Dana Giesecke und Harald Welzer: "Das Menschenmögliche - Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur"
(Auszüge aus dem Buch)
- "Und deswegen ist es wichtig, die Geschichte des Holocaust vom Anfang her zu erzählen und nicht vom Ende - weil er dann aus dem Status des unvorstellbaren Ereignisses in jenen eines historisch jederzeit Möglichen transformiert wird."(S.9)
- "Nicht zu vergessen, ist ein sinnloser Appell, wenn niemand vergessen will." (S.9)
- "...dass der Bezugspunkt des historischen Bewusstseins und der historischen Bildung nicht die Vergangenheit ist, sondern die Zukunft." (S.14)
- "In den Schulen lernen die Kinder ... viel über die Schrecken der Vergangenheit und darüber, was 'nie wieder' zu geschehen habe, aber lernen wenig über die möglichen Zukünfte, die in der Gegenwart stecken." (S.18)
- "Deshalb ist Demokratie die Abwägung alternativer Möglichkeiten. Alternativlosigkeit markiert dagegen die Diktatur einer zukunftsvergessenen Gegenwart." (S.19)
- "Wenn die um den Holocaust zentrierten erinnerungskulturellen Anstrengungen einen Sinn haben können, dann doch offensichtlich den, begreiflich zu machen, dass unter bestimmten Bedingungen sich nicht nur die bösen Menschen zu gegenmenschlichem Verhalten entscheiden, sondern auch die guten." (S.39)
- Wertewandel im nationalsozialistischen Deutschland = fortschreitende Normalisierung radikaler Ausgrenzung (vgl. S.40)
- "Die Ausgrenzung, Verfolgung und Beraubung der Anderen wurde kategorial nicht als solche erlebt, weil diese Anderen per definitionem eben schon gar nicht mehr dazugehörten..." (S.46)
- "...es ist keineswegs ausgemacht, dass tätige Erinnerung Wiederholung ausschließt."
- "Es ist Zeit, die manichäischen Bilder von bösen Tätern, guten Opfern und hilflosen Zuschauern zu vergessen und den Blick auf die Handlungszusammenhänge und sozialen Prozesse zu richten, die gegenmenschliche Resultate hervorbringen, die kein Einzelner geplant und die niemand vorhergesehen hat." (S. 54)
- Den Helfern (der Verfolgten) ist gemeinsam "dass sie Handlungsspielräume wahrnehmen, wo andere keine sehen. ...Es könnte also eine große Aufgabe für die Pädagogik und den Geschichtsunterricht darin liegen, Handlungsspielräume sehen zu lehren." (S. 55)
Zum Thema Zeitzeugen:
- "Oft reproduzieren Zeitzeugen genau jene Stereotype, die man eigentlich auflösen sollte..." (S. 71)
- "Seine Erinnerung und Erzählung verfertigt und überschreibt er aus dieser Funktion heraus, gestaltet sie so, wie er erwartet, dass seine Zuhörer erwarten, dass er sie gestalten wird." (S. 71)
- "Das Verschwinden der Zeitzeugen bedeutet daher die Chance, einen neuen Gebrauch von Geschichte und Erinnerung zu erproben - also einen neuen Gebrauchszusammenhang des Historischen zu etablieren." (S. 75)
- "Erinnerung dient der Orientierung in einer Gegenwart zu Zwecken künftigen Handelns." (S.75)
- "Dieses Phänomen der Shifting Baselines ... geht psychologisch betrachtet daruf zurück, dass Menschen in sich verändernden sozialen Umwelten oft keine Referenzpunkte haben, an denen sie die Verschiebung ihrer eigenen moralischen Orientierung festmachen können." (S.80)
- Primo Levi: "Es gibt die Ungeheuer, aber sie sind zu wenig, als dass sie gefährlich werden könnten. Wer gefährlicher ist, das sind die normalen Menschen." (S.84) bzw. Raul Hillberg: "Alle notwendigen Operationen wurden mit dem jeweils verfügbaren Personal durchgeführt." (S.82)
- "Es ist ein kategorialer Fehler, das Handeln eines Menschen in einer gegebenen Situation auf seine ganze Persönlichkeit hin zu generalisieren." (S.93)
- "Demokratiegefährdungen gehen weniger von dezidierten Gegnern der Demokratie (wie Neonazis) aus als von Normenauflösungen." (S.95)
Aleida Assmann: "Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur"
(2013, S.9)
Der Erkenntniswert der abstrakten Wahrheit des Holocaust als allgemeiner Formel geht gegen null, während die lokalen Geschichten, die mit der Aufdeckung historischer Schichten zutage treten, für die Anwohner ausgesprochen konkret, anschaulich und räumlich beziehungsvoll sind. Diejenigen, die diese Geschichten rekonstruieren und weitererzählen, tun dies als Nachkommen einer Gewaltgeschichte, an der sie empathisch teilhaben und aus deren Komplexität durch Indifferenz und Vergessen sie sich durch kritische Aufklärung befreien."