Für das Erinnern
Jedes Jahr veranstaltet der Verein "Für das Erinnern" eine Gedenkfeier am 28.4. Meist stand die Feier unter einem bestimmten Motto.
Bilder zu den Gedenkfeiern finden Sie unter Bilder/Gedenkfeiern
Presseartikel unter Presse/Jahreszahl
Sehr geehrte Gedenkende! Meine Damen und Herren!
Aus Respekt vor unseren Gastgebern werde ich diese Ansprache auf Deutsch halten, erlauben sie mir aber bitte, zunächst die anwesende ungarische Delegation in meiner Muttersprache zu begrüßen.
Tisztelt Honfitársaim!
Személyes gesztusnál több az, hogy magyarul is beszélek itt, dachaui táborhoz tartozó Mühldorfban. Bizonyos értelemben morális felelősségem is ez. Emlékeztessen minket ez a gesztus is arra, hogy a Vészkorszak, amit ez a hely is jelképez: nemzeti tragédiánk volt.
Nemzeti tragédiánk kétszeresen is. Velünk esett meg, velünk is esett meg, hiszen az áldozatok nagy része magyar volt. És mi is tettük: hiszen a magyar állam a történelem egy sötét pontján elárulta saját polgárait. Ahelyett, hogy megvédte volna őket, az életükre tört.
Hangozzék el tehát magyarul is itt, ezen a megemlékezésen: olyan Magyarországot akarunk, amelyben a közösség tagjai megvédik egymást a kirekesztés és a fenyegetés minden formájától!
„Das Problem Auschwitz besteht nicht darin, ob wir sozusagen einen Schlußstrich darunter ziehen oder nicht; ob wir es im Gedächtnis bewahren sollten oder in der entsprechenden Schublade der Geschichte versenken; ob wir für die Millionen von Ermordeten Mahnmale errichten und wie sie beschaffen sein sollten. Das wirkliche Problem Ausschwitz besteht darin, daß es geschehen ist und daß wir an dieser Tatsache mit dem besten, aber auch mit dem schlechtesten Willen nichts ändern können. Der katholische ungarische Dichter János Pilinszky hat diese schwierige Situation vielleicht am genauesten bezeichnet, als er sie einen "Skandal" nannte; und damit meinte er ganz offenkundig die Tatsache, daß Auschwitz sich im christlichen Kulturkreis ereignet hat und somit für den metaphysischen Geist unverwindbar ist.”
Sehr geehrte Damen und Herren!
Das sind die Worte des großen ungarischen Schriftstellers Imre Kertész. Das Zitat stammt aus seiner Rede, die er 2002 in Stockholm bei der Übernahme des Nobelpreises gehalten hat.
Seine Rede hat er mit dem folgenden Gedanken beendet: „Wenn ich mich mit der traumatischen Wirkung von Auschwitz auseinandersetze, auf die Grundfragen der Lebensfähigkeit und kreativen Kraft des heutigen Menschen; das heißt, über Auschwitz nachdenkend, denke ich paradoxerweise vielleicht eher über die Zukunft nach als über die Vergangenheit”
Ich will ebenfalls darüber reden, wenn auch nicht mit so schön formulierten, weisen Gedanken.
Das ist das Wesentliche, daran glaube ich – sowohl als Vater, wie auch als Politiker. Das nämlich der Gegenstand unseres Gedenkens nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft ist.
Wir sollten gedenken und vor allem uns erinnern, um die Vergangenheit nicht zu wiederholen, sondern sie zu vermeiden. Um aus der Vergangenheit zu lernen.
Daß heute, gerade auf deutschem Boden, gerade ein ungarischer Politiker darüber reden darf, halte ich für symbolisch.
Man muss nicht einmal deutsch sprechen – es genügt einem, die Nachrichten über Deutschland in der jeweiligen Muttersprache zu folgen – um zu wissen: es gibt wenige Länder, wenige Völker in Europa, oder in der freien Welt, die so weit mit der Bewältigung ihrer Vergangenheit vorangekommen sind wie Deutschland. Wie Sie.
Wo die Vergangenheitsbewältigung so schonungslos ehrlich, so um Vollständigkeit bemüht ist wie hier. Und wo die Bewältigung zu einer von Generation zu Generation vererbten Tradition wurde: zum Teil der modernen deutschen Identität. Zum Teil einer neuen, europäischen Identität.
Ich weiß, die Geschichtswissenschaftler warnen bei diesem Punkt, daß der Prozeß der Bewältigung auch in Deutschland Jahrzehnte in Anspruch genommen hat – genauer gesagt, schon der Anfang des Prozesses. Man brauchte dazu das schockierende Erwachen der sechziger Jahre.
Die Besinnung, daß auf Schuld nicht immer Sühne folgte – und das nicht nur im juristischen, sondern auch im moralischen Sinne.
Denn es gab ja bedeutende Persönlichkeiten des Nazi-Regimes, die nach dem Krieg zum Beispiel nicht nur in Südamerika ihr zweites Leben geführt haben, sondern sogar zu Hause in Deutschland.
Und als diese Skandale an die Öffentlichkeit gelangten, hat sich Deutschland empört und ist aufgewacht. Der Prozeß einer langen, schmerzvollen und vielleicht nie zu beendenden Bewältigung hatte damit angefangen.
Das war ein Lernprozess. Ein Selbsterkennungs- und Selbstprüfungsprozess, der Deutschland und die Deutschen für immer verändert hat.
Ich glaube, diese Veränderung hat auch dazu beigetragen, daß Deutschland heute eines der bestimmenden Länder in Europa sein kann – nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im geistigen Sinne.
Meine Damen und Herren!
Ich respektiere die Deutschen dafür. Und wenn ich diese Aufarbeitungskultur immer wieder erfahre, spüre ich einen noch stärkeren Wunsch, diesen Prozeß auch in meiner Heimat zu entfachen.
Ich will dafür alles tun, was ich kann.
Wenn ich gerade Premierminister bin, dann dort. Wenn ich an Universitäten lehre, dann dort. Wenn ich die Hand meines Kindes in meiner Hand halte, dann eben dort – als Vater.
Ich bin nicht meiner Heimat gegenüber „untreu“, wenn ich sage, daß diese Art von Vergangenheitsbewältigung in Ungarn noch nicht passiert ist – im Gegenteil, meine Liebe für meine Heimat verpflichtet mich dazu, dies zu sagen.
Ich behaupte nicht, daß in den letzten zwanzig Jahren nicht vieles passiert wäre… Ich behaupte aber, daß nicht genug passiert ist. Daß der „Durchbruch“ noch nicht passiert ist. Daß die Ungarn nicht auf einen gemeinsamen Nenner bezüglich ihrer Vergangenheit – vor allem der jüngeren Vergangenheit – gekommen sind.
Vor allem hinsichtlich des langen zwanzigsten Jahrhunderts, dessen Zeugen, Opfer und Schuldige noch unter uns sein können.
Im letzten Jahrzehnt des ungarischen öffentlichen Lebens schien es sogar so, als würde der in Ungarn bisher existierende Konsens enden, vor allem auch zu den Zielen des Systemwechsels.
Vor über zwei Jahrzehnten, als wir den eisernen Vorhang durchgeschnitten haben, und blutlos unser politisches System geändert haben, waren wir in den wichtigsten Fragen noch einig. In unserem Kampf um Freiheit. In unserem Kampf um den Schutz der Demokratie. Und darin, daß Ungarn nicht nur aufgrund seiner Interessen, sondern auch aufgrund seiner Werte untrennbar in Europa verankert ist.
Heut ist der gemeinsamen Nenner der Ungarn, unser Grundkonsens in der Krise und wird hinterfragt.
Es gibt viele Zweifel über unsere Zukunft, es gibt viele Debatten über unserer Gegenwart und wenig Einigkeit über unsere Vergangenheit.
Allerdings kann Ungarn, und können die Bürger der europäischen Gemeinschaft nur dann in Frieden leben und wachsen, wenn sie sich über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einen gemeinsamen Nenner einigen können.
Geehrte Gedenkende!
Ungarn steht an einem Scheideweg. Welchen Weg das Land nimmt, kann uns nicht gleich sein. Wenn ich mich pathetisch ausdrücken will – und wo könnte man sich pathetische Gedanken erlauben, wenn nicht hier, wo Leben und Tod miteinander gekämpft haben? –, dann kann ich sagen: jetzt wird sich entscheiden, ob wir Richtung Zukunft gehen, oder zurück, in Richtung Vergangenheit.
Damit Ungarn den richtigen Weg geht, müssen wir auf die großen Fragen unserer Vergangenheit die richtigen Antworten geben. Auch auf die in vielerlei Weise unausgesprochene und quälende Fragen der ungarischen Ausgrenzung und des ungarischen Holocaust.
Auch aus diesem Grund ist der heutige Anlaß wichtig. Und deswegen ist es insbesondere wichtig, daß heute auch meine Landsleute hier anwesend sind.
Wir legen zusammen ein Bekenntnis ab, und zwar, dass wir ein Ungarn und Europa aufbauen wollen, wo das Wissen über den Holocaust ein fester Bestandteil der Identität der Bürger ist.
Eine persönliche Verantwortung für die Vergangenheit und die Zukunft – am meisten aber für den Frieden.
Sich zu besinnen und zu mahnen. Das ist unsere Verantwortung als Einzelperson und auch gemeinsam, als Nation, als europäische Gemeinschaft.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Unterstützung!
des Landesrabbiners von Ungarn a.D. Professor Dr. József Schweitzer
Das Programm der Pilgerfahrt der Stiftung "Szembenézés"- "Ins Auge schau'n" nach Mühldorf am Inn, insbesondere die Begegnung mit dem Verein "Für das Erinnern KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart"und die Fahrt, zusammen nach Dachau, das gemeinsame Gedenken zweier Gemeinschaften, einer deutschen und einer ungarischen Gruppe an den einstigen Schauplätzen der schrecklichsten Verbrechen, des unermesslichen Leidens, des grauenvollen Todes, der Erniedrigung und der Sklavenarbeit ist meinen bescheidenen Kenntnissen nach, ein einzigartiges außerordentlich bemerkenswertes Ereignis.
Den Unschuldigen geziemt sich nicht der Zorn, im Gegenteil, denen gebührt Hochachtung dafür dass sie sich mit dieser Begegnung der Vergangenheit stellen, die wie wir meinen, ohne gleichen in der Geschichte ist.
Kriege hat es schon immer gegeben und leider wird es wohl geben. Es mag sein, dass sie als rechtens gewertet wurden oder werden. Wir aber entgegnen, dass das Endziel, die vollständige Ausrottung einer Gemeinschaft wegen ihrer oder ihrer Vorfahrens Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben in der Geschichte der Menschheit beispiellos ist. Wir sind von der Einmaligkeit dieses Geschehens überzeugt und deshalb halten wir die Begegnung der Nachfahren der Täter mit den Opfern und ihren Nachkommen nicht nur für ehrenwert sondern auch für beispielhaft.
Die Gräueltaten, auf die niemals der Schleier des Vergessens geworfen werden darf, sind unentschuldbar. Was heutzutage so oft lautstark zu hören ist, „nie wieder“, dürfen keine leeren Worte bleiben, sie sollten ein Teil der grundsätzlichen inneren Einstellung zur menschlichen Geschichte sein, ein Glaubensbekenntnis der aus der Tiefe des Gewissens kommt.
Es ist passiert, der Schmerz bleibt. Es ist nicht zu leugnen. Es ist nicht wegzureden.
Gegen den Unschuldigen hegen wir keinen Zorn, man darf aber nicht vergessen sondern vielmehr müssen wir so wie jetzt hier auch in der Zukunft an sehr vielen Orten bei vielen Anlässen gemeinsam gedenken.
Dr. József Schweitzer
Oberrabbiner Ungarns a.D.
Gründungsmitglied der Stiftung "Szembenézés"
Budapest, 17. April 2013