Für das Erinnern
ovb, 26.02.2016
Vierter Teil unserer Serie zur NS-Geschichte im Landkreis Mühldorf. Bei den Recherchen zur neuen Dauerausstellung im Haberkasten stieß Historiker Marc Spohr auf bislang unbekannte Todeslisten der Stiftung Ecksberg aus den Jahren 1943 und 1944. Fast 200 psychisch kranke Männer und Frauen fielen damals der sogenannten „wilden Euthanasie“ zum Opfer.
Mühldorf – Edmund Finke starb am 25. Januar 1944. Alfred Voswinkel am 16. März 1944. Max Fliege am 11. April 1944. Weit über 100 Namen stehen auf den kleinen Schildchen am Ecksberger Friedhof. Alle tragen Sterbedaten zwischen Dezember 1943 und April 1944, alle waren Opfer der sogenannten "wilden Euthanasie". 197 Männer und Frauen kamen innerhalb weniger Monate aufgrund bewusster Vernachlässigung und Mangelernährung ums Leben.
Ein Kapitel der Stiftung Ecksberg, das erst jetzt – über 70 Jahre später – mit der Dauerausstellung zur NS-Geschichte im Landkreis verstärkt ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Bisher war vor allem über die 245 Pfleglinge berichtet worden, die im September 1940 im Rahmen der "Aktion T4" in Hartheim ermordet wurden.
Schon kurz nach der Machtergreifung 1933 hatte die nationalsozialistische Regierung erste Gesetze erlassen, die die Bevölkerung in lebenswertes und "lebensunwertes" Leben einteilten. Ab 1934 wurden daher Menschen, die nicht den biologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten entsprachen, systematisch erfasst und zwangssterilisiert.
Der Euthanasie-Erlass Hitlers im Jahr 1939 war dann der letzte Schritt hin zur Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens. Mit dem Erlass wurde der als "Gnadentod" bezeichnete Mord an Menschen mit Behinderung legalisiert. Damit war für die meisten Bewohner der Anstalt Ecksberg das Todesurteil gesprochen, 245 starben in der Gaskammer.
In der Folge wurden die Gebäude in Ecksberg als Umsiedlungs- und Flüchtlingsunterkunft genutzt, später als Außenstelle des Krankenhauses. Ab 1943 quartierte schließlich die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar 520 psychisch kranke Patienten aus westdeutschen Kliniken in Ecksberg ein, das damit hoffnungslos überbelegt war.
Zwar hatte Hitler 1941 die Vernichtungsaktion "T4" aufgrund des wachsenden Unmuts in der Bevölkerung und in Kirchenkreisen stoppen lassen, doch das Morden an den Patienten in den sogenannten Heilanstalten in Form der sogenannten "wilden Euthanasie" ging weiter – auch in Ecksberg. Die Patienten wurden auf Befehl der NS-Führung durch bewusste Vernachlässigung und Hungerkost ermordet.
Aufgrund der Vielzahl an Todesfällen reichte nach kurzer Zeit der Gemeindefriedhof in Altmühldorf nicht mehr für die Bestattungen aus. Deshalb wurden die Opfer ab dem 28. Dezember 1943 auf dem eigens dafür angelegten Parkfriedhof in Ecksberg beerdigt.
Für die Bestattung war den Schwestern auf Anordnung der Partei verboten worden, die Leichen über die Hauptstraße zum Friedhof zu bringen, um die Vorgänge in der Anstalt zu verbergen.
Trotzdem ging Hermann Pfannmüller, Leiter der Anstalt Eglfing-Haar und überzeugter Nationalsozialist, das Sterben in Ecksberg nicht schnell genug. Mehrfach habe sich Anstaltsleiter Pfannmüller über die – seiner Meinung nach – zu geringen Opferzahlen beschwert, heißt es in einem Zeitzeugenbericht von Schwester Bernadette, die 1943 in der Anstaltsküche tätig war. Sie berichtet auch, dass die meisten Pfleglinge bereits sehr krank und geschwächt in Ecksberg ankamen.
Im Mai 1944 wurde dann der Großteil der Patienten wieder nach Eglfing zurückgebracht. Laut Schwester Bernadette blieben nur wenige zurück: "Nur die, die arbeiten konnten".
Die neue Dauerausstellung "Alltag, Rüstung, Vernichtung – Der Landkreis Mühldorf im Nationalsozialismus" im Haberkasten in Mühldorf ist von Dienstag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr sowie samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet.