Für das Erinnern
ovb, 27.04.18
ERÖFFNUNG DER GEDENKORTE AM MASSENGRAB UND WALDLAGER IM MÜHLDORFER HART
Ein sichtbares Zeichen im Wald
Mit einem Festakt und einer Begehung eröffneten gestern Vertreter der Politik, von Vereinen und der jüdischen Gemeinde die ersten beiden Gedenkorte des KZ-Außenlagers Mühldorf. Auch sechs Überlebende waren dabei.
Mühldorf – Wer ermessen will, welche Bedeutung der gestrige Tag hatte, musste nur ins Gesicht von Andor Stern schauen. Immer wieder rieb sich der 90-Jährige bei seinem Gang durch das ehemalige Waldlager die Tränen aus den Augen. Immer wieder fotografierte er mit einer kleinen Kamera die Mulden im Boden; dokumentierte die letzten Überreste der Erdhütten, in denen die Gefangenen hausten. Er nahm die Informationstafeln auf, die Bäume, die heute auf dem Appellplatz stehen, die neuen, langen Betonwege im Wald südlich von Ampfing. Und immer wieder kamen ihm die Tränen.
Stern ist einer von sechs Überlebenden, die gestern an der Eröffnung der Gedenkorte teilnahmen. Nicht nur für sie ging damit ein langer Weg vorläufig zu Ende, auf dem Ehrenamtliche und Politiker seit Jahren unterwegs sind. „Wir schulden diesen Ort den Toten und den Überlebenden“, sagte Karl Freller, Direktor der Stiftung bayerischer Gedenkstätten.
An drei Plätzen soll an die Leiden von mehr als 8000 zumeist jüdischen Ungarn erinnert werden, die von Juli 1944 bis zum 28. April 1945 in der Rüstungsfabrik Weingut I arbeiten mussten: Im Waldlager, in dem die Arbeiter-Erdhütten untergebracht waren. Am ehemaligen Massengrab, aus dem die Alliierten 1945 und 1946 die Leichen exhumieren und auf umliegenden KZ-Friedhöfen bestatten ließen; und am Bunkerbogen, dem eindrucksvollsten Zeichen des Nazi-Rüstungswahns. Der Weg zum dortigen Gedenkort ist aber noch weit (siehe Artikel links). Systematisch aufgearbeitet wird die NS-Geschichte im Kreismuseum.
Die Gedenkstätte ist vor allem mit zwei Namen verbunden: Hans-Jochen Vogel und Max Mannheimer. Sie überzeugten auf Einladung von Dr. Marcel Huber im Juli 2015 den damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer von der Notwendigkeit des Erinnerns im Landkreis. Einen Tag später fiel der Beschluss zur Finanzierung.
Für den ehemaligen Häftling Mannheimer, den unermüdlichen Mahner für Erinnerung und Versöhnung, kam die Eröffnung zu spät. Er starb vor knapp zwei Jahren. Trotzdem war er gestern präsent, auch Charlotte Knob loch, Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde Oberbayern, erinnerte an ihn: „Max Mannheimer hat den Kampf gegen das Vergessen angenommen und ihn auch gewonnen.“
Der 92-Jährige Vogel ließ sich sichtlich gerührt im Rollstuhl durch die Gedenkorte schieben. Am Rednerpult im Kino Waldkraiburg rief er dann in beeindruckender Weise dazu auf, die Grundwerte der Demokratie gegen einen sich radikalisierenden Nationalismus und gegen Antisemitismus zu verteidigen: „Das ist die Pflicht jedes Einzelnen. Das betrifft nicht nur die da oben.“
Neben Innen-Staatssekretär Stephan Mayer („Die Gedenkstätte ist ein Stachel im Fleisch unseres Bewusstseins“) stellte auch Kultusminister Bernd Sibler die Eröffnung in den zeitlichen Zusammenhang mit den Ereignissen der letzten Wochen: „Wir setzen heute auch ein Zeichen mit Blick auf den Antisemitismus, der in Deutschland gerade wieder aufflackert. Das ‚Nie wieder!‘ darf nicht nur in Worten gesprochen, es muss auch gelebt werden.“ Dafür setzen sich seit Jahren der „Verein für das Erinnern“ und der „Arbeitskreis KZ-Außenlager Mühldorfer Hart“ ein. Deren Vorsitzende Franz Langstein und Eva Köhr versprachen, das „Netz der Erinnerung“ in der Region weiterzuspinnen.
Das letzte Wort des Festakts gehörte den Überlebenden. Mordechai Gidron erzählte von seinen Albträumen aus dem Lager, in denen nur schemenhafte Figuren ohne Namen und Gesichter auftauchen. „Die Menschen waren damals nur Hintergrund.“ Gestern rückten sie ein entscheidendes Stück nach vorne.
In der Montagsausgabe stellen wir die Gedenkorte auf einer Sonderseite vor.
weitere Bilder in: inn-salzach24