Für das Erinnern
ovb, 15.03.2016
Wer die neue Dauerausstellung im Haberkasten zur NS-Geschichte besucht, kommt an Hans Gollwitzer nicht vorbei. Eine große Filztafel informiert über die Karriere des NS- und Nachkriegsbürgermeisters. Trotzdem tut sich die Stadt schwer mit einer Aufarbeitung des Themas. Dabei lassen sich inzwischen auch lange verschlossene Quellen einsehen.
Mühldorf – Immer wieder stand das Thema auf der Tagesordnung, immer wieder wurde über Hans Gollwitzer diskutiert. Über seine Rolle in der NS-Zeit genauso wie über seine Rolle nach dem Krieg. Zuletzt hatte Grünen-Stadtrat Dr. Georg Gafus im Mai anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes eine kritische Auseinandersetzung angeregt. Ohne Erfolg.
Davor waren es meist die Artikel über Hans Gollwitzer im "Mühlrad", die für Gesprächsstoff sorgten. Vier Aufsätze hat der Heimatbund über den ehemaligen Bürgermeister veröffentlicht. Stand 1979 noch die Würdigung des Altbürgermeisters nach dessen Tod im Vordergrund, stellte Daniel Hilgert 2012 bei seiner Aufarbeitung des Themas in den Raum: "Taugt Hans Gollwitzer noch als Vorbild?"
Eine berechtigte Frage vor dem Hintergrund, dass sich in den letzten Jahren neue Quellen aufgetan haben. Unter anderem lassen sich Unterlagen des ehemaligen Bezirksamtes sowie der Spruchkammerakt zu Gollwitzer im Staatsarchiv München einsehen. Darüber hinaus befinden sich im Mühldorfer Stadtarchiv die internen Tagesberichte des NS-Bürgermeisters.
Jede Aussage, jeder Bericht, jedes Urteil muss für sich betrachtet und differenziert bewertet werden. So war beispielsweise auch das Spruchkammerverfahren im Jahr 1948 aus heutiger Sicht kein objektiver Prozess der Wahrheitsfindung.
Man muss sich der Person Hans Gollwitzer aus drei verschiedenen Richtungen nähern: Was belastet ihn? Was entlastet ihn? Und wie stand er selbst zu seiner Vergangenheit?
Am einfachsten lässt sich die letzte Frage beantworten. Zu keinem Zeitpunkt setzte sich Hans Gollwitzer in irgendeiner Form kritisch mit seiner NS-Vergangenheit auseinander. Vor Gericht begründete er 1948 seinen Einsatz für das NS-Regime so: "Im Mittelpunkt meines Denkens und Handelns stand allzeit mein Volk und sein Wohl. Soweit ich dies durch die NSDAP gefördert glaubte, habe ich mich in bester Überzeugung dafür eingesetzt. Niemals aber war ich Anhänger einer Gewaltherrschaft, noch war ich bereit, eine solche zu fördern und für eine solche einzutreten. Ich darf wohl ohne Überhebung für mich in Anspruch nehmen, ein Idealist gewesen zu sein."
Was belastet Gollwitzer? Gemessen an seiner politischen Position sind die belastenden Momente im Spruchkammerakt überschaubar. So haben sich im Verfahren beispielsweise keine Beweise ergeben, dass sich Gollwitzer im Zuge der Enteignung von Juden bereichert hätte.
Wesentlich ergiebiger sind in dieser Hinsicht aber die Unterlagen aus dem ehemaligen Bezirksamt. Dort ist beispielsweise nachzulesen, wie sich Gollwitzer im Mai 1938 zu dem Fall von Leonhard Krieger äußert: "Krieger ist ein Taugenichts (...), dem es auch nicht darum zu tun ist, seiner Unterhaltspflicht nur einigermaßen nachzukommen. Die Erteilung eines Arbeitsauftrags oder seine Einschaffung in ein Konzentrationslager dürfte angebracht sein." Krieger kam später tatsächlich ins KZ Buchenwald.
In der Gesamtschau besteht kein Zweifel: Gollwitzer war Nazi der ersten Stunde, er war Antisemit, er hat Menschen denunziert und ihnen bewusst geschadet.
Dem stehen im Spruchkammerverfahren Aussagen gegenüber, die Gollwitzer entlasten. Ein doch überraschendes Beispiel: Die Ex-Frau des jüdischen Viehhändlers Liebenstein sagte 1946 aus, dass ihr Gollwitzer unter anderem bei der Wohnungssuche behilflich gewesen sei. "Wegen seiner Hilfestellung einer Judenfrau gegenüber kam er mit dem Kreisleiter in Konflikt. Doch Herr Gollwitzer ließ sich in seiner Amtsführung nicht einschüchtern." Dass aber beispielsweise der Fall Krieger in dem Verfahren gar nicht zur Sprache kommt, zeigt, wie oberflächlich die Auswahl der Zeugen getroffen wurde.
Bleibt die Frage nach den Konsequenzen. Gebührt Hans Gollwitzer die Ehre eines Straßennamens? Muss sich die Stadt noch einmal ausdrücklich von ihrem ehemaligen Ehrenbürger distanzieren? Fragen, mit denen sich der Mühldorfer Stadtrat beschäftigen kann und muss. Denn die Quellenlage zu Gollwitzer ist inzwischen mehr als ausreichend.
Die Ausstellung "Alltag, Rüstung, Vernichtung" im Haberkasten ist von Dienstag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet.