Für das Erinnern
Erinnerungen von Rudolph Tessler an den Transport vom Ghetto Warschau nach Dachau und dann zu den Mühldorfer Außenlagern.
Sie sind in seinem Buch "Letters to my children" enthalten. Die Zahlen die genannt werden, sind nicht durch andere Quellen abgesichert.
"Nachdem wir in einen Viehwaggon in Kutno verladen wurden – es war mitten an dem Tag, an dem wir über Flucht gesprochen hatten – begannen wir mit dem was die Vier-Tagesreise nach Dachau sein würde. Wieder gab es nichts zu essen und kein Wasser. Leute wurden krank. Es müssen zwischen 90 und 100 von uns in einem Waggon gewesen sein. Ich weiß nicht wie viele genau. Wir wurden aufeinander gestapelt. Wir krallten uns aneinander. Ein Mann aß in seiner Unzurechnungsfähigkeit seine eigenen Fäkalien. Einige der Männer in unserem Waggon starben. Einer ihrer Körper wurde aufgeschnitten. Häftlinge aßen einen Bissen davon, menschliches Fleisch, rohes Fleisch.
Einmal, als der Zug hielt, gaben uns die Deutschen Konservenfleisch, das sehr salzig war und unseren Durst noch schlimmer machte. Mein Vater sagte: „Esst das nicht. Durstig zu sein und kein Wasser zu haben ist schlimmer als hungrig zu sein und nichts zu essen zu haben.“ Deshalb aßen wir es nicht.
Wir fuhren auf diese Weise vier Tage, bevor wir Dachau erreichten. Dort konnten wir uns kaum aus dem Waggon bewegen. Die Deutschen mussten uns hinausstoßen. Pritschenwagen wurden längs des Zuges gebracht, um die Körper wegzubringen. Ich glaube, dass nicht mehr als 800 von uns Dachau erreichten. Der Rest überlebte nicht. Als wir Warschau verließen, waren wir 8000."
Konrad Charmatz erlebte nach seinen Aufzeichnungen im Buch "Nightmares", diesen Transport so:
"Die schreckliche Zeit der Reise von Zychlin nach Dachau dauerte drei Tage; der Schmerz und das Leiden würden für 30 Jahre gereicht haben. Es geschahen so schreckliche Dinge, dass es mir unmöglich ist, nur einen kleinen Teil von dem zu erzählen, was wir aushielten. Diese Reise kostete viele Leben. Manche von uns erstickten an der verschmutzten Luft, manche wurden zu Tode gequält und viele von uns wurden schwach vor Hunger und Durst, so dass ihre Zungen wie Lederriemen heraushingen. Viele von uns brachen physisch und psychisch zusammen. Neben mir starb ein Mensch, aber er konnte nicht zu Boden sinken, weil er so eingezwängt war. Die ganze Zeit schaukelte er vor und zurück mit einem wissenden Lächeln auf dem Gesicht, als ob er sagen wollte: "Ich lache euch alle aus. Meine Welt, mein Leiden ist beendet."
Schließlich erreichten wir unser Ziel: Dachau. Wir stiegen aus dem Zug wie verrückte wilde Menschen, halbnackt, schmutzig, unsere Haut mit Wunden bedeckt. Die Luft regte uns an wie Alkohol. Wir stolperten, wie wenn wir auf fremden Beinen stünden. Unsere Augen glänzten wild und verängstigt. Wir wussten nicht, was wir mit uns anfangen sollten. Beim Appell gewannen wir einige unsere Sinne zurück, als wir gezählt wurden, um registriert zu werden. Wir bekamen neue Nummern. Meine Nummer in Dachau war 88724.
Die Hälfte der Fläche war mit Körpern bedeckt. Überall lagen Leute wie Leichen herum – krank, halbtot und tot. Ich hatte keinen Spiegel, um hineinzuschauen, wie ich ausschaute, aber wenn ich in die anderen Gesichter schaute, dann konnte ich mir mein Erscheinungsbild gut vorstellen. Das waren keine menschlichen Gesichter, sondern Masken. Man fühlte sich zum Weinen, aber die Quelle der Tränen war ausgetrocknet. Neben mir lag ein halbtoter junger Mann von ungefähr dreißig Jahren, der schon wie ein alter Mann aussah, alles grau. Die blauen Venen in seinen Schläfen pochten. Seine dünnen Lippen bewegten sich, als er etwas sagen wollte. Er betete offensichtlich und dankte Gott, für seine Gnade, ihn überleben zu lassen."