ERINNERUNG AN DIE OPFER DES NATIONALSOZIALISMUS
Ein Mensch ist immer ein Mensch
Hass führt zu Gewalt Pfarrerin Susanne Vogt, Pater Ulrich Bednara, der stellvertretende Landrat Alfred Lantenhammer und Mühldorfs Zweite Bürgermeisterin Ilse Preisinger-Sontag legten am KZ-Friedhof in Mühldorf einen Kranz nieder.
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Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am Samstag haben Menschen aus der Region insbesondere der Menschen gedacht, die in den KZ-Außenlagern im Landkreis ermordet wurden. Im KZ-Friedhof in Mühldorf legten Vertreter aus Politik und der Kirchen einen Kranz nieder.
Mühldorf – Der stellvertretende Landrat, Alfred Lantenhammer, sagte in seiner Rede, er habe ein Interview mit einer Frau gesehen, die das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hat. Sie habe sich die Frage gestellt, wie Menschen etwas so Unmenschliches tun könnten. Lantenhammer arbeitete heraus, dass das Nazi-Regime gegen Menschen gehetzt und Hass geschürt habe. Und eben dieser Hass habe Gewalt erzeugt. „Gibt es nicht bei uns auch solches Tun? Die Antwort kennen Sie“, spann er den Bogen in die Gegenwart. Wir hätten es in der Hand, aus der Vergangenheit zu lernen. Das Gedenken sei deshalb wichtig.
Mühldorfs Zweite Bürgermeisterin Ilse Preisinger-Sontag erinnerte daran, wer auf dem KZ-Friedhof in Mühldorf bestattet worden sei, und unter welchen Umständen. Die hauptsächlich aus Ungarn stammenden Juden waren nach Kriegsende aus Massengräbern bei Mettenheim und damit unweit des KZ-Außenlagers im Mühldorfer Hart exhumiert worden.
Am 28. Juni 1945 waren sie in würdigen Friedhöfen bestattet worden. Die Zweite Mühldorfer Bürgermeisterin rief in Erinnerung, dass auf Anordnung der US-Militärregierung die Menschen aus der Region bei dieser Bestattung dabei sein mussten. Auch ihre Mutter, berichtete Preisinger-Sontag, damals elf Jahre alt, habe diese Beerdigungen miterlebt. Dieser Teil der Geschichte zeige, wie einfach es war, „aus Mitmenschen Gegenmenschen zu machen“.
Pater Ulrich Bednara stellte anhand einer Stelle des Alten Testaments die Frage, ob Gewalt mit Gegengewalt beantwortet werden solle. „Auch wir sind nicht immer gut und friedlich“, mahnte er. Er forderte dazu auf, sich damit auseinanderzusetzen, was früher war. Pfarrerin Susanne Vogt nahm Bezug auf einen Rabbiner, der Ausschwitz überlebte und über einen Psalm die Antwort gefunden habe, welche Aufgabe ihm durch dieses Überleben gegeben sei. Er habe das Gespräch zu den Nachkommen der Täter gesucht. Vogt formulierte es so: „Erinnerung macht Sinn, wenn auch Begegnung stattfindet.“ Nur dann könnten wir begreifen, dass ein Mensch immer ein Mensch sei
9.3.2018, ovb
KAMPFMITTEL UND ALTLASTEN AM BUNKERGELÄNDE IM MÜHLDORFER HART
Granaten, Splitter, Sprengstoff
In zwei Monaten werden im Mühldorfer Hart die ersten beiden Teile der KZ-Gedenkstätte eingeweiht. Während am ehemaligen Waldlager und Massengrab die Arbeiten auf Hochtouren laufen, haben die Planungen für die zentrale Gedenkstätte am Bunkerbogen einen herben Rückschlag erlitten. Der Grund: Kampfmittel und Altlasten im Boden.
Mühldorf – Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten hatte das Staatliche Bauamt Rosenheim beauftragt, im Bereich des geplanten dritten Gedenkortes am Bunkerbogen Bodenuntersuchungen auf Kampfmittel durchführen zu lassen. Die Ergebnisse offenbaren ein Problem, das den Bau der zentralen Gedenkstätte um weitere Jahre verzögern könnte.
„Wir haben Bombensplitter, Granaten und TNT-Reste gefunden“, erklärt Geologe Lutz Opper, der die Testfelduntersuchungen als Gutachter begleitet hat. In seinen Augen seien die Funde „nichts Außergewöhnliches, wenn man die Geschichte des Ortes kennt“. Das Bunkergelände war nach dem Krieg als Sprengplatz genutzt worden, auf dem Tausende Tonnen Munition vernichtet wurden (siehe Bericht unten). Außergewöhnlich, so Opper, sei die Dimension des Ortes: „Über 100 Sprengtrichter auf so einer großen Fläche: Das ist mit Blick auf eine Räumung natürlich eine Herausforderung“, sagt Opper. Das Gefährdungspotenzial schätzt der Experte aktuell als gering ein. „Durch die spätere Verfüllung der Trichter muss man heute schon sehr tief graben, um auf die Kampfmittel zu stoßen.“ Zudem habe man bisher nur detonierte Granaten entdeckt.
Laut Ulrich Fritz von der Stiftung Bayerische Gedenkstätten wären nach aktuellem Stand die meisten Funde „nur dann gefährlich, wenn sie im Rahmen von Baumaßnahmen freigelegt und dabei unmittelbarer Kontakt erfolgen würde“. Bisher wurden allerdings nur zwei von über 100 Sprengtrichtern untersucht.
Munition und Kampfmittel sind allerdings nur das eine Problem. Das andere betrifft das Thema Altlasten im Boden, also die Kontamination des Erdreichs mit Sprengstoff. Hier können zum Beispiel Belastungen des Grundwassers momentan weder ausgeschlossen noch bestätigt werden, erklärt Fritz. Gefahren für das Trinkwasser erkennt das Wasserwirtschaftsamt nicht (siehe Infokasten).
Trotzdem: „Das Ausmaß der Belastungen und der betroffenen Flächen hat uns schon überrascht“, erklärt Fritz. Zumal die Stiftung bisher damit gerechnet hatte, nur unmittelbar betroffene Flächen räumen zu müssen. „Das stellt sich leider jetzt anders dar.“ Heißt: Um eine großflächige Räumung des gesamten Geländes kommt man nicht herum. Damit sind weder die finanziellen noch die zeitlichen Folgen für den Bau des dritten, zentralen Gedenkortes abschätzbar. Neben der Klärung zahlreicher rechtlicher Fragen geht es auch um die Zusammenarbeit mit mehreren Behörden wie Landratsamt, Innen- und Umweltministerium und rund 30 Grundstückseigentümern.
Im nächsten Schritt soll nun ein Plan für die Kampfmittelräumung und Altlastensanierung ausgearbeitet werden. Außerdem gehe es da rum, eine finanziell tragbare Lösung zu finden. „Man wird sich aber auf jeden Fall einigen“, sagt Fritz. „Dank dem Engagement von Hans-Jochen Vogel und Max Mannheimer führt an der Realisierung kein Weg mehr vorbei.“
Die Natur erobert sich das Bunkergelände nach und nach zurück, auch die ehemaligen Sprengtrichter lassen sich heute nur noch erahnen. ha
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Mühldorf. – Am Bunkergelände wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Tausende Tonnen Munition gesprengt.
„Mit über 100 Sprengtrichtern befand sich im Mühldorfer Hart einer der größten Sprengplätze in Bayern, was die Anzahl betrifft“, sagt Alexander Schwendner. Der Geologe beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit der Rüstungsgeschichte in Bayern.
2600 Tonnen Munition gesprengt
Wer verstehen will, wie es überhaupt zu den massiven Problemen mit Kampfmitteln und Altlasten im Boden kommt, muss über 70 Jahre zurückblicken. Nach Kriegsende begannen US-Truppen damit, die verbliebene Munition zu sprengen. Ab Mitte 1946 war dann die Staatliche Erfassungsstelle für Öffentliches Gut (StEG) für die Aufarbeitung der Kampfmittel zuständig, die zu diesem Zweck 34 Entschärfungsstellen einrichtete. 20 davon lagen in Bayern. An den E-Stellen wurde die Munition unter schwierigen Arbeitsbedingungen zerlegt und entschärft (entzündet). Nach dem Entschärfen mussten die Sprengstoffe jedoch aus den Granaten und Bombenhüllen entfernt werden. Eines dieser sogenannten Delaborierungswerke befand sich in der ehemaligen Rüstungsfabrik im Werk Aschau.
Da ab Herbst 1947 sämtliche Eisenbahnwaggons zum Einfahren der deutschen Ernte benötigt wurden, sollte die restliche Munition gesprengt werden. Obwohl in Aschau mit Hochdruck in drei Schichten an der Auslaugung der Munition gearbeitet wurde, befanden sich im Herbst 1947 noch etwa 5600 Tonnen im Werk. Die Zeit drängte, da das Werk auf der „Reparationsliste“ stand und bis Ende 1947 geräumt werden musste.
Nachdem die StEG in Aschau im Frühjahr 1948 2900 Tonnen Munition nach Italien transportiert hatte, verblieben rund 2600 Tonnen. Da das Werksgelände aus Sicherheitsgründen nicht in Frage kam, transportierte die StEG die Munition zum Bunkergelände. „Auf Grund des großen Zeitdrucks mussten so viele Sprengtrichter parallel betrieben werden“, so Schwendner. „Es ist normal, dass bei solchen Mengen ein erheblicher Teil der Munition nicht detonierte, sondern mehrere Meter tief in den Boden der Sprengstellen gedrückt oder ein paar hundert Meter weit fortgeschleudert wurde.“
Hoher Zeitdruck, große Mengen
Der wesentliche Teil der Vernichtungen war im Mai 1948 abgeschlossen. Bis zu ihrer Auslösung im Mai 1949 veranlasste die StEG die Sprengplätze aufzuräumen, von 1949 bis 1954 erfolgten weitere Räumungen in der Zuständigkeit des Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr. „Die Räumungen waren jedoch nach heutigen Maßstäben unvollständig“, sagt Schwendner. Wie unvollständig, zeigte sich am Beispiel des Sprengplatzes in Marktbergel. Dort wurden von 2011 bis 2014 über 140 Tonnen Kampfmittel geräumt, 1500 Granaten waren in einem so gefährlichen Zustand, dass sie nicht abtransportiert sondern vor Ort gesprengt werden mussten. Ha
01.03.18
Tonnenweise Sprengstoff und Granaten im Boden
Die Behörden wissen seit Jahrzehnten Bescheid, unternommen haben sie bis heute nichts: Rund um das Bunkergelände im Mühldorfer Hart befinden sich tonnenweise gesprengte Granaten und Munition im Boden.
Welche Auswirkungen die Kampfmittel und die daraus resultierenden Altlasten auf die Umwelt haben und welche Gefahr davon ausgeht, ist im Detail noch nicht erforscht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auf dem Gelände tausende Tonnen Munition vernichtet. Es handelte sich um einen der größten Sprengplätze in Bayern. Im Zusammenhang mit dem geplanten Bau eines Gedenkortes zur Erinnerung an die Opfer des KZ-Außenlagers sollen die über 100 ehemaligen Sprengtrichter nun geräumt werden. Die Höhe der Kosten ist noch nicht ermittelt. H
Kommentar: 01.03.18
Handlungsbedarf
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Lange war das Thema Kampfmittel in der Diskussion um den Bau einer Gedenkstätte eine Randnotiz – überlagert von den Debatten um Zuständigkeiten, Finanzierung und Grundstücksfragen.
Nun kommt ans Tageslicht, was die Behörden seit Jahrzehnten wussten.
Ende der 1990er-Jahre veranlasste das Bayerische Innenministerium eine Untersuchung der „Rüstungsaltlastenstandorte in Bayern“. Im Abschlussbericht, der der Heimatzeitung vorliegt, erhält das „Sprenggelände“ im Mühldorfer Hart mit einer Fläche von 24,80 Hektar die Priorität „A2 - kurzfristiger Handlungsbedarf“. Das war vor 18 Jahren.
Seitdem ist nichts geschehen. Kein Amt und kein Ministerium hat entscheidende Maßnahmen zur Verkehrssicherung oder zum Umweltschutz in die Wege geleitet. Wohl wissend, dass sie mit der Untätigkeit auch ein hohes Risiko eingingen. So hat den „Schwarzen Peter“ nun die Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die an der Räumung des gesamten Geländes nicht vorbei kann.
Doch es greift zu kurz, den Bau der Gedenkstätte für das Dilemma um Kampfmittel und Altlasten im Boden verantwortlich zu machen. Sie mag der Anlass sein, Verursacher ist sie nicht. Das müssen alle Beteiligten im Blick haben, wenn sie bald über die hohen Kosten diskutieren, die nun zusätzlich anfallen werden. Denn „Handlungsbedarf“ besteht seit Jahrzehnten, auch wenn ihn lange niemand sehen wollte. (Wolfgang Haserer)
06.03.18
Landratsamt nimmt Stellung zu Altlasten
Mühldorf. – Das Mühldorfer Landratsamt hat Stellung zum Thema Altlasten im Mühldorfer Hart genommen.
„Wir nehmen Bezug auf eine im Mühldorfer Anzeiger erschienene Berichterstattung zum Thema Altlasten auf dem Gelände des Mühldorfer Hart am Donnerstag, 1. März. Den Landkreis trifft grundsätzlich keine Verkehrssicherungspflicht, vielmehr liegt diese bei der Bundesrepublik Deutschland und bei den Grundstückseigentümern. Eine Kampfmittelräumung des gesamten Geländes aus Gründen des Umweltschutzes war aufgrund bisher vorliegender Untersuchungsergebnisse nicht angezeigt“, erklärte Pressesprecherin Sandra Schließlberger.
Grundsätzlich wird aber angemerkt, dass das Landratsamt Mühldorf am Inn die zuständigen Stellen bei der Umsetzung der Gedenkstätte im Rahmen seiner Möglichkeiten weiter unterstützt.
17.03.18
EIN HOLOCAUST-ZEITZEUGE ERZÄHLT
Kein Leben mit Hass im Herzen
„Dieses Schreckliche darf nie mehr geschehen“, mahnt Zeitzeuge Abba Naor (rechts) vor rund 100 Schülern der beruflichen Oberschule bei einer besonderen Geschichtsstunde im Mühldorfer Haberkasten. eig
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Im Haberkasten lauschten etwa 100 Schüler der beruflichen Oberschule Inn-Salzach Altötting/Mühldorf gebannt und betroffen den Holocaust-Erinnerungen vom Überleben des Zeitzeugen Abba Naor.
Mühldorf – In den jungen Gesichtern der Zuhörer spiegelt sich das Grauen, das die 17 bis 19 jährigen Schüler bei dem Erlebnisbericht des fast 90-jährigen Juden Abba Naor, empfinden. Ergriffen hören sie, wie er von seiner Kindheit und Jugend während des Holocaust berichtet.
„In meiner Heimat Litauen ging es 1941 los mit der systematischen Vernichtung. Von 220 000 Juden im Land wurden in den ersten Kriegsmonaten 140 000 umgebracht.“ Mit ruhiger Stimme erzählt Naor weiter: „Die Menschen wurden mit den Synagogen zusammen verbrannt oder in den Wäldern erschossen.“
Geboren am 21. März 1928 war Naor 13 Jahre alt, als ihn die Nazis mitsamt seiner großen Familie und 20 000 anderen Juden in Kaunas in ein Ghetto steckten. „Angst und Hunger wurden von da an für uns zur Normalität“, sagt der alte, aber ungebeugte Herr im dunklen Anzug.
„Und ich konnte als Kind nicht verstehen, warum das alles passierte, warum uns die Nachbarn nicht halfen, warum wir mit einmal geächtet und verfolgt wurden – warum nur? Nur weil wir Juden waren? Ich verstehe es bis heute nicht.“ Nach einer kurzen Pause setzt er dazu: „Wir hatten doch niemandem etwas getan!“
Abba Naor berichtet bewegt, wie er seine Mutter und den kleinen Bruder zuletzt gesehen hatte. „Sie wurden in Auschwitz vergast, wie ich später erfuhr.“ Der ältere Bruder wurde erschossen, weil er Essbares für die Familie besorgen wollte. Naor erzählt erstaunlich gleichmütig von Menschenexperimenten, Krematorien, Gaskammern, Gruben voller Leichen und Vernichtungslagern in Polen. „Das war die Hölle. Obwohl: Von außen sah es direkt hübsch aus, sogar mit Blumenkästen vor den Fenstern.“ Als 16-Jähriger kam er nach Dachau in ein Außenlager. „Ich konnte arbeiten, deshalb durfte ich leben. Aber wie?“ Nach zwölf Stunden unmenschlich harter Arbeit im Betonwerk Utting gab es eine Scheibe Brot und etwas Suppe für die ausgemergelten Menschen. „Die Schweine wurden besser ernährt als wir. Manchmal klauten wir ihnen unter Lebensgefahr eine Kartoffel.“
Die Befreiung 1945 bekam er mit, weil „mit einmal die Wachen weg waren“. Die Amerikaner kamen ins Lager, waren fassungslos über die Berge von Leichen, die fast verhungerten Menschen. „Es war wirklich grauenvoll.“
Die Schüler fragen mit leisen Stimmen, was Abba Naor am Leben gehalten habe in dieser Zeit. „Die Hoffnung, meine Familie doch irgendwann wieder zu sehen. Sterben war zu leicht und das Leben zu schön, trotz allem!“ Seelisch sei er nie befreit worden. „Ich habe alle gehasst, aber nur mit Hass im Herzen kann man nicht leben. Also habe ich irgendwann aufgehört, eine Familie gegründet, versucht, ein normales Leben zu führen.“
Eine Schülerin will wissen: „Was war das schlimmste?“ Postwendend die Antwort: „Der ständige Hunger!“ Noch heute habe er immer zwei Kühlschränke voller Lebensmittel daheim.
28.03.18
KZ-GEDENKORTE AM EHEMALIGEN WALDLAGER UND MASSENGRAB
Historische Baustellen
Auf solchen Betonstegen werden die Besucher zu den Gedenkorten geführt. Laut Vorgabe des Landesamts für Denkmalpflege lassen sich die Stege wieder komplett rückbauen.
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Die beiden KZ-Gedenkorte am ehemaligen Waldlager und Massengrab im Mühldorfer Hart nehmen konkrete Formen an. Vier Wochen vor der Eröffnung lud die Stiftung Bayerische Gedenkstätten gestern zu einer Baustellenbesichtigung ein.
Mühldorf – Es rührt sich was im Wald: Lastwagen schaffen noch ein paar Ladungen Humus herbei, ein Bagger schaufelt und planiert. Hier, am nördlichen Rand des Mühldorfer Hart, sind die Arbeiten am KZ-Gedenkort „Waldlager“ weit fortgeschritten. Die Betonplatten, auf denen die Besucher künftig vom Lager zum ehemaligen Appellplatz gehen sollen, sind ausgelegt und montiert. Was noch fehlt, ist die U-förmige Zugangsschleuse mit den Informationstafeln. „Doch bis 28. April wird alles fertig“, verspricht Ulrich Fritz von der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. „Ganz sicher.“
Eine Bemerkung, die Eva Köhr vom Arbeitskreis Gedenkstätte Mühldorfer Hart und Erhard Bosch vom „Verein für das Erinnern“ ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Denn lange, viel zu lange galt bei diesem Projekt nichts als sicher. Und auch jetzt, da die offizielle Eröffnung der ersten beiden Gedenkorte im Mühldorfer Hart unmittelbar bevorsteht, sind nach wie vor viele Fragen offen. Sie betreffen den dritten Gedenkort am Bunkergelände, die Altlasten und Kampfmittel im Boden (wir berichteten), die Eigentumsverhältnisse. „Alles sehr komplex“, sagt Fritz – wohl wissend, dass da noch viel Arbeit auf ihn zukommt.
„Wir tun das hier we- gen der historischen Bedeutung. Und nicht, weil wir fünfstellige Besucherzahlen erwarten.“ Ulrich Fritz
Doch davon wollte er sich gestern die Laune nicht verderben lassen. „Es ist eine gute Gelegenheit, sich nach all den Jahren auch einmal gegenseitig auf die Schultern zu klopfen.“ Jeder habe seinen Beitrag zur Realisierung der Gedenkorte geleistet – von den Bayerischen Staatsforsten als Grundstückseigentümerin am ehemaligen Waldlager und Massengrab über das staatliche Bauamt bis zum Arbeitskreis KZ-Gedenkstätte und dem „Verein für das Erinnern“. Es sei schon bewundernswert, dass der Druck der Ehrenamtlichen nie nachgelassen habe, erklärt Fritz, „sondern immer stärker wurde. Irgendwann gab es dann einfach kein Zurück mehr.“
Darüber hinaus profitiere man von den Ergebnissen der jahrelangen Forschungen und Recherchen zum KZ-Außenlager: „Mal ehrlich: Wir stehen hier mitten im Wald“, sagt Fritz. „Was könnten wir schon erzählen, wenn wir kein so großes Wissen darüber hätten, was hier passiert ist?“
Dieses Wissen hat die NS-Dauerausstellung im Mühldorfer Haberkasten seit zwei Jahren gebündelt. Nun wird die Geschichte an den Gedenkorten stärker erfahrbar. „An den Zugangsschleusen vermitteln wir lediglich Basiswissen zum Bau der Rüstungsfabrik und zum jeweiligen Ort“, sagt Fritz. „Wir wollen aber die Besucher hier im Wald nicht mit Informationen überfrachten.“
So soll genügend Raum bleiben, die Gedenkorte für sich sprechen zu lassen: Den Bunkerbogen für den Gigantismus der Nationalsozialisten, das Waldlager für die unmenschlichen Lebensbedingungen der KZ-Häftlinge, das ehemalige Massengrab für die Vernichtung durch Arbeit. Über 2100 Häftlinge wurden hier verscharrt, in einem 63 Meter langen Graben. Nach dem Krieg wurden sie in Mühldorf, Neumarkt-St. Veit und anderen KZ-Friedhöfen beerdigt. Mannshoch geschnittene Bäume stehen symbolisch für das Sterben. Die Sieger des Architektenwettbewerbs, das Planungsbüro „Latz & Partner“, haben einen künstlerischen Ansatz gewählt. Auch hier führt ein Betonsteg die Besucher an den Gedenkort heran, auch hier fehlt noch die Informationsschleuse. „Aber auch hier werden wir bis 28. April fertig“, sagt Fritz. „Ganz sicher.“
SZ, 3. April 2018, 05:20 Uhr
Das vergessene Lager
Im Mühldorfer Hart sollten KZ-Häftlinge eine riesige Flugzeugfabrik für das NS-Regime bauen. 73 Jahre später wird endlich eine Gedenkstätte eröffnet - nach jahrelangem Ringen mit dem Land Bayern.
Von Matthias Köpf, Waldkraiburg
Die Forstwege, die sich als lange Geraden durch den Wald ziehen, heißen "Ludwigslinie" oder "Maxlinie". Frauen mit Walking-Stöcken kommen hier entlang, ein Mann führt einen Hund spazieren. An der Kronprinzlinie weist ein Baustellenschild ganz sachlich einen anderen Weg: "Massengrab" steht auf der Tafel.
Denn hier im Mühldorfer Hart sollten noch im Sommer 1944 Tausende KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter eine riesige Flugzeugfabrik in den Waldboden betonieren und darin dann Düsenflieger vom Typ Me 262 montieren, von denen Hitler sich und den Deutschen doch noch den Endsieg versprach. So weit ist es nicht gekommen, und auch die Fabrik und eine ähnliche im schwäbischen Kaufering waren längst nicht fertig, als das Lager am 28. April 1945 evakuiert wurde. Doch allein das Massengrab im Mühldorfer Hart hatte sich gefüllt mit mehr als 2000 Toten. Hier und im ehemaligen Waldlager sollen Ende April die beiden ersten Erinnerungsorte einer dreiteiligen KZ-Gedenkstätte eröffnet werden.
Der Freistaat sagte 2,5 Millionen Euro für die Gedenkstätte zu
Im Waldboden verankerte Stege aus Betonplatten werden dann den Ort des Massengrabs und den des Waldlagers erschließen. Eine überdachte "Schleuse" aus zwei großen Betonteilen wird den Zugang zur Gedenkstätte markieren und auf Abbildungen und Texttafeln Information und Orientierung bieten. Noch steht die Schleuse nicht, doch bald soll es so weit sein. "Wir haben es gehofft, aber nicht geglaubt", sagt Eva Köhr, die stellvertretende Landrätin war und bis heute Vorsitzende des "Arbeitskreises KZ-Außenlager Mühldorfer Hart" ist. Den Arbeitskreis, an dem sich auch staatliche Stellen beteiligen, gibt es seit 2010. Zuvor hatten sich einige Bürger, allen voran der Waldkraiburger Geschichtslehrer Peter Müller, für eine Gedenkstätte eingesetzt und 2002 den Verein "Für das Erinnern" gegründet.
Dann sollte es noch zehn Jahre dauern bis zur ersten Machbarkeitsstudie und zu dem Wettbewerb, dessen Siegerentwurf gerade gebaut wird. Zuvor waren wieder Jahre ins Land gezogen, in denen Bund und Land auf den jeweils anderen zeigten. Erst nachdem Max Mannheimer als einer der letzten Überlebenden des Lagers mit dem SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel 2015 bei Horst Seehofer vorgesprochen hatte, sagte der Freistaat 2,5 Millionen Euro für die Gedenkstätte zu. Dem Bund mangelt es für eine Förderung noch immer an "authentischer Bausubstanz".
Im Durchschnitt überlebte ein Häftling hier 80 Tage
Dass sich 70 Jahre nach Kriegsende wenigstens der Freistaat aufgerafft hatte, liegt für Ulrich Fritz daran, "dass dieser Druck vor Ort da ist und auch nicht nachgelassen hat". Fritz betreut das Projekt für die staatliche Stiftung Bayerische Gedenkstätten und erläutert das Konzept. Das setzt für detaillierte Informationen auf die Dauerausstellung, die Landkreis und Stadt 2015 im Mühldorfer Haberkasten eingerichtet haben. Im Hart beschränke man sich aus Pragmatismus auf drei je mehr als einen Kilometer voneinander entfernte Orte, obwohl sich weit verstreut Gruben, Wälle oder Betonteile finden.
Von selbst erschließt sich davon kaum etwas, auch die Reste des Waldlagers nicht. Hier mussten die Häftlinge Erdhütten ausheben aus einem tieferen Mittelgang, zwei Liegeflächen mit Brettern und darüber einer hölzernen Giebelkonstruktion. Bis zu 30 Menschen zwangen die Schergen in so eine Hütte. Viele starben an Krankheiten, am Hunger und an der vernichtend harten Arbeit. Weitaus die meisten Häftlinge dieses dem KZ Dachau zugeordneten Lagers waren ungarische Juden. Im Durchschnitt überlebte ein Häftling hier 80 Tage, wie es Peter Müller in einem seiner Bücher dargestellt hat. Von ungefähr 8300KZ-Häftlingen kamen etwa 4000 hier um, und auch bei den rund 1700Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern gab es Hunderte Tote.
Der schwierigste Ort ist der Fabrikbunker selbst
Zur Frage, wie viele Menschen im Massengrab verscharrt wurden, gibt es unterschiedliche Listen, 2100 waren es aber mindestens. An der Stelle haben Staatsförsterin Monika Löffelmann und ihre Waldarbeiter vor zwei Jahren eine Lichtung ausgeholzt und dabei die Stämme der Fichten etwa in Mannshöhe schräg abgeschnitten. So habe man "etwas schaffen wollen, das verstört", sagt Ulrich Fritz. Dass der Ort wirkt und der Trauer Raum gibt, kann Erhard Bosch bestätigen. Er ist zweiter Vorsitzender des Vereins für das Erinnern und hat schon Schulklassen hierher geführt, aber auch Überlebende und Nachkommen, die sich "zutiefst beeindruckt" gezeigt hätten. Die Toten liegen nicht mehr hier, sondern auf KZ-Friedhöfen in der Umgebung. Lokale NSDAP-Mitglieder mussten sie umbetten, zum Entsetzen der Menschen, für die nun nicht mehr zu leugnen war, was die meisten geahnt, viele gewusst und nicht wenige aktiv unterstützt hatten.
Der schwierigste Ort ist der Fabrikbunker selbst. 400 Meter lang und 33 Meter breit hätte er werden sollen, halb unter der Erde, acht Etagen unter zwölf riesigen Betonbögen. Sieben davon wurden fertig, und der siebte widerstand später der Sprengung, weil ihn noch der Kiesberg hielt, über den er betoniert worden war. Moos und Bäume krallen sich in diesen Bogen wie in die am Boden verkeilten Trümmer der anderen.
Es ist ein Täter-Ort, der immer noch durch seine Monumentalität beeindruckt. Der Steg der Gedenkstätte soll hier in die Höhe führen, damit die Besucher nicht zu dem Bogen aufschauen müssen. Er wird nicht vor 2020 fertig werden, denn der Boden ist nicht nur voller Scherben und anderer Partyreste, sondern auch voller Altlasten. Die Bögen fällten die Amerikaner mit 110 Tonnen TNT, außerdem wurden hier später Munitionsvorräte gesprengt. Das Gelände gehört zwei Dutzend Privateigentümern, es wird über Tauschgeschäfte verhandelt. Auch nach der Eröffnung am Waldlager und am Massengrab Ende April ist der Weg hier noch weit.