Für das Erinnern
ovb, 03.12.2016
Mühldorf. – Zweiter Teil der Serie zur NS-Geschichte im Landkreis Mühldorf. Oktober 1944.
Bei den Recherchen zur neuen Dauerausstellung im Haberkasten stieß Historiker Marc Spohr auf die Geschichte des halbjüdischen Ehepaars Baur aus Mühldorf, das noch im Februar 1945 deportiert wurde.
Als alle anderen jüdischen Bürger den Landkreis längst verlassen hatten, war Familie Baur noch da: Mutter Rita, Vater Wolfgang, Sohn Andreas. Die Repressalien der NS-Diktatur hatten die Baurs allerdings schon zehn Jahre zuvor zu spüren bekommen. 1934 musste Wolfgang Baur seine Arbeitsstelle in der Stadtverwaltung Neustadt/ Saale aufgrund der antijüdischen Gesetzgebung und der nichtarischen Abstammung seiner Ehefrau aufgeben. Daraufhin zogen die Baurs von Hammelburg nach Mühldorf. Bis 1944 schlug sich Wolfgang Baur mit Gelegenheitsarbeiten bei Baufirmen durch.
Während seine Ehefrau Rita nach ihrer Ankunft in Mühldorf noch als sogenannte "Halbjüdin" geführt wurde, stufte die Verwaltung sie 1938 als "Volljüdin" und ihren Sohn Andreas als "Halbjuden" ein. Der gelbe Judenstern, den Rita Baur ab September 1941 tragen musste, ist heute Teil der Ausstellung im Haberkasten.
Rita Baur kam 1945 ins Ghetto Theresienstadt
Am 28. November 1944 wurde Ehemann Wolfgang verhaftet. Grund für seine Verhaftung war die Ehe mit seiner jüdischen Ehefrau, die er trotz des Drucks nicht scheiden lassen wollte. Bis 1945 war Baur im Zwangsarbeitslager Rothenförde bei Leipzig interniert.
Seine Frau Rita wurde am 20. Februar 1945 von der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Mühldorfs Bürgermeister Hans Gollwitzer meldete die Verhaftung an das Landratsamt, die Unterlagen finden sich im Staatsarchiv München. Zwei Tage später wurde Rita Baur mit Transport II/34 ins Ghetto Theresienstadt deportiert.
Ihr Sohn lebte bei seiner Großmutter in Mühldorf und war als "Halbjude" ebenfalls von Diskriminierungen betroffen. Trotz sehr guter Noten wurde ihm der Übertritt in die Oberrealschule verwehrt.
Wolfgang und Rita Baur überlebten die nationalsozialistische Verfolgung und kehrten nach dem Krieg nach Mühldorf zurück. Wolfgang Baur begann bereits im Juli 1945 als sogenannter "Investigator" für die amerikanische Militärregierung zu arbeiten. In dieser Funktion war er unter anderem für die Koordinierung der Exhumierung der Leichen aus dem KZ-Massengrab im Waldstück Kronprinzenstein zuständig. Ab November 1945 war er als Leiter des städtischen Wohnungsamtes für Einquartierungen ehemaliger Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in Häuser ehemaliger NSDAP-Anhänger zuständig.
Stadt Mühldorf erstattete Anzeige
Ab 1947 arbeitete Baur für die Stadt Mühldorf, die 1952 Anzeige gegen ihn erstattete. Der Vorwurf: Baur habe die sogenannten „Displaced Persons“ begünstigt. Er wurde daraufhin per Stadtratsbeschluss vom 7. Oktober 1953 aus der Verwaltung entlassen, obwohl ihn das Gericht von allen Anschuldigungen freisprach.
Am 11. Juli 1958 verstarb Wolfgang Baur. Um die Auszahlung einer Witwenrente für Rita Baur zu gewährleisten, wandte sich der Anwalt der Familie 1959 an Hans Gollwitzer – also jenen Bürgermeister, der im Februar 1945 die Einziehung Rita Baurs "zum Sondereinsatz" an das Landratsamt gemeldet hatte. Unter seiner Führung stimmte der Mühldorfer Stadtrat 1959 gegen die Auszahlung einer Witwenrente. Einstimmig.
Die neue Dauerausstellung „Alltag, Rüstung, Vernichtung – Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus“ im Mühldorfer Haberkasten ist von Dienstag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr sowie samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. ha