein Fortschritt ab.
"Die laufenden Untersuchungen stimmen uns optimistisch, dass die für die Gedenkstätte benötigten Areale nicht so stark betroffen sind", sagte Freller, der zugleich den Fahrplan zum Bau der Dokumentationsorte in Frage stellte: "Aufgrund dieser Entwicklung rücken die Planungen für das Areal am Bunkerbogen in der Prioritätenliste ganz nach oben." Laut bisheriger Planung sollten zunächst die Gedenkorte Waldlager und Massengrab realisiert werden. Die Kosten für die gesamte Gedenkstätte im Mühldorfer Hart belaufen sich nach Angaben der Stiftung voraussichtlich auf rund 2,3 Millionen Euro - finanziert vom Freistaat Bayern.
Eine Dauerausstellung im Mühldorfer Haberkasten ordnet das Thema in den Gesamtkomplex "Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus" ein. Sie wird am heutigen Samstag mit einem Festakt eröffnet, ab morgen steht sie auch Besuchern offen.
ovb, 21.11.2015
Geschichte zum Greifen nah
Wolfgang Haserer
Es ist der erste Schritt zur KZ-Gedenkstätte und damit ein Meilenstein in der Aufarbeitung der NS-Geschichte in der Region: Unter dem Titel "Alltag, Rüstung, Vernichtung - Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus" eröffnet am morgigen Sonntag im Mühldorfer Haberkasten die neue Dauerausstellung. Mühldorf - Ein Wald aus grauen Stangen, mitten im Raum.
Kern der Ausstellung ist die Geschichte des Rüstungsprojekts "Weingut I" - vermittelt wird sie anhand einer zentralen Videoinstallation (im Vordergrund) sowie an zahlreichen Hör- und Videostationen mit Zeitzeugenberichten und Objekten. Fotos Heiner Heine/ha© OVB
Und damit ein Hauch von Mühldorfer Hart im zweiten Stockwerk des Haberkastens. Dazwischen betongraue Oberflächen und Tische aus Stahl, symbolhaft für das Bunkergelände. Das größte Rüstungsprojekt im Landkreis (siehe Infokasten rechts "Das Bunkergelände") ist unübersehbar Kern der neuen Dauerausstellung, die nicht nur das Schicksal der über 10000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge beleuchten, sondern den Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus darstellen will.
Geht das überhaupt? Auf 300 Quadratmetern rund um Stangenwald und Beton? Ein schwieriges Unterfangen. Die Ausstellungsmacher um Projektleiter Marc Spohr gehen den einzig gangbaren Weg. Sie vernachlässigen den Blick auf das große Ganze und konzentrieren sich auf das Kleine: auf Einzelschicksale, auf Biografien, auf die Geschichte vor Ort.
Der Landkreis im Nationalsozialismus
So trifft der Besucher zu Beginn auf die Uniform des Bezirksamtmanns Otto Speth. Sie steht für die Zeit der Weimarer Republik in der Region; Speths letzte Amtshandlung war die Entgegennahme der Rücktrittsgesuche von Stadt- und Gemeinderäten, die 1933 auf Druck der NSDAP ihre Ämter aufgaben.
Ein paar Schritte weiter: Die Kurzbiografien derer, die fortan in Stadt und Land das Sagen hatten: allen voran Kreisleiter Fritz Schwaegerl senior und Mühldorfs Bürgermeister Hans Gollwitzer. Ihnen gegenüber stehen die Gesichter der Mühldorfer, die sich nicht fügen wollten; die unter der neuen Politik zu leiden hatten: KPD-Mitglied Josef Wimmer zum Beispiel; oder der jüdische Pferdehändler Siegfried Hellmann, der 1938 - nur einen Steinwurf entfernt, gegenüber im Lodronhaus - anlässlich der Novemberpogrome im Gefängnis saß. Geschichte zum Greifen nah.
An dieser Stelle zeigt sich zum ersten Mal der besondere Wert dieser Ausstellung, die mehr leistet als das, was auf Informationstafeln oder an Hör- und Videostationen zu lesen, zu hören, zu sehen ist.
Eineinhalb Jahre lang hat Historiker Spohr das Thema aufgearbeitet und in Archiven wie dem U.S. Holocaust Memorial Museum, in den National Archives oder in der Gedenkstätte Yad Vashem vertieft, was Pioniere der Heimatforschung einst begonnen haben. Von Dr. Rudolf Spagl über Peter Müller und Ernst Aicher bis zu Josef Wagner: Auch sie haben ihren Teil zu dieser Ausstellung beigetragen.
Bei den Recherchen im Auftrag von Stadt und Landkreis kamen auch neue Dokumente und Objekte zum Vorschein: Die bis dato unbekannte Biografie der Jüdin Rita Baur ebenso wie das Fotoalbum, das die Ecksberger Schwestern 1962 in Erinnerung an die ermordeten geistig und körperlich behinderten Bewohner angelegt hatten. Die Fotografien, die Berichte der Zeitzeugen und die Todeslisten der in Vergessenheit geratenen Opfer der sogenannten "wilden Euthanasie" in Ecksberg im Jahr 1943 gehen unter die Haut, lassen niemanden kalt.
Das Rüstungsprojekt "Weingut I"
Emotional ist es nach der Darstellung der allgemeinen Entwicklung des Landkreises im Nationalsozialismus ein weiter Weg zur Baustelle am Bunkerbogen, auch wenn es in der Ausstellung nur wenige Schritte sind. Ein harter Schnitt.
Eine Videoinstallation bildet den Einstieg in das Thema Bunker. Die Theorie zu Bauwesen, zur geografischen Lage der KZ-Außenlager und zur Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft erfahren die Besucher an sogenannten Vertiefungsstationen in Bild und Ton.
Doch letztlich sind es wieder die persönlichen Schicksale, die gefangen nehmen: das Foto des Ungarn Lajos Kormos, der auch 82 Tage nach seiner Befreiung bis auf die Knochen abgemagert ist; die Schilderungen der Lagerältesten Herta Wohlmuth, die sich im Rahmen der Mühldorfer Prozesse an die Ermordung eines Babys im Frauenlager erinnert; das Interview mit dem ehemaligen Häftling Imre Vasány, der ganz offen in die Kamera spricht: "Man interessierte sich nicht für den anderen. Nichts war von Bedeutung, außer der Nahrungsaufnahme."
Dazu ein paar historische Objekte: ein Stück Stacheldraht, ein Latrine-Eimer, eine Schaufel. Und natürlich die Schuhsohlen, die bei Ausgrabungen von Archäologiestudenten der Uni München 1999 auf dem Gelände des ehemaligen Waldlagers entdeckt wurden.
Kriegsende und Befreiung der Lager
Einen genauen Blick lohnt ein Dokument aus dem Bundesarchiv Berlin: Es listet die Mitglieder der Weingut-Betriebs GmbH auf: Wirtschaftsvertreter von Siemens & Halske, AEG und Carl Zeiss. Selten treten die Verbindungen zwischen Wirtschaft und NS-Verbrechen so klar zu Tage wie in diesem Schriftstück. Zur Ortsbesichtigung im Dezember 1944 reisten die Gesellschafter noch per Sonderschlafwagen an, um Baustelle und Waldlager zu besichtigen.
Der dritte Ausstellungskomplex behandelt die Befreiung der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter. Unter anderem geht es um die letzten Stunden im Lager vor dem Eintreffen der Amerikaner. Unbedingt zum nachlesen: Der Persilschein, den die verbliebenen Häftlinge für ihre Bewacher ausstellten, um ihr Leben zu retten.
Aufarbeitung der NS-Geschichte
Abschließend widmet sich die Ausstellung der lange Zeit vermiedenen Aufarbeitung der NS-Zeit im Landkreis und legt dabei den Finger schmerzhaft in manche Wunde. So beschrieb der Landkreis in seinem Buch zur Kreisgeschichte Anfang der 1960er-Jahre das Bunkergelände auf einer Doppelseite. Dabei erwähnte er die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter mit keinem Wort.
Trotz des großen Spagats zwischen NS-Geschichte im allgemeinen und der Bunkerhistorie im speziellen haben die Ausstellungsmacher der Versuchung widerstanden, die Dokumentation mit Bildern, Objekten und Texten zu überfrachten. Gerade die Schlaglichter auf besondere Biografien - von Tätern und Opfern - bringen die Themen den Besuchern so nah. Die 300000 Euro, die sich Stadt und Landkreis dafür geteilt haben, sind gut investiertes Geld. Davon profitieren Schulklassen, die nächsten Generationen, jeder einzelne Besucher.
Auf dem Weg zum Ausgang fällt der Blick auf eine Tafel mit den geplanten Gedenk- und Erinnerungsorten im Mühldorfer Hart: ein Fingerzeig in die nahe Zukunft. Möglichst bald sollen nun endlich auch die Arbeiten am Bunkergelände, am Waldlager und am ehemaligen Massengrab beginnen. Es wird höchste Zeit.
ovb, 23.11.1015
"Weit wie nie"
Die Dauerausstellung zur Geschichte des Nationalsozialismus im Haberkasten ist ein Schritt zur Verwirklichung eines Gedenkortes am NS-Bunkergelände im Mühldorfer Hart. Darauf haben Redner bei der Eröffnung der Ausstellung am Samstag im Haberkasten hingewiesen.
Der erste Rundgang: Ausstellungsmacher Marc Spohr (rechts) führte die Ehrengäste durch die Ausstellung. Im Zentrum steht die Videoinstallation, die die Geschichte des Rüstungsvorhabens "Weingut I" dokumentiert. Fotos rob© OVB
Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle kündigte an, als nächstes das Bunkergelände zu gestalten.
Mühldorf - Es ging um die gesellschaftspolitische Aufgabe, nachfolgende Generationen über die Bedeutung von Toleranz, Hinschauen und Demokratie aufmerksam zu machen. Darin waren sich alle Redner im Haberkasten einig. Kultusminister Spaenle betonte, die Dauerausstellung "Alltag. Rüstung. Vernichtung - Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus" im Haberkasten sei "zielführend" für eine Gedenkstätte im Mühldorfer Hart. Dabei werde die Gestaltung des letzten Betonbogens des geplanten Rüstungsbunkers "Weingut I" vorgezogen "ohne Waldlager und Massengrab zu vernachlässigen".
Für Spaenle ist die Kooperation bei der Umsetzung zwischen Landkreis und Stadt "bundesweit selten wenn nicht einmalig". Er hoffe, dass eine Landtags-Petition zur Umsetzung der Gedenkstätte, mit der er sich bereits 1994 beschäftigt habe, "demnächst beiseite gelegt werden kann".
Diese Hoffnung hegt auch Staatskanzlei-Chef Dr. Marcel Huber. Die Region sei bei der Umsetzung "weit wie nie". Man sei dabei, "komplizierte Fragen" wie die der Verkehrssicherungspflicht und der Kampfmittelentsorgung "einer Lösung zuzuführen" - und dies in einer "relativ überschaubaren Zeit".
Für Huber bleiben auch die mehr als 3000 Todesopfer mit ihren Biografien unvergessen, auch wenn die Nationalsozialisten versucht hätten aus Menschen Nummern zu machen. Die Konzentrationslager und ihre Außenlager wie das im Mühldorfer Hart seien "Symbole der Unmenschlichkeit" und "Synonyme des Grauens". Die nachfolgenden Generationen trügen "keine Schuld aber die Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder geschieht". Freiheit und Demokratie bräuchten Erinnerung - die Ausstellung sei ein "Raum der Erinnerung".
Wie Spaenle bezog sich Huber auf die Terror-Anschläge in Paris. Hubers Forderung: Zusammenstehen in Europa für Toleranz und Meinungsfreiheit in Frieden und Freiheit.
Imre Varsányi, der damals noch Weisz mit Nachnamen hieß, hat als KZ-Häftling das Grauen im Mühldorfer Hart bei Mettenheim überlebt und 60 Jahre lang geschwiegen. Erst die Besuche an den Orten des Schreckens Jahrzehnte danach ließen ihn Sprache finden - auch weil die Ereignisse in seiner Heimat Ungarn so gewesen seien "wie die Zeit, die zum Lager geführt hat". Aufgewühlt berichtete Varsányi bei der Ausstellungseröffnung über seine Lagerhaft und dankte den Ausstellungsorganisatoren, denn solche "existieren in Ungarn nicht".
Max Mannheimer, der als ehemaliger Häftling unermüdlich über das Geschehen aufklärt, berichtete von seinem Gespräch auf Initiative von Hans-Jochen Vogel mit Ministerpräsident Horst Seehofer und Minister Huber vor wenigen Wochen in der Staatskanzlei. "Das machen wir", habe Seehofer nach einer Stunde über die Finanzierung der Gestaltung des Bunkerbogens gesagt, die ursprünglich erst in einigen Jahren auf der Agenda gestanden hätte. "Jetzt muss ich nur gesund bleiben, dass ich bei der Eröffnung des Museums und der Gedenkstätte dabei sein darf", erinnert sich der 95-jährige Mannheimer an seine Gedanken nach dem Gespräch.
"Die Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus ist schwierig", sagte Mühldorfs Bürgermeisterin Marianne Zollner bei der Eröffnungsfeier der Ausstellung mit "überregionaler Bedeutung". Besucher könnten hier eine Antwort auf die Frage suchen: "Wie hätte ich selbst gehandelt? Wäre ich wachsam und stark genug gewesen?" Zollner erinnerte an Pioniere wie Dr. Rudolf Spagl, der mit seiner Ausstellung 1985 eine Grundlage für die Gedenkarbeit vor Ort geschaffen habe, ebenso wie das Buch Peter Müllers über das NS-Bunkergelände oder der Film Josef Wagners.
"Wir zeigen damit, dass wir zur Geschichte stehen und nicht nur reden", sagte Landrat Georg Huber mit der der Ausstellung, werde "ein Zeichen gesetzt". Für Landrat Huber war Karl Freller als Vorsitzender der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten ein Wegbereiter der heutigen Entwicklung. Seitdem "spüren wir, dass Mettenheim auch ein Außenlager war und nicht das kleinste", so Huber. Dass über das Geschehen gesprochen werde, führte Huber auf das Engagement vieler Ehrenamtlicher zurück, die nicht gewartet hätten, bis der letzte ehemalige Häftling gestorben sei.
Die Ausstellung bietet etwa 250 Exponate auf 350 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Sie zeigt den Weg der Entwicklung des Nationalsozialismus im Landkreis Mühldorf wie die Geschichte des Rüstungsbunkers, informiert über das Kriegsende und die Aufarbeitung. Dr. Michael Henker, Präsident des Deutschen Nationalkomitees des internationalen Museumsrats, sagte für den Arbeitskreis Wissenschaftler zur NS-Ausstellung, dies sei ein "entscheidender Schritt" zur Sicherung der historischen Orte im Mühldorfer Hart. Auch nach Rückschlägen hätten die Bürger vor Ort nicht nachgegeben. Im Juli habe der Landtag 2,5 Millionen Euro zugesagt. Dies sei eine "gute Perspektive". Ein Fazit Henkers: "Es gibt noch viel zu tun!" rob
Wochenblatt-Artikel vom 24.11.2015
Feierlicher Akt zur Eröffnung
NS-Dauerausstellung im Haberkasten eröffnet
Mit einem feierlichen Akt wurde am 21.11.2015 die Ausstellung „Alltag, Rüstung, Vernichtung – Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus” eröffnet.
Welch hohe Bedeutung der Ausstellung und damit der Aufarbeitung der Mühldorfer Geschichte des zweiten Weltkriegs zukommt, zeigt allein schon die Liste der hochkarätigen Redner. Der Begrüßungsrede durch erste Bürgermeisterin Marianne Zollner folgten die Reden des Kultusministers Dr. Ludwig Spaenle, Staatsministers Dr. Marcel Huber, des Landrats Georg Huber und des Präsident des Deutschen Nationalkomitees des Internationalen Museumsrats, Dr. Michael Henker. Besonders berührend waren die Redebeiträge der drei Zeitzeugen Dr. Max Mannheimer, Imre Varsányi, und Abba Naor.
Auf 350 Quadratmetern Ausstellungfläche gelingt es dem Kurator Marc Spohr mit 250 Exponaten sehr anschaulich, über die Geschehnisse im Mettenheimer Hart, einem Außenlager des Dachauer Konzentrationslagers, zu informieren. Zahlreiche Details und Hintergründe über Einzelschicksale lassen Geschichte lebendig werden.
Die Träger der Dauerausstellung sind die Kreisstadt Mühldorf und das Kreismuseum Mühldorf. Die Ausstellung kann ab sofort zu den Öffnungszeiten des Kreismuseums oder nach vereinbarten Terminen im 2. Obergeschoss des Haberkastens besichtigt werden.
Bürgermeisterin Marianne Zollner endete ihre Rede mit einem Appell an die Jugend: „Ich wünsche mir, dass die Ausstellung von vielen jungen Menschen besucht wird. Sie sollen lernen ihren Blick zu schärfen, sie sollen lernen, dass es wichtig ist, sich aktiv gegen Fremdenhass, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einzusetzen.”
SZ, 20. November 2015
Mühldorf
Die Namen überleben
Die neue, sehr bedrückende Dauerausstellung des Kreismuseums Mühldorf rückt die Menschen ins Zentrum, die in der Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau zu Tode gebracht wurden
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Von Rudolf Neumaier, Mühldorf
Namen, Namen, Namen. Es sind Totenlisten. Tote Frauen, tote Männer, tote Säuglinge. Manche Namen ragen hervor, Namen, die mit Porträtfotos versehen sind. Siegfried Hellmann zum Beispiel: ermordet in einem Vernichtungslager. Oder Carl Paul Rotthaus: umgebracht in einer Verwahranstalt im heutigen Stadtteil Altmühldorf. Dann das Bild der Zwangsarbeiterin Janina Krawczyk, die ihren Sohn Josef verlor: Er wurde im Alter von drei Monaten zu Tode gebracht in einem Bretterverschlag, den die Nazis "Kinderheim" nannten. Die Namen vieler der etwa 4000 Toten im KZ-Außenlager draußen vor der Stadt lassen sich kaum noch ermitteln. Mühldorf war ein Todesort. Doch es gibt auch Namen von Opfern, die überlebten. Und Namen von Nazis: Hans Gollwitzer - sieben Jahre nach dem Krieg wählten ihn die Mühldorfer wieder zum Bürgermeister. Noch heute halten sie seinen Namen mit der Hans-Gollwitzer-Straße in Ehren.
Die neue Dauerausstellung des Mühldorfer Kreismuseums könnte eine fällige Debatte über Gollwitzer auslösen. Sie führt klug, dicht und schonungslos die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt und des Umlandes vor Augen, die nach 1945 subkutan fortdauerte, als das Grauen großflächig verdrängt wurde. Der Historiker Marc Spohr hatte anderthalb Jahre Zeit, die Ausstellung zu realisieren. Er nutzte diese Zeit intensiv: Er recherchierte bei großen Institutionen wie den National Archives von Washington ebenso wie bei kleinen, etwa im Archiv der niederländischen Provinzstadt Meppel, wo der vertriebene jüdische Pferdehändler Siegfried Hellmann aus Mühldorf vor seiner Deportation in ein Todeslager mittellos lebte. Der sperrige Titel "Alltag, Rüstung, Vernichtung" täuscht: Die Details und Hintergründe über die Opfer machen den Besuch dieser Ausstellung zu einem lehrreichen und sehr bedrückenden Geschichtserlebnis. Was allerdings noch fehlt, ist eine Publikation über Spohrs Recherchen.
Das letzte Geschichtsbuch des Landkreises Mühldorf datiert aus dem Jahr 1962. Der Beitrag über die Bunkeranlage ist kaum zehn Zeitungszeilen lang. Kein Wort von den annähernd 10 000 Häftlingen, den Toten, ihren Mördern, dem Irrsinn. Die Überschrift "Gestürzte Giganten" zeugt von ausgeprägtem Verdrängungswahn. "Wie Schatten einer unbewältigten Vergangenheit gähnen die Abgründe im Walde", schreiben die Autoren des "Heimatbuches". Erst in den Achtzigern machten sich zwei Geschichtslehrer ehrenamtlich an die Arbeit, diese Vergangenheit zu bewältigen.
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• Im Sommer 1944 errichteten die Nazis bei Mühldorf eines der größten Außenlager des KZ Dachau. Sie planten eine Fabrik für den Bau eines Kampfflugzeuges.
Bild: Kreismuseum Mühldorf
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• Mit dem Bau dieses Flugzeugs wollte Hitler dem Krieg eine neue Wendung geben.
Bild: Kreismuseum Mühldorf
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• Die neue Dauerausstellung des Mühldorfer Kreismuseums führt nun klug, dicht und schonungslos die NS-Vergangenheit der Stadt und des Umlandes vor Augen.
Bild: Kreismuseum Mühldorf
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Im Sommer 1944 errichteten die Nazis bei Mühldorf eines der größten Außenlager des KZ Dachau. Sie planten dort im Wald, der mit der Bezeichnung Hart in den Karten steht, eine riesige Fabrik für den Bau eines Kampfflugzeuges, mit dem Hitler dem Krieg eine Wende geben wollte. Ein kleiner Teil dieses gigantischen Bunkers mit drei Meter starken Betonwänden steht noch. Den Rest hat sich im Laufe der Jahrzehnte die Natur zurückerobert. Über dem Lager, wo die Arbeitshäftlinge in Erdhütten gepfercht waren, und über den Massengräbern ist der Wald nachgewachsen. In den kommenden Jahren sollen dort Gedenkorte entstehen. Museal aufgearbeitet wird die Vergangenheit dieses Ortes nun im historischen Haberkasten der Kreisstadt, das Kreismuseum hat an vier Nachmittagen pro Woche geöffnet.
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Die Geschichte des Rüstungsbunkers musste erst wieder ausgegraben werden: Archäologen rückten an und suchten nach Hinweisen auf die Lebensbedingungen in den Lagern. Unter anderem fanden sie Schuhsohlen, Größe 35 oder 36 vielleicht. Von Frauen oder Jugendlichen. Wer die Fotos vollkommen ausgemergelter Häftlinge sieht, kann sich kaum vorstellen, wo diese Menschen noch die Kraft hernahmen für die schwere Arbeit. Waren sie arbeitsunfähig oder krank, wurden sie selektiert - für die Deportation nach Auschwitz.
Gleich nach der Befreiung des Lagers ließen die Amerikaner die Toten aus den Massengräbern exhumieren und in Mühldorf aufbahren. Und sie verpflichteten die Bevölkerung, sich die Leichen anzuschauen, ehe sie wieder beerdigt wurden. Die Mühldorfer vergaßen schnell. Oder war es Scham oder ein Schauder über die Brutalität des eigenen Wegschauens, der sie in den Jahren danach davon abhielt, Gedenkveranstaltungen zu besuchen?
Die Jüdin Rita Baur und ihr evangelischer Mann kehrten nach Mühldorf zurück. Sie hatten die Konzentrationslager überlebt. Doch willkommen waren sie nicht in der Stadt. Die unfassbare Geschichte der Rita Baur hat Kurator Marc Spohr exponiert dargestellt. Die Nazis inhaftierten das Ehepaar Baur im Herbst 1944: sie, weil sie Jüdin war, ihn, weil er mit einer Jüdin verheiratet war. Bürgermeister Gollwitzer, ein Mann der ersten Stunde in der Mühldorfer NSDAP, schrieb einen Bericht, Rita Baur sei "zum Sondereinsatz abkommandiert". Sie landete in Theresienstadt. Als sie und ihr Mann nach dem Krieg nach Mühldorf zurückkehrten, betrauten die Amerikaner Wolfgang Baur mit allerlei Organisationsaufgaben: die Toten vom Hart exhumieren, die Displaced Persons einquartieren. Nach dem Abzug der Amerikaner kamen Korruptionsvorwürfe gegen den städtischen Beamten Baur auf. Er wurde angeklagt - und freigesprochen. Als er ein paar Jahre darauf starb, bat die Jüdin Rita Baur die Stadt um Witwenrente. Der Stadtrat lehnte ab. Bürgermeister war damals wieder: Hans Gollwitzer, der alte Nationalsozialist.
3934 Tote
Wie viele Menschen genau im Außenlager Mühldorf zu Tode gebracht wurden, ist unklar. Es existieren mehrere Totenbücher mit unterschiedlichen Zahlen. Die Amerikaner fanden in drei Massengräbern insgesamt 2249 Tote. Es ist aber davon auszugehen, dass viel mehr Menschen starben, denn anfangs wurden die Leichen noch ins Krematorium nach Dachau geschafft. Außerdem wurden in zwei Transporten Häftlinge nach Auschwitz gekarrt und dort ermordet. Eine amerikanische Untersuchungskommission addierte die Zahl der Toten nach dem Krieg auf 3934. Überlebt haben das Lager 3556 Häftlinge, das Schicksal von 800 ist ungeklärt.
Rita Baurs Judenstern ist im Haberkasten zu sehen. Es ist ein beklemmendes Original-Exponat. Wie es dorthin gelangte, war Zufall: Im Mühldorfer Stadtarchiv hospitierte vor wenigen Monaten ein Schüler und wurde eher zufällig in ein Gespräch über Rita Baur verwickelt. Wie sich herausstellte, handelte es sich beim Praktikanten um den Enkel dieser Frau.
Der Stadtarchivar Edwin Hamberger kommt immer wieder mit ahnungslosen Angehörigen von NS-Opfern in Kontakt. Als sich eine Familienkundlerin aus dem Nordwesten Deutschlands nach der Sterbeurkunde ihres Großvaters Carl Paul Rotthaus erkundigte, der wohl in Mühldorf gestorben sei, fand Hamberger den Toten auf einer Liste der Altmühldorfer Behinderteneinrichtung Stiftung Ecksberg.
Der Großteil der Insassen der damaligen Verwahranstalt für geistig und körperlich behinderte Menschen war in den Jahren 1940/41 im Euthanasieprogramm T4 deportiert und mit Giftgas ermordet worden. Um im Krieg alle Pflegekapazitäten für verwundete Soldaten auszuschöpfen, verlegten die Nazis viele noch nicht von T4 erfasste Personen aus allen Teilen des Landes in die Stiftung Ecksberg. Auch Carl Paul Rotthaus. Dieser Mann litt seit einem Kopfschuss im Ersten Weltkrieg an Epilepsie. In Altmühldorf wurden die Insassen nun nicht in Gaskammern geschickt. Solche gab es hier nicht. Ermordet wurden sie durch systematische Unterversorgung. Innerhalb von 18 Monaten starben 200 Insassen, unter ihnen Carl Paul Rotthaus. Seine Enkelin hat ein Foto von ihm nach Mühldorf geschickt, in diesen oberbayerischen Todesort. Ein Bild zu einem von Tausenden Namen.