Für das Erinnern
Schon in den 90er Jahren wurden in einem Projekt über 600 Tafeln aufgehängt, auf denen die Daten der Opfer des Rüstungsbunkerbaus fixiert waren, an einem sternförmigen Gerüst aufgehängt.
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Im Blickpunkt erschien dazu 1993 folgender Artikel:
Der 8. Mai ist uns als Gedenktag für das Kriegsende 1945 bekannt. Doch für viele war der Krieg schon früher zu Ende. Am 2. Mai erlebten z.B. die Häftlinge der KZ-Außenlager Mettenheim I und des Waldlagers die Befreiung. Viele von ihnen waren noch auf einen Transport geschickt worden und wurden im Zug bei Starnberg von den Amerikanern gestoppt. Zurückgeblieben waren die Kranken und etliche Funktionshäftlinge. Unter ihnen Benno Wolf, der Schreiber in der SS-Wachstube. Ein Häftling, der vom KZ Sachsenhausen über mehrere andere Lager schließlich im Waldlager landete und dort die schriftlichen Arbeiten erledigen mußte, die bei der Organisation des Rüstungsbunkersbaus im Mettenheimer Hart anfielen.
Dabei war es auch seine Aufgabe, die Totenliste zu führen. Er machte es gründlich und erstellte auch eine Abschrift für sich selbst, die er unter dem Hemd verbarg und dann den ankommenden Amerikanern zeigte. Er besitzt sie heute noch, genauso wie seine nachträglichen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1946. Daraus las er Josef Wagner, dem Mitautor des Filmes "...mit 22 Jahren wollte man noch nicht sterben", vor, als dieser ihn 1988 in Berlin aufsuchte. Nach dem aufgezeichneten Interview übergab er eine Kopie der Totenliste, die Wagner dann mit dem Computer auswertete. 1972 Tote sind darin verzeichnet: Von 15jährigen bis zu 60-jährigen Männern sind alle Altersstufen vertreten.
Besonders in den Wintermonaten, als die Häftlinge immer erschöpfter wurden und zusätzlich noch eine Typhusepedemie grassierte, häufen sich die Sterbefälle. Die "Schutzhäftlinge", wie die meisten zynisch von der SS-Organisation bezeichnet wurden; stammten hauptsächlich aus Ungarn und waren fast ausschließlich Juden. Sie starben - nach dem SS-Jargon - an "Herzschwäche" oder "allgemeiner Schwäche". Nur ein einziger Häftling ohne Nummer und einer ohne Namen ist verzeichnet, ansonsten ist das Massensterben bis ins Detail dokumentiert.
Alle landeten in Massengräbern, namenlos, später umgebettet in die KZ-Friedhöfe in Neumarkt, Mühldorf und Kraiburg.
Bis 1988 waren nur wenige Namen bekannt. Am 2. Mai nun sollen in einer Aktion des Kreisbildungswerkes im Rahmen der "Aktionen gegen Fremdenhaß" die Daten der Totenliste bekannt gemacht werden. Mit einem Marsch vom Parkplatz der Firma Möbel Fliegl in Mettenheim-Hart zum Bunkergelände beginnt die Kundgebung. Lorenz Wastlhuber aus Neumarkt, der 1944/45 "Nachbar des KZ Mettenheim I" war, Peter Müller, der die ersten Recherchen im Mühlrad", der Zeitschrift des Heimatbundes veröffentlichte und Josef Wagner, der die Idee zu der Aktion unter dem letzten stehengebliebenen Bogen hatte, werden kurz die geschichtlichen Zusammenhänge aufzeigen. Dann sollen die Teilnehmer an Stellwänden, die in Form eines Judensterns aufgebaut werden, die Tafeln aufhängen, die die Daten der Toten enthalten. Auf je einem DIN-A-4-Karton sind drei verstorbene Häftlinge verzeichnet.
Eigentlich wollte Wagner sie - dem Motto "Pflöcke gegen das Vergessen einschlagen" getreu - an Stahlseilen aufziehen, die über Pfähle gespannt sind. Doch dann wäre der Stern über 20 Meter groß geworden. So werden sie auf den Stelltafeln in Dreierreihen untereinander angebracht.
Obwohl diese Aktion bald danach wieder abgebaut werden muß, verspricht sich Wagner bei den Teilnehmern einen wertvollen Eindruck: "Aus meinem Lehreralltag weiß ich, daß man sich am besten etwas merkt, wenn man etwas tun darf."
Außerdem baut man zu Leuten, die in ihren Daten (Geburtsdatum, Vornamen, Alter etc.) mit einem selbst übereinstimmen, eine viel tiefere Beziehung auf."
Vielleicht hilft diese Aktion auch, das Bunkergelände, dessen Einebnung ja immer wieder in die Diskussion gerät, zu erhalten.
"Dazu wären wahrscheinlich nicht einmal die Millionenkosten notwendig, die für den Abriß hochgerechnet wurden," meint Wagner. "Viel wertvoller wäre es, wenn es von Jugendlichen als Geschichtslehrpfad umgebaut würde. Schließlich waren ja auch für die Soldatenfriedhöfe in ganz Europa die Aktionen der Kriegsgräberfürsorge mit Jugendlichen möglich."
"Und wer eine Gedenkstätte für Leute aufbaut, die in ein anderes Land verschleppt wurden, um dort beim Bau eines Rüstungsbunkers zu sterben, nur weil sie zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft gehörten, der wird dabei eine eigene Einschätzung der Begriffe "Ausländer" und "Asylant" gewinnen."
Vorankündigung des Mühldorfer Anzeigers:
Eine Aktion des Kreisbildungswerks am Bunkergelände
In regelmäßigen Abständen taucht sein Bild in den Zeitungen auf: Einmal wird nach Giftmüll gesucht, dann wird er zentraler Punkt des Videofilms von Rainer Ritzel und Josef Wagner "...mit 22 Jahren wollte man noch nicht sterben", schließlich gerät er in die Diskussion, weil er abgerissen und eingeebnet werden soll und nun will das Kreisbildungswerk am 2. Mai eine Veranstaltung im Rahmen seiner "Aktionen gegen Fremdenhaß" in seinem Schatten abhalten: Die Rede ist vom letzten stehenden Segment des ehemaligen Rüstungsbunkers im Mettenheimer Hart.
Nachdem in dem angesprochenen Videofilm Überlebende des mörderischen Bunkerbaus zu Wort kamen, will Josef Wagner nun auf die Toten aufmerksam machen, die dieses Wahnsinnsprojekt in den letzten 10 Monaten des Krieges forderte. Geholfen hat ihm dabei ein Zufall.
Von einem Interviewpartner des Films wurde er auf einen anderen Häftling aufmerksam genmacht, der in Berlin lebt: Benno Wolf. Er war Schreiber in der SS-Stube des Waldlagers. Dort mußte er auch die Totenliste führen, in der Todesdatum, Uhrzeit, Häftlingsnummer und Personalien der Toten verzeichnet wurden. Er schrieb sie doppelt und schwindelte das 2. Exemplar bei der Befreiung durch die Amerikaner am 2. Mai 1945 aus dem Lager. Eine Kopie übergab er bei dem Interview 1988 an Wagner,und der verarbeitete sie mit Hilfe des Computers so, daß nun die Teilnehmer an der Kundgebung des Kreisbildungswerkes auf je einem Karton die Daten von drei Häftlingen lesen können.
Diese sollen dann von den Teilnehmern der Aktion an einem Stellwandgerüst in Form eines Judensterns angebracht werden. 1972 Namen sind dann dort zu lesen, von 15-jährigen Jugendlichen bis zu 60-jährigen Männern. Die meisten stammen aus Ungarn, aber auch Litauer, Franzosen, Italiener und Belgier sind dabei. Sie haben nur eines gemeinsam. Sie waren Juden. Und so wurden sie über Auschwitz und Dachau schließlich in den Mettenheimer Hart transportiert, um dort mit ihrer Arbeitskraft den Krieg noch gewinnen zu helfen.
Bisher liegen sie namenlos in den KZ-Friedhöfen Neumarkt, Mühldorf und Kraiburg. Mit dieser Aktion soll ihnen wenigstens die Ehre zu Teil werden, die den Soldaten in den Kriegsgräberstätten auch zugebilligt wird: Das Verzeichnis des Namens an der Stelle oder in der Nähe, wo sie gestorben sind.
"Wer diese Menge an Namen einmal gelesen hat, der fühlt automatisch, daß wir Deutschen eine besondere Verpflichtung haben, beim Umgang mit Fremden, Ausländern und Asylanten zuerst gut zu überlegen, bevor wir den Mund aufmachen," meint Wagner. "Von den vielen Filmveranstaltungen im Landkreis weiß ich um das Interesse an den damaligen Vorgängen. Nachdem wir die Überlebenden zu Wort kommen ließen, wäre es nur konsequent, nun auch den Toten die angemessene Ehre zu erweisen - bei einem "Gräberumgang" besonderer Art."
Und deshalb hofft er, daß sich am 2. Mai um 10 Uhr viele auf dem Parkplatz der Firma Möbel Fliegl in Mettenheim-Hart einfinden, um mit ihm, dem Geschichtsforscher Peter Müller, dem Zeitzeugen Lorenz Wastlhuber und allen Interessierten den Weg nachzugehen, den die Häftlinge des Lagers Mettenheim I zurücklegen mußten, wenn sie zur Arbeit am Bunker gingen - stets in der Ungewißheit, ob sie abends wieder an ihrem Ausgangspunkt landen würden oder auf der Totenliste von Benno Wolf.